„In with the Devil“: Stark gespielte, Sogwirkung entfaltende Thriller-Serie nach wahren Begebenheiten – Review

Kann inhaftierter Drogenhändler der Polizei bei Überführung eines Serienkillers helfen?

Rezension von Christopher Diekhaus – 09.07.2022, 14:52 Uhr

Jimmy Keene (Taron Egerton, rechts) soll dem mutmaßlichen Serienkiller Larry Hall (Paul Walter Hauser) auf den Zahn fühlen. – Bild: Gavin Bond/Courtesy of Apple
Jimmy Keene (Taron Egerton, rechts) soll dem mutmaßlichen Serienkiller Larry Hall (Paul Walter Hauser) auf den Zahn fühlen.

Ein verurteilter Rauschgifthändler erhält die Chance, seine Haftstrafe aufzuheben, sollte es ihm gelingen, aus einem ebenfalls im Gefängnis sitzenden mutmaßlichen Serienmörder belastende Hinweise herauszukitzeln. Die Prämisse der neuen Apple-Miniserie klingt zu verrückt, um wahr zu sein, ist aber sehr wohl von realen Begebenheiten inspiriert. Zusammen mit dem Journalisten Hillel Levin verfasste James Keene den autobiografischen Roman „In with the Devil: A Fallen Hero, A Serial Killer, and A Dangerous Bargain for Redemption“, der dem erfahrenen Krimi- und Thriller-Autor Dennis Lehane als Grundlage für seine erste Arbeit als Showrunner diente. Herausgekommen ist, das lässt sich nach drei von insgesamt sechs gesichteten Folgen mit einiger Sicherheit sagen, eine unter die Haut gehende, Frösteln hervorrufende Geschichte, die von einem durchweg beeindruckend aufspielenden Ensemble getragen wird. Während die meisten Streaming-Dienste neben ein paar echten Highlights viel Mittelmaß produzieren, ist es schon erstaunlich, wie selten Originals für die Apple-Plattform qualitativ nach unten ausreißen.

In der Vorstellung seines Protagonisten schlägt Serienschöpfer Lehane, der schon an einigen Fernsehprojekten, etwa „The Wire“ und „Mr. Mercedes“, beteiligt war, zunächst einen lockeren Tonfall an. James „Jimmy“ Keene (Taron Egerton) ist ein gutaussehender Lebemann, der auf eine erfolgreiche Footballkarriere während der Highschool zurückblickt, und es sich in einer schicken Villa gemütlich gemacht hat. Sein einnehmendes Lächeln und seine Redegewandtheit sind seine Waffen, mit denen er immer wieder Menschen um den Finger wickeln kann. Als Drogenhändler hat er es zu einigem Wohlstand gebracht. Die Überholspur ist sein Zuhause. Doch nicht alles läuft so glatt, wie er es gerne hätte. Bereits in den ersten Minuten kommt es zu einer ungemütlichen Szene, da sich ein Typ, mit dem er geschäftlich verbunden ist, betrogen fühlt und seine Entschädigung drastisch einfordert.

Meistens hat Jimmy allerdings die Zügel in der Hand. Selbst dann, wenn es irgendwie aussichtslos zu sein scheint. Bei seiner unerwarteten Verhaftung vergeht ihm das selbstsichere Grinsen nicht. Und auch als er durch einen fragwürdigen Deal mit der Staatsanwaltschaft länger als vermutet ins Gefängnis wandert, ist er nach dem anfänglichen Wutanfall wild entschlossen, das Beste aus seiner Lage zu machen. Mit allen, denen er hinter Gittern begegnet, kommt er gut aus. Von Beschwerden keine Spur. Was ihn in den Augen der FBI-Beamtin Lauren McCauley (Sepideh Moafi) zu einem Spezialauftrag befähigt. Keene soll sein Charisma nutzen, um das Vertrauen des in einer Hochsicherheitsanstalt für psychisch gestörte Verbrecher einsitzenden Larry Hall (Paul Walter Hauser) zu gewinnen und diesem Informationen zu Leichenverstecken entlocken. Das Geständnis, das der vermeintliche Mädchenmörder einige Zeit vorher abgelegt hat, könnte nämlich schon bald nichtig sein, weil er sich auf dessen unfreiwillige Entstehung beruft.

Jimmy Keene (Taron Egerton) muss sich an die neue Knastumgebung gewöhnen. Apple TV+

Taron Egerton, der durch die „Kingsman“-Spionagefilme internationale Bekanntheit erlangte, füllt die Rolle des stets etwas zu siegessicher dreinblickenden Posers überzeugend aus und zeichnet die Hauptfigur keineswegs als reinen Sympathieträger. Mehr als einmal möchte man der von Sepideh Moafi mit starker Präsenz gespielten McCauley auf die Schulter klopfen, wenn sie den arroganten jungen Dealer, dem alles wie ein Spiel vorzukommen scheint, zurechtstutzt. Die Szenen zwischen den beiden haben Energie, sind nie langweilig. Auch, weil die FBI-Agentin die eine oder andere Überraschung aus dem Hut zaubert.

Gemäß dem klassischen dramaturgischen Lehrbuch lehnt Jimmy das Angebot im ersten Gespräch ab, lässt sich aber dennoch dazu breitschlagen, einen Blick in die Akte Larry Hall zu werfen. Dass er sich letztlich umentscheidet, wird mit einem schicksalhaften Ereignis begründet, das dem sonst so selbstbewussten Häftling spürbar nahegeht. Sein Vater hat einen Schlaganfall erlitten und ist gesundheitlich so weit geschwächt, dass Jimmy mit ihm in zehn Jahren, wenn er das Gefängnis wieder verlassen kann, womöglich keine gemeinsame Zeit mehr haben wird. Hier lohnt es sich, kurz innezuhalten. Denn Keene Senior verkörpert kein Geringerer als Ray Liotta, der Ende Mai 2022 völlig unerwartet verstarb. Schon die erste Szene zwischen seinem unter Gewissensbissen leidenden Ex-Cop und dem eingebuchteten Filius zeigt, was für ein vorzüglicher Darsteller der Mann mit dem vernarbten Gesicht und den stechenden Augen war. All den Schmerz über die Versäumnisse als Vater packt Liotta in diese Begegnung, auf die in den nächsten Episoden noch weitere emotionale Momente folgen werden. Mit ihm, der oft nur auf seine gewiss eindringlichen Schurkenparts reduziert wurde, hat die Film- und Fernsehwelt wahrlich einen echten Charakterkopf verloren!

Ist Jimmy einmal bereit, den „Job“ anzunehmen, steigt die Spannungskurve kontinuierlich an. Dafür sorgt allein die brenzlige Situation, in die er sich durch sein „Ja“-Wort bringt. Unter Vortäuschung falscher Tatsachen wird er in den Hochsicherheitsknast transferiert, ist dort umgeben von wirklich gefährlichen Kriminellen, muss tunlichst darauf achten, nicht aufzufliegen, kann Hilfe von seiner Bezugsperson McCauley nur verzögert erhalten und hat zunächst Schwierigkeiten, eine Verbindung zu Hall aufzubauen. Ab und an wirft Lehane seinem Protagonisten ein vielleicht etwas zu forciertes Hindernis in den Weg. Insgesamt baut die Miniserie mit Keenes Verlegung aber immer mehr Druck auf und entfaltet eine beachtliche Sogwirkung.

Lauren McCauley (Sepideh Moafi) und Brian Miller (Greg Kinnear) setzen alles daran, Larry Hall zu überführen. Apple TV+

Dass es spannungstechnisch nie eintönig wird, liegt natürlich auch an der Grundkonstruktion der Handlung, die sich in zwei Erzählstränge aufspaltet. Einer dreht sich um Jimmys Erfahrungen. Der andere beschreibt die Arbeit der professionellen Ermittler, wobei wir zunächst, noch bevor klar ist, ob der junge Dealer als Spitzel eingesetzt wird, über sein Aktenstudium in die Vergangenheit eintauchen. Auf dieser Ebene begegnet uns Brian Miller, den Greg Kinnear in einer wunderbar austarierten Darbietung als engagierten, leise aufgewühlten Polizisten gibt. Akribisch geht er seiner Arbeit nach, verfolgt Spuren über die Grenzen seines Bundesstaates hinaus, handelt sich damit Kompetenzkonflikte ein und bleibt dennoch am Ball, weil er glaubt, den Richtigen gefunden zu haben. Von erstaunlicher Intensität ist beispielsweise seine erste Befragung Halls, bei der er sich langsam vorantastet und zu allem Überfluss mit den Zweifeln der im Raum anwesenden Polizeikollegen aus Larrys Heimatort herumschlagen muss. Ab dem Moment, in dem Jimmy in das neue Gefängnis einfährt, nimmt sich eben dieser Miller zusammen mit McCauley noch einmal zahlreiche alte Vermissten- und Mordfälle vor, da ihnen die Zeit bis zu Halls möglicher Freilassung davonläuft.

Hoch anrechnen muss man Dennis Lehane, dass er seine Serienkillerthematik, wenigstens in den ersten drei Folgen, nicht für billige Gewalteruptionen und voyeuristische Exzesse ausschlachtet. „In with the Devil“ kommt, vergleicht man die Miniserie etwa mit „Das Schweigen der Lämmer“, dem Überklassiker des Subgenres, eher gemäßigt daher. Großes Unbehagen stellt sich trotzdem ein, da es den Machern häufig gelingt, eine bedrückend-schaurige Atmosphäre zu kreieren. Ein entscheidender Faktor dabei ist freilich Paul Walter Hausers Interpretation des mutmaßlichen Täters, der mit altmodischem Backenbart und Faible für Bürgerkriegs-Reenactments dem üblichen Weirdo-Klischee zu entsprechen scheint. Dieser Larry Hall, den manche nur für einen pathologischen Lügner und Wichtigtuer halten, ist fraglos ein Exzentriker. Eindimensional wirkt er deshalb aber keineswegs. Vielmehr changiert der stets mit brüchig-hoher Stimme sprechende Mann zwischen tapsigem Teddybär, kindischem Trotzkopf und handfestem Frauenhasser. Auf den ersten Blick mag er schlicht gestrickt sein. Mehrfach treten allerdings auch eine gewisse Bauernschläue und echte Durchtriebenheit hervor. Den Teufel, der im Titel angekündigt wird, stellt man sich irgendwie anders vor. Und doch erzeugt fast jeder Auftritt Hausers ein mulmiges Gefühl. Das Böse hat viele Gesichter, trägt oft nicht die schlimmstmögliche Fratze, will uns offenbar die sich unnachgiebig zuspitzende Apple-Serie sagen.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten drei von insgesamt sechs Folgen der Miniserie „In with the Devil“.

Meine Wertung: 4/​5

Die ersten beiden Folgen der Miniserie „In with the Devil“ sind seit dem 8. Juli bei Apple TV+ verfügbar. Die Veröffentlichung der restlichen Episoden erfolgt im wöchentlichen Rhythmus.

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am

    Sehr spannend. Paul Walter Hauser war als Schauspieler schon in "Der Fall des Richard Jewel" herausragend gut!

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