„Der Pass“: Feines Frösteln mit Julia Jentsch – Review
Der deutsch-österreichische „Die Brücke“-Ableger hochspannend und brillant in Szene gesetzt
Rezension von Gian-Philip Andreas – 01.12.2019, 19:00 Uhr (erstmals veröffentlicht am 25.01.2019)
Der Oberkörper liegt in Österreich, die Beine in Deutschland: Hoch droben auf einem verschneiten Gebirgspass wird eine Leiche gefunden, genau auf einem Grenzstein. „Der aane kriegt den Kopf, der andre den Oasch“, kommentiert das der widerwillig herangekarrte Inspektor Gedeon Winter, dessen Nachname nicht nur die Spielzeit der Handlung, sondern auch seine niedrigtemperierte Lebenseinstellung und vielleicht auch seine Sicht auf die Welt widerspiegelt, die dem Zuschauer aus dieser neuen Sky-Deutschland-Produktion entgegenfröstelt. Die bayrische Beamtin Ellie Stocker, die dem fetthaarig-korpulenten Österreicher da in roter Funktionsjacke übermotiviert entgegentritt, blond und zierlich und freundlich, ist sein genaues Gegenteil. Beide werden zusammenarbeiten müssen in den kommenden Wochen.
Grenzüberschreitene Ermittler sind in Krimiserien kein originelles Ding mehr, von den seligen „Eurocops“ bis zu den „Toten vom Bodensee“ und vergleichbaren Produktionen sie ein ideales Vehikel, um beim Abhandeln mehr oder weniger komplizierter Fälle halbsatirische Seitenblicke werfen zu können auf die Eigenheiten der Nachbarkommissare. Dabei haben sich diverse liebgewonnene Klischees etabliert, die dem normalen Fernsehkrimigucker zur behaglichen Heimstatt geworden sind. Auf eine neue Stufe – und aus dem Gemütlichen heraus – gehoben hat dieses Prinzip die Serie „Die Brücke – Transit in den Tod“ um die grenzautistische Polizistin Saga Norén aus dem schwedischen Malmö und ihre dänische Kollegen jenseits der Öresundbrücke. Die inzwischen vier sehenswerten Staffeln schlugen derart ein, dass es inzwischen diverse Franchise-Ableger in anderen Ländern gab und gibt. Die US-Version „The Bridge“ aus dem Grenzgebiet zu Mexiko ist ebenso schon wieder eingestellt worden wie die britisch-französische Variante über den „Eurotunnel“. Und nach einer russisch-estnischen sowie einer malaysisch-singapurischen Ausgabe folgt nun die austro-deutsche: im Grenzgebiet zwischen Berchtesgaden und Salzburger Land. Eine öde Kopie muss man zum Glück nicht erwarten. Jenseits der Grundkonstanten, also den gegensätzlichen Ermittlern, dem länderüberschreitenden Fall und einem weltverbesserungsbewegten Mörder, bewegt sich „Der Pass“ in erfreulich eigenständigen Bahnen.
Die eingangs erwähnte Leiche wird in gebückter Haltung vorgefunden. Sie hat Messerstiche im Hals, Rohypnol im Blut und einen Pferderschweif in der Hand, wurde offensichtlich gezielt auf die Grenzsteinposition transportiert. Es stellt sich heraus, dass der Tote ein bulgarischer Schlepper war, der für den grausigen Tod von Geflüchteten verantwortlich war. Bald schon gibt es weitere derart hindrapierte Opfer. Es tauchen Audio-Aufnahmen des Mörders auf, der das Herannahen eines „roten Zeitalters“ erwartet und offenbar so etwas wie eine moralische Tiefenreinigung der Menschheit anstrebt. Eine zufällig Überlebende – die spanische Geliebte eines korrupten Unternehmers – beschreibt den Mörder als maskierte, gehörnte Schreckensgestalt im Fellmantel. Er sieht aus wie der Krampus, jene ost-alpine Variation von Knecht Ruprecht, der in der regionalen Mythologie wie ein strafseliger Sidekick mit dem Nikolaus durch die verschneiten Täler zieht. Die weihnachtliche Gruppe aus Nikolaus, Krampus und Engeln nennt man dort auch, horch horch, „Pass“. Wer der narzisstisch gestörte, aufmerksamkeitssüchtige Mörder ist, differenziert gespielt von Franz Hartwig, erfährt der Zuschauer übrigens sehr früh – „Der Pass“ präsentiert sich keineswegs als Whodunit-Krimi, sondern als klar am „Schweigen der Lämmer“ geschulter Psychothriller, in dem das Katz-und-Maus-Spiel mit den Ermittlern und deren Beziehung untereinander im Vordergrund stehen.
Julia Jentsch („Sophie Scholl – Die letzten Tage“, „Die fetten Jahre sind vorbei“, „24 Wochen“) hat es als Ellie Stocker eingangs dementsprechend schwer, Ofczarek etwas entgegenzusetzen – doch auch ihre Figur ziehen berufliche Rückschläge, private Missgriffe und das allgemein Entsetzliche des zu bearbeitenden Falls, der doch der erste „große“ Fall dieser ehrgeizigen Jägerstochter sein sollte, dankenswerterweise bald in eine andere Richtung.
Was „Der Pass“ aber abhebt von der Masse ist die herausragende Inszenierung, besorgt von den Autoren Cyrill Boss und Philipp Stennert höchstselbst. Das eingespielte Kreativduo („Die Dasslers“) packt die Geschichte in eine derart frostige Atmosphäre, dass man immer wieder an eine Winterversion von „True Detective“ denken muss. Die klaren, tollen Bilder von Kamera-Chef Philip Peschlow, angereichert mit erhabenen Fahrten über die Wipfel, Gipfel und Schneefelder der Alpentäler, mit abgründigen Bildern von magischen Bäumen, Wölfen, krächzenden Raben, flirrenden Stromautobahnen und Pistenräumfahrzeugen in der Nacht, tragen ebenso dazu bei wie das exzellente Sounddesign, das im Zusammenspiel mit der dräuenden, unheilvollen Musik von Jacob Shea (dessen Lehrer Hans Zimmer den Soundtrack produzierte) mal wieder eindrucksvoll unter Beweis stellt, wie essenziell eine intensive klangliche Gestaltung dafür ist, den Zuschauer ins Geschehen hineinzuziehen. Dass Zimmers „Inception Sound“ (auch als BRAAAM bekannt) dabei als waberndes Untergeräusch eine wichtige Rolle spielt, passt: Mit guten Kopfhörern oder wirkmächtigem Subwoofer jagt’s einem kalte Schauer den Rücken runter. Die Grundstimmung einer gesamtgesellschaftlichen Vergletscherung überträgt sich jedenfalls sehr schnell.
Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten drei Episoden von „Der Pass“.
Gian-Philip Andreas
© Alle Bilder:
„Der Pass“ wird ab dem 1. Dezember in vier Teilen sonntags und montags um 22:15 Uhr als Free-TV-Premiere im ZDF ausgestrahlt.
Über den Autor
Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) - gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).
Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation
Kommentare zu dieser Newsmeldung
User_389305 am
Ich habe "Der Pass" in der Mediathek zu Ende geschaut, weil ich die Spannung kaum ausgehalten habe. Was die Spannung betrifft, finde ich die Serie auch wirklich richtig gut. Auch die beiden Hauptdarsteller finde ich sehr gelungen in ihrem Zusammenspiel. Allerdings gab es einige Ausreißer der Handlung in irreführende Richtungen, die ich bis heute nicht vertstanden habe.Mork-vom-Ork am
Mag ja sein, dass diese Serie gut ist. Da ich den österreichischen Hauptdarsteller allerdings nicht verstanden habe, habe ich nach einer halben Stunde ausgemacht.zynicus am
Erfreulich, dass hier doch einige Klischees nicht erfüllt werden.
Es gibt immer wieder einige andere Verläufe als sonst.
Die Aufnahmen sind professionell, wie man sie aus Amerikanischen Filmen bzw Serien kennt.
Die Musik auch sehr professionell, passend und düster.
Und das Zusammenspiel der beiden Protagonisten paßt auch.
Vor allem der österreichische (Wiener) Humor (Schmäh), sticht halt, wie so oft, die bierernsten Deutschen aus. Auf jeden Fall ein nettes Gegenspiel und doch nicht so platt, wie sonst gewohnt. Ein bisserl a Schmäh da, ein bisserl etwas morbides dort.
Einzig die Länge ist zu bemängeln. 6 Folgen hätte es wohl auch getan.
Auf jeden Fall eine gelungene (Mord-)Serie auf allerhöchsten professionellen Niveau produziert. Da braucht man sich vor Netflix, HBO & Co nicht verstecken.Elcheline am
Leider nicht meins.. Wie alle anderen serien von sky. Ich habe immer das gefühl das ich was nicht verstehe. Dann sind 30 sekunden spannung und dann nur noch dialoge die ich manchmal nicht verstehe. Ich wünsche der serie aberviel erfolg.Sentinel2003 (geb. 1967) am
Ich kann psterreichischen, nicht verstehbaren Akzent in deutschen Filmen NICHT ab, wenn man da null was versteht!!
Außerdem ist für mich weiterhin das ORIGINAL, daß jetzt als zum zigsten male ein Reboot bekommen hat: "Die Brücke - Transit in den Tod" mit Sofia Helin NICHT zu toppen!!eumel am
Leider nicht meins! Viel Düsterkeit, rituelle Morde, drogenabhängige Polizisten, österreichisches Genuschel und eine große Packung Klischees haben mich über die erste Folge nicht hinausschauen lassen.ragner65 (geb. 1965) am
Kann obige Bewertung von Gian-Philip nur beipflichten. Endlich kommen aus deutschen und österreichischen Landen wirklich gute und unterhaltsame Serien. z.b.auch: Das Boot, Babylon Berlin, The Dark....Werner111 am via tvforen.de
Da freu ich mich schon drauf. Sicher wieder eine Paraderolle für den großartigen Charakterdarsteller Nicolas Ofcarek.
heute geht's los....anhalt1 am via tvforen.de
habe jetzt die erste Folge gesehen und ich fand es richtig gut.