„Stumptown“: Cobie Smulders verteilt Prügel in Portland – Review

„HIMYM“-Star als zynische Privatdetektivin veredelt temporeiche ABC-Comicverfilmung

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 24.12.2019, 08:15 Uhr

„Stumptown“: Dex (Cobie Smulders, M.) zwischen Kumpel Grey (Jake Johnson) und Cop Miles Hoffman (Michael Ealy) – Bild: ABC
„Stumptown“: Dex (Cobie Smulders, M.) zwischen Kumpel Grey (Jake Johnson) und Cop Miles Hoffman (Michael Ealy)

Die schöne Stadt Portland in Oregon trägt den Spitznamen „Stumptown“, weil die Menschen dort zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch von abgesägtem Baumstumpf (stump) zu Baumstumpf hüpfen mussten, um sich im sumpfigen Gelände fortzubewegen. Seitdem tragen noch viele Produkte, die dort hergestellt werden, diesen Begriff im Namen – und eben auch die Krimi-Comics von Greg Rucka, Matthew Southworth und Justin Greenwood. Diese sind jetzt für das Network ABC verfilmt worden, in klassischem 45-Minuten-Procedural-Format. Und bloß Einheimische und Portland-Fans werden merken, dass überwiegend keinesfalls im pazifischen Nordwesten, sondern schnöde in Los Angeles gedreht wurde.

Rucka, Southworth und Greenwood selbst sind als Produzenten an der Serie beteiligt, für den Bildschirm entwickelt wurde sie von Jason Richman, der 2002 die längst vergessene Anthony-Hopkins-Actionklamotte „Bad Company – Die Welt ist in guten Händen“ schrieb und später dann die Krimiserie „Detroit 1–8–7“, die es trotz „Die Sopranos“-Veteran Michael Imperioli in der Titelrolle nicht nach Deutschland schaffte und nach einer Staffel eingestampft wurde. Keine großen Lorbeeren sind das, trotzdem könnte es für Richman mit dem neuen Projekt besser laufen – schon allein, weil „How I Met Your Mother“-Star Cobie Smulders darin ins Seriengeschäft zurückkehrt: in der Rolle der zynischen, bisexuellen Privatdetektivin Dex Parios, die klar im Zentrum der Episoden steht.

Zu Beginn ist Dex allerdings noch keine Detektivin, stattdessen führt sie ein unstetes Leben ohne festen Beruf: spielsüchtig, trinkfest und außerdem an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidend, seit einem Einsatz in Afghanistan. Dort war sie für die Marines tätig, bis sich in ihrer Nähe ein furchtbarer Anschlag ereignete. Zurück in Portland muss sie sich um ihren jüngeren, mit dem Down-Syndrom lebenden Bruder Ansel (Cole Sibus) kümmern, der sie schon in der ersten Episode, nachdem Dex erneut Geld verspielt hat, bang fragt: „Geht es uns noch gut?“

Das klingt deprimierend, doch der Tonfall ist ein gänzlich anderer. Die Inszenierung von James Griffiths („Cuban Fury“) besitzt einen guten Vorwärts-Drive, hat Sinn für knackige Gags und schön skurrile Actionsequenzen, die die Comic-Herkunft im Bewegtbild stets erkennbar halten. Mit einer solchen Sequenz beginnt schon die Pilotfolge: Darin arbeitet sich Dex aus dem Kofferraum, in dem sie von zwei Kleinganoven gesperrt wurde, in den Innenraum ihres klapprigen Wagens vor, um die beiden Widersacher dort zu attackieren, was, während Neil Diamond aus dem Autoradio säuselt, zu einem klassischen Auto-Stunt samt Flugeinlage führt, die sich augenzwinkernd irgendwo zwischen 007 und „Ein Colt für alle Fälle“ einordnen lässt.

Facettenreich: Dex (Cobie Smulders) hat noch die Spuren von der letzten Schlägerei im Gesicht, knabbert aber nervös am Fingernagel, wenn es um die finanzielle Zukunft geht.

Die Szene ist ein Vorgriff auf späteres Geschehen (und wird dementsprechend noch einmal, anders perspektiviert, wiederaufgenommen) und führt schon zwei Running Gags ein: erstens das defekte Autoradio in Dex’ Wagen, das sich in den absurdesten Augenblicken stets mit unfreiwillig kommentierenden Songs zu Wort meldet, und zweitens die ständigen Gespräche über guten oder schlechten Kaffee (hier von den Ganoven geführt), die offenbar zum alltäglichen Plauderton in der Kaffeeröster- und Foodiemetropole Portland gehören; wie überhaupt an jeder zweiten Story-Ecke auf die durchgentrifizierte neue Konsumwelt in der Stadt mit ihren versnobten „Mixologen“ und Yelp-bewerteten Edel-Imbissen angespielt wird.

Bevor diese erste Actionszene also wiederkehrt, wird eine Origin Story erzählt: wie Dex Parios zur Privatdetektivin wird. Weil sie bei Sue Lynn Blackbird (Tantoo Cardinal), Chefin eines Indianerkasinos, mit sechsstelligem Betrag in der Kreide steht, nimmt sie das Angebot an, nach deren offenbar gekidnappten Enkelin Nina zu suchen – im Gegenzug würden ihre Schulden getilgt. Bei den provisorischen Ermittlungen in diesem (leider wenig spannenden) Fall geht zunächst einmal ziemlich viel schief, Dex verschlimmbessert die Lage sogar, ehe sie die Sache am Ende natürlich doch noch löst, doch auf dem Weg dorthin gibt es viel Gelegenheit, ihr Umfeld kennenzulernen – etwa Tookie (Adrian Martinez), der einen der für Portland typischen Food Trucks betreibt und sich als jemand, der viele Leute kennt, als idealer Informant für Dex in Stellung bringt. Oder Grey McConnell (Jake M. Johnson, „New Girl“), der seit Jahren ihr bester Kumpel ist, gerade eine Bar eröffnet. Eher am Rande werden kurze Schlaglichter auf Dex’ traumatische Vergangenheit geworfen: Ihr Ex-Verlobter Ben starb in Afghanistan, zuvor hatte dessen Mutter – niemand Geringere als Sue Lynn – das Paar auseinandergebracht, und die vermisste Nina ist Bens Tochter.

Die Freundschaft zwischen Ansel (Cole Sibus) und Grey (Jake Johnson) verbindet auch Dex und Grey.

Es ist schließlich noch jemand anderem zu verdanken, dass für Dex aus diesem persönlichen Fall eine mögliche Karriere als Privatdetektivin erwachsen kann: Detective Miles Hoffman (Michael Ealy, „Secrets and Lies“), mit dem sie es erst wegen unbezahlter Bußgelder, dann im Rahmen des Vermisstenfalls zu tun bekommt und mit dem sie dann auch einen One Night Stand absolviert, deutet am Ende an, sie auch in Zukunft als Informantin/​Unterstützerin berücksichtigen zu wollen. Hoffmans Vorgesetzte Cosgrove (Camryn Manheim aus „Practice – Die Anwälte“) ist da schon skeptischer.

Damit ist die Startrampe für eine klassische Ermittlungsdramaturgie mit stetem Nachschub an „Fällen der Woche“ aufgestellt, doch „Stumptown“ hat erkennbar mehr im Sinn – nämlich horizontal erzählte Charakterbögen, die hier stärker im Vordergrund stehen als bei (den meisten) handelsüblichen Procedurals. Die zweite Episode, erneut von Griffiths inszeniert und (anders als im Piloten) mit comic-zeichnerisch umgesetzten Szenenüberblendungen ausgestattet, lässt erkennen, dass die Schwerpunkte in den Episoden jeweils unterschiedlich gesetzt werden und Dex’ Beziehungen zu den anderen Figuren nach und nach und auch per Rückblenden in den Fokus genommen werden. So kommen diesmal etwa Tookie und Sue Lynn, obgleich wiederkehrende Figuren aus der Stammbesetzung, gar nicht vor, dafür steht Grey im Zentrum: Dex hatte ihn nach ihrer Rückkehr aus Afghanistan kennengelernt, doch nach einer ersten Liebesnacht hatten sie sich gegen eine Beziehung und für eine Freundschaft entschieden. Reine Freundschaften zwischen Mann und Frau werden in Filmen und Serien ja nach wie vor sehr selten porträtiert, insofern dürfte es spannend werden zu sehen, wie sich das auf Dauer ausgeht – die Chemie zwischen Johnson und Smulders jedenfalls stimmt.

Der „Fall der Woche“ in Episode zwei fällt etwas aufregender aus als jener in der Pilotepisode. Er erzählt vom naiven Erben eines Wein-Imperiums (herrlich: „Transparent“-Star Jay Duplass), der sich in eine Betrügerin (Zosia Mamet aus „Girls“) verliebt. Erneut schlägt der Plot da mindestens einen überraschenden Haken, und auch hier gelingt es den Autoren, den Fall für die Charakterentwicklung der Hauptfiguren fruchtbar zu machen: In der unbedingten Liebessehnsucht des Mannes spiegelt sich Dex’ Zynismus, hinter dem sich frühere Traumata verbergen. Und Grey, der mal wegen schweren Diebstahls im Knast saß, wird von einer Gestalt aus seiner Vergangenheit heimgesucht, die am Ende – reizvolle Überleitung in kommende Folgen – tot aufgefunden wird.

Das Umfeld: Wegen der entführten Enkelin von Sue Lynn Blackbird (Tantoo Cardinal, l.) sind die diplomatische Lieutenant Cosgrove (Camryn Manheim, M.) und Detective Miles Hoffman (Michael Ealy, r.) bei der dickköpfigen und durchsetzungsstarken Stammesfrau – die die Angelegenheit allerdings lieber selbst regeln will.

Dex präsentiert sich in diesen frühen Episoden als reizvoll widerspenstige Figur, und Smulders gelingt es sehr gut, ihre verschiedenen Facetten sichtbar zu machen. Scheinbar mühelos und mit mitunter sehr effektiver Plötzlichkeit wechselt sie zwischen sarkastischem Gag-Modus, tiefer Verletzlichkeit und knüppelhartem Nahkampf ab – letztere Handfestigkeit hat sich der frühere Sitcom-Star in der Zwischenzeit schon als S.H.I.E.L.D.-Agentin Maria Hill in diversen Marvel-Filmen draufgeschafft (und auch im zweiten „Jack Reacher“-Kinofilm, in dem sie ebenfalls eine Afghanistan-Veteranin verkörperte). Inwiefern die moralische Zwiespältigkeit ihrer Figur und ihr „unchristliches“ Leben weiter Thema bleiben, muss sich noch erweisen – es wäre nicht das erste Mal, dass ein kommerzielles Network wie ABC, zudem zu Disney gehörend, solche Ecken und Kanten allmählich abschleifen ließe. Das wäre freilich sehr schade, ginge damit doch das wesentliche Alleinstellungsmerkmal verschütt. Die eigentlichen Kriminalfälle dürften sich sowieso, wie in derlei Procedural-Serien üblich, zwischen hit und miss einpendeln, da wird es also zwangsläufig vor allem auf die Protagonisten selbst ankommen. Der Anfang allerdings geriet vielversprechend: Das Beziehungsgeflecht der Protagonisten fällt überraschend komplex aus und macht Lust auf mehr. Und neben CBS’ „Evil“ ist dies, fürs Erste, die originellste neue Krimiserie der Saison.

Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten zwei Episoden der Serie „Stumptown“.

Meine Wertung: 3,5/​5

© Alle Bilder: ABC

In den USA wird „Stumptown“ seit September 2019 ausgestrahlt, die Serie hat sich bei ABC eine Verlängerung auf eine volle Staffel erarbeitet. Eine deutsche Heimat ist noch nicht bekannt – da sie von ABC Studios hergestellt und vertrieben wird, dürfte die ProSiebenSat.1-Gruppe über einen Rahmenvertrag Zugriff haben.

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am

    Als Cobie Smulders Fan freue ich mich auf die Serie. Habe seit ihrer US-Premiere auch fast nur positives darüber gelesen. Nur nen deutschen Termin gibts leider bisher nicht. Pennen die Sender? Oder wollen die schlicht keine gute Qualität senden.

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