A Glamorous Takeover

Queere Kultur hat schon immer die Mainstreamkultur beeinflusst und war häufig sowohl Wegbereiter als auch Spiegel für gesellschaftliche Umbrüche. Schon in den 1970er- und 1980er-Jahren brachten Künstler*innen wie David Bowie, Elton John, Prince oder Boy George normative Vorstellungen von Geschlecht und Sexualität ins Wanken. Jetzt übernimmt eine neue Generation das Ruder: ob in der Musik, in der Mode, im Tanz, in der Oper, im Schauspiel oder in der Bildenden Kunst. Ihre Identität ist ganz selbstverständlich Teil ihrer Kunst und stellt so jedwede „Norm“ infrage.
Tarik Tesfu besucht die Künstler*innen bei sich zu Hause und in ihrem Studio, er taucht ein in ihr Reich. In persönlichen und emotionalen Gesprächen erfährt er, was sie inspiriert und motiviert, welchen Stellenwert ihre Identität in ihrem Schaffen einnimmt. Dabei wird Tarik, zumindest für einen kurzen Moment, Teil ihrer Welt.
Johannes Jaruraak, in der Szene besser bekannt als Hungry, hat sich in den letzten Jahren einen ganz eigenen Stil als Distorted Drag Artist geschaffen. Hungry tritt weltweit bei Performances auf und zeichnet sich durch ihre außerweltlichen, manchmal insektenartigen Styles aus. Der isländische Popstar Björk hat sie für sich entdeckt. Auf ihrem neuesten Album unterstützt Hungry die Sängerin mit ihrem sehr speziellen Make-up und ihren Kostümentwürfen. „Ich will hinterfragen, was man als schön erachtet“, verrät Hungry Tarik. Und nimmt die Zuschauer*innen mit in ihre bayerische Heimat, erstmals auch am heimischen Frühstückstisch im verwirrenden Distorted Drag Look. Gemeinsam mit Tarik inszeniert Hungry in der Neuen Nationalgalerie in Berlin einen spektakulären neuen Look. (Text: NDR)

Der hoch gehandelte Trans-Maler Oska Gutheil stellt regelmäßig in New York aus, aktuell etwa in der renommierten und weltweit bekannten Hort Family Collection. Die Bilder von Oska hängen bei den Horts u.a. neben Neo Rauch, Rosa Loy und Cindy Sherman. Gutheils letzte Ausstellung „Hirngespinst“ war im April extrem gut besucht und innerhalb kürzester Zeit nahezu komplett ausverkauft. Die großformatigen Gemälde des Künstlers sind bevölkert von bunten Hybridwesen, teils Mensch, teils Fabeltier. Oska hinterfragt in seiner Malerei soziale Normen und das Konstrukt, das als Realität bezeichnet wird. In seinen oft biografisch angelehnten Arbeiten spielen Genderklischees, Transformation und die eigene Rollenfindung eine ganz entscheidende Rolle.
Tarik besucht Oska und seine Hündin Maggie in seinem Atelier in Kreuzberg. Gemeinsam mit Freunden stellen sie sein Bild „Kotti“ nach. Schon seit Kindesbeinen im Tomboy-Look und nach 40 Jahren als queere Frau, entscheidet sich Oska 2019, eine Transition zu machen und als der Mann zu leben, der er immer war. Er erzählt Tarik, wie sich die Kunstszene in den letzten Jahren geändert hat. Zu Beginn seines Kunststudiums sei er als queere Frau noch eine Seltenheit gewesen. Heute habe man fast den Eindruck, queer zu sein gelte als Eintrittskarte für die Kunsthochschule. (Text: NDR)

Die Ballroom Community, in den 1970er- und 1980er-Jahren im New Yorker Stadtteil Harlem von Schwarzen Transfrauen ins Leben gerufen, erobert seit rund zehn Jahren auch Deutschland. Tarik Tesfu trifft in Berlin auf Seyram Ablavi Mawududzi, kurz Ablavi, eines der vielversprechendsten Talente in der Berliner Ballroom Community. Tarik begleitet Ablavi bei ihren Vorbereitungen vor einem Ball. Seit Kurzem gehört sie zum Iconic House of Juicy Couture. Alle Ballroom Aktivist*innen sind in sogenannten Houses organisiert, eine Art Ersatzfamilie. Tarik begleitet Ablavi und ihre Freundinnen zum Training für den nächsten großen Wettbewerb.
Im Ballroom erschaffen die Tänzer*innen ihre eigene Welt. Status und Glamour überhöhen sie mit großen Voguing-Posen auf dem Catwalk. Popstars wie Beyoncé, Lady Gaga, Lil Nas X feiern die Kultur und bedienen sich ihrer Codes. Kein Wunder also, dass Voguing zusehends auch die deutsche Tanzszene erobert. Eine Entwicklung, die viele in der Ballroom Community nicht unkritisch sehen. Sie gilt bei vielen Transfrauen und -männern, oft mit PoC oder indigenem Background, traditionell als Safe Space. In aller Regel ist sie deshalb Außenstehenden verschlossen.
Der Besuch des Balls an der Seite von Ablavi ist ein großes Privileg für Tarik und das Team. Tarik erlebt die extravaganten und außergewöhnlichen Performances der Tänzer*innen hautnah mit. Kann Ablavi bei ihrem Walk einen weiteren Pokal mit nach Hause nehmen? (Text: NDR)