Welt im Aufbruch, Folge 1–9

  • Folge 1
    Die Menschen ringen um Fassung: „Ich eröffne das neue Jahrhundert!“, ruft Emile Zola nach Kräften. Er steht in der jubelnden Menge, seine Stimme überschlägt sich: „Ich bin ganz sicher: Wahrheit und Gerechtigkeit werden sich durchsetzen. Die Wissenschaft rechtfertigt unseren Traum – den Wunsch nach einer besseren Welt.“ Dann greift der berühmte Dichter zum neuen Fotoapparat, um die Pariser Weltausstellung ringsherum zu dokumentieren.
    Zur Jahrhundertfeier der Revolution war der Eiffelturm als Symbol für das Zeitalter der Wissenschaft und Industrie errichtet worden. 1900 protzt hier die „Exposition universelle“ mit Rekorden: 40 von damals 86 Nationen wetteifern mit technischen Neuerungen um Ruhm und Ehre: die Deutschen mit ihren Dynamos, Russland mit der Transsibirischen Eisenbahn, die Amerikaner mit Edisons Glühbirne.
    Ungeheurer Fortschrittsglaube beseelt die Menschen, der Blick in die Zukunft ist rosig. Telefon, Automobil – der Erfindergeist der Ingenieure und das Entdeckerglück der Forscher beflügeln die Fantasie. Doch Zolas „bessere Welt“ blieb ein Traum – auch 100 Jahre später werden trotz Computer und Gentechnik nicht Hunger und Ungerechtigkeit aus allen 192 Staaten verschwunden sein. (Text: Phoenix)
  • Folge 2
    Als ihr geliebter Albert mit nur 42 Jahren stirbt, klagt Königin Viktoria von England: „Wie kann ich noch am Leben sein? Ich, die ich täglich bete, dass wir zusammen sterben mögen.“
    Die Menschheit trägt Trauer – Britannien ist Weltmacht Nummer eins. Bis zu ihrem eigenen Tod trug sie schwarz – 40 Jahre lang. „Viktorias Tod war der Sonnenuntergang familiärer Bindungen in der Politik“, sagt der Großneffe des Zaren, Nikolaj Romanow, Prinz von Russland, im ZDF-Gespräch. „Danach war nichts mehr, wie es vorher war.“
    Im Jahr 1901 vereint die Trauer um die „Großmutter Europas“ die Herrscher der alten Welt ein letztes Mal. Mit dem Ende der 64-jährigen (!) Regentschaft der britischen Königin und Kaiserin von Indien und damit dem Ende des Viktorianischen Zeitalters, brechen die Rivalitäten in der internationalen Politik auf: Ein Jahrhundert der Zwietracht beginnt – mit unzähligen Krisen und zwei Weltkriegen. (Text: Phoenix)
  • Folge 3
    17. Dezember 1903 – es ist bitterkalt und windig. In North Carolina stehen zwei Männer vor einem Ungetüm aus Holz, Draht und Spanntuch. Einer der beiden klettert hinein: Orville Wright. Bruder Wilbur wirft den Propeller an, bringt so den klobigen Motor auf Touren. Endlose Augenblicke der Ungewissheit. Dann hebt das Gefährt tatsächlich ab. Zwölf Sekunden schwebt „Flyer 1“ über den Sandboden.
    „Das ist der erste Motorflug in der Geschichte der Erde“, verkündet Orville stolz. „Erstmals ist eine Maschine gelandet, ohne zum Wrack zu werden.“ Wrights technische Tüfteleien und der unerschütterliche Mut – der Anfang einer Erfolgsgeschichte. Das Zeitalter der motorisierten Luftfahrt beginnt. Doch nur elf Jahre später schockieren Flugzeuge die Welt. Sie werden erstmals als tödliche Waffe eingesetzt – im Ersten Weltkrieg. (Text: Phoenix)
  • Folge 4
    Klarer Himmel und leichter Nordwind, lautet die Wettervorhersage für San Francisco am 18. April 1906. Doch dann gewaltiges Donnergrollen: Die Erde bebt. Star-Tenor Enrico Caruso stürmt aus dem „Palace Hotel“, versucht – wie 200.000 andere Menschen auch – die Stadt zu verlassen. Darunter: Schriftsteller Jack London. „In wilder Angst flohen die Menschen vor dem Feuer“, erinnert er sich, „schleppten ihre letzte Habe auf die Hügel. Doch das Feuer folgte ihnen unerbittlich.“ Ein Erdbeben der Stärke 8,3 erschütterte die kalifornische Metropole.
    Später entdeckten Geologen: Kalifornien liegt in der größten Erdbebenregion unseres Planeten. Alle 22 Jahre ist mit einem größeren Beben zu rechnen. Das Unglück war der Anfang etlicher Naturkatastrophen im 20. Jahrhundert: Allein 1976 beim Beben in China sterben 650.000 Menschen. Enrico Caruso kam nie mehr nach San Francisco. (Text: Phoenix)
  • Folge 5
    Alle Sorgen und Gedanken der Zarin Alexandra von Russland drehen sich um ihren schwer kranken Sohn: Der dreijährige Alexeij ist Bluter. Als er sich beim Spielen verletzt, geben ihn die Ärzte auf. Die letzte Hoffnung: „Wunderheiler“ Rasputin. Die Zarin ruft den Bauernsohn aus Sibirien an den Hof. Kaum tritt er ans Kinderbett, nehmen die Blutungen ab. Der kleine Prinz überlebt – ein Wunder? Fortan legt Alexandra das Schicksal der russischen Zaren-Dynastie in Rasputins Hände.
    Im Dezember 1917 ermorden ihn treue Monarchisten. Statt ihren Beratern hatte Alexandra einem Scharlatan vertraut. Das zeigt die Schwäche der klassischen Monarchie: eine Staatsform, in der eine einzige Person regiert – ein Grund, weshalb Monarchien im 20. Jahrhundert oft von Demokratien abgelöst wurden. (Text: Phoenix)
  • Folge 6
    Englands Premierminister Herbert Henry Asquith sitzt im Zug nach London. Plötzlich fliegt eine Eisenstange durchs Fenster seines Waggons. Die Täter: mehrere aufgebrachte Frauen. „Die Fenster der Regierung sollen zerbrechen“, rufen sie, „nicht die Körper der Frauen.“ Mit allen Mitteln kämpfen die „Suffragetten“ für ein Frauen-Stimmrecht – bis dato undenkbar im alten Europa.
    Dazu Deutschlands bekannteste Feministin Alice Schwarzer heute: „Man hat sie verhaftet, bös malträtiert und erniedrigend zwangsernährt.“ Erst Jahre später, nach dem Ersten Weltkrieg, wird das Aufbegehren der Frauenrechtlerinnen belohnt: Bei den Wahlen 1919 gehen sie unter mürrischen Blicken ihrer Männer in die Wahllokale – das große Aufholen der Frau hatte begonnen. (Text: Phoenix)
  • Folge 7
    All die Mühsal, all die Entbehrungen, all die Qual. Wofür? Für nichts als Träume, die jetzt zerbrochen sind. Robert Falcon Scott sinkt erschöpft und verzweifelt in die Knie. Der britische Marineoffizier hatte den Wettlauf zum Südpol verloren – und eine dunkle Vorahnung erfüllte ihn: „Mir graut vor dem Rückweg.“ Er behielt Recht: Seine ganze Mannschaft erfror in der Eishölle. Nur wenige Meilen vom rettenden Depot entfernt, verließen auch Scott die Kräfte. Sein letztes Tagebuchgekritzel: „Bitte sorgt für unsere Hinterbliebenen.“
    Als Erster hatte der Forscher Roald Amundsen den Südpol erreicht – am 14. Dezember 1911 hisste er dort Norwegens Flagge. Und war begeistert: „Eine endlose Ebene, die kein menschliches Auge je geschaut, kein menschlicher Fuß je betreten hatte.“ Die Welt respektierte diesen Erfolg – doch die Sympathien galten Scott. Ein Symbol für die bewahrte Menschlichkeit unserer Zeit: Vor der Geschichte gewannen im 20. Jahrhundert oft die, die verloren hatten. (Text: Phoenix)
  • Folge 8
    14. April 1912, kurz vor Mitternacht: Zum Abschluss des Zehn-Gänge-Menüs wird Mokka gereicht. Die Kapelle spielt einen Walzer. Urplötzlich rammt das größte Luxus-Schiff der Welt – die Titanic – einen gewaltigen Eisberg. An sechs Stellen wird das Schiff aufgeschlitzt. Es sinkt zu den Klängen des todes-trotzigen Salon-Orchesters. „Die Titanic sah aus wie ein riesiger Glühwurm“, erinnert sich Charlotte Collier. „Licht in jeder Kabine, auf allen Decks, allen Mastspitzen.“ Dann neigt sich der Rumpf nach vorn, die Brücke taucht in den Ozean, die Lichter erlöschen. Wie ein Turm hebt sich das Heck in die Höhe. Schreiend stürzen die Menschen in die kalte Tiefe. 1.500 Passagiere kommen ums Leben.
    Charlotte Collier überlebt – doch die schrecklichen Bilder haben sich für immer in ihr Gedächtnis eingebrannt. Nach Jahrzehnten riesiger technischer Fortschritte glaubten die Menschen damals, die Natur beherrschen zu können. „Daran hat sich nichts geändert“, so Harvard-Professor Steven Biel. „Noch immer nehmen wir Naturgewalten auf die leichte Schulter. Doch die Natur wird nie unser Untertan sein.“ (Text: Phoenix)
  • Folge 9
    Ich bin im Auftrag eines Höheren berufen, erklärt Kaiser Wilhelm II. Er fühlt sich von Gott eingesetzt, liebt die Inszenierung: 1913 schreitet er feierlich in Begleitung seiner sechs Söhne und samt Hofstaat vom Berliner Stadtschloss zum Zeughaus, weiht mit großem Pomp einige Fahnen. „Nichts geschah in Stille“, resümiert Schriftsteller Ludwig Thoma. „Selbst das Einfachste vollzog sich in bengalischer Beleuchtung.“
    Doch schon im folgenden Jahr hat der letzte deutsche „Über-König“ nichts mehr zu sagen: Militärs übernehmen die Macht. Seine Liebe zum Prunk teilt das deutsche Bürgertum bis heute: Der Mythos von der guten alten Kaiserzeit lebt. (Text: Phoenix)

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