BR Story Folge 168: Geknechtet unterm Kreuz – Leben in einer katholischen Sekte
Folge 168
168. Geknechtet unterm Kreuz – Leben in einer katholischen Sekte
Folge 168
Radikal das Christentum leben, das ist der Anspruch der Integrierten Gemeinde: im Beruf, im Privatleben, in Wirtschaftsfragen. Dieses Modell fasziniert in den 1970er-Jahren viele junge Menschen. Scharenweise schließen sie sich der Gemeinschaft in München und am Walchensee an. Doch was als Aufbruch beginnt, endet in einem totalitären System. Ein Leben, wie es die Urchristen einst führten – das ist der Anspruch der Integrierten Gemeinde. Gegründet nach dem Zweiten Weltkrieg in München, will die Gruppe die katholische Kirche erneuern. Gelebt wird meist in kommunenartigen Hausgemeinschaften, den sogenannten Integrationshäusern. Doch die hehren Ideale werden für immer mehr Mitgliederinnen und Mitglieder zum Albtraum: Frauen wird verboten, schwanger zu werden, Paare werden gezwungen, sich scheiden zu lassen, Kinder werden von ihren Eltern getrennt. Und jeder Cent muss abgegeben werden für den Aufbau der Gemeinschaft, der „neuen Familie“, wie es offiziell heißt. „Wenn jeder alles gibt, was er hat, dann hat die Gemeinde alles, was sie braucht“. Das ist das Mantra, das die Mitgliederinnen und Mitglieder immer wieder zu hören bekommen. Zweifel sind nicht vorgesehen. Denn wer sich
der Gemeinde widersetzt, widersetzt sich dem Willen Gottes. Das ist das Verständnis der Integrierten Gemeinde, die 1978 von Joseph Ratzinger in seiner damaligen Funktion als Erzbischof von München und Freising kirchlich anerkannt wird. Schon vorher war er der elitären Gemeinschaft eng verbunden, wie viele andere Bischöfe und Kardinäle. Für die Dokumentation haben die Autoren Eckhart Querner und Christian Wölfel mit mehr als einem Dutzend ehemaliger Mitgliederinnen und Mitglieder gesprochen und viele interne Dokumente ausgewertet. Einige Betroffene berichten erstmals öffentlich über ihr Schicksal, wie ihr Glaube missbraucht wurde, um Macht über sie auszuüben. Auch wenn die Gemeinschaft im Erzbistum München-Freising nach einer kirchenrechtlichen Untersuchung mittlerweile aufgelöst ist, fordern die ehemaligen Mitgliederinnen und Mitglieder von der Kirche eine echte Aufarbeitung: Sie wollen wissen, warum die Verantwortlichen lange nichts unternommen haben, obwohl die Missstände schon vor Jahrzehnten in offiziellen Akten der Kirche dokumentiert wurden. Und sie fragen sich: Wo sind die Millionen geblieben, die sie für die Integrierte Gemeinde aufgebracht und erwirtschaftet haben? (Text: BR Fernsehen)