Interview mit Michael Kessler: „’Kesslers Expedition’ ist das wahre Reality-TV“

Über die deutsche Fernsehlandschaft und YouTube-Stars – von Glenn Riedmeier

Glenn Riedmeier
Glenn Riedmeier – 23.07.2015, 09:30 Uhr

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Michael Kessler reist in der neuen Staffel von „Kesslers Expedition“ mit Mops Frida an die Nordsee© rbb/​Roland Albrecht

wunschliste.de: Wären Sie eigentlich beleidigt, wenn ich behaupte, dass Ihre Sendung „Kesslers Expedition“ und früher die „Berliner Nacht-Taxe“ im Grunde Reality-TV sind?

Michael Kessler: Nein, denn ich halte diese beiden Sendungen für das einzig wahre Reality-TV. Wir fangen darin die tatsächliche Realität ein und bilden sie originalgetreu ab. Es ist nichts geskriptet oder gefaked – von daher wäre diese Genrebezeichnung eigentlich die richtige, während viele andere Formate leider fälschlicherweise so bezeichnet werden.

Was glauben Sie, weshalb nicht mehr Sender auf „echte“ Reality setzen, sondern lieber geskriptete Scheinrealitäten zeigen?

MK: Weil sie ständig Sensationen brauchen und der tatsächlichen Realität nicht mehr trauen. Sie ist ihnen zu langweilig geworden und hat keinen Reiz – das glauben zumindest die Macher. Wir zeigen mit unseren Formaten allerdings, dass es diese Sensationsgier gar nicht braucht, und die ruhigere Normalität oft viel interessanter sein kann. „Kesslers Expedition“ erreicht zwar keine acht Millionen Zuschauer, ist aber eines der erfolgreichsten Formate im rbb. Es gibt also durchaus Menschen, die sich für echte Reality begeistern können.

Sie sind gerade von den Dreharbeiten zur mittlerweile elften Staffel von „Kesslers Expedition“ zurückgekommen. Worauf dürfen sich die Zuschauer diesmal freuen?

MK: Viel Wasser, viel Sonne, viel Strand! [lacht] Wir waren entlang der Nordsee unterwegs und ich bin nicht seekrank geworden! Ein lustiger Mops namens Frida hat mich begleitet, der das ganz toll mitgemacht hat. Es hat viel mit Weite, Freiheit, Ruhe und Entschleunigung zu tun. Ich war zum Beispiel vorher noch nie auf einer Hallig, auf der nur neun Menschen leben – und viele Zuschauer vermutlich auch nicht. Das war wieder eine ganz neue Erfahrung, auch weil wir noch nie so viel am Meer unterwegs waren.

Mit vier Huskys ging Michael Kessler bereits auf Winterexpedition© rbb/​Oliver Ziebe
Haben die Leute, denen Sie auf Ihren Reisen begegnen, manchmal Bedenken, dass sie von Ihnen auf den Arm genommen werden, weil Sie auch als Komiker bekannt sind?

MK: Inzwischen nicht mehr. Es war auch zu Beginn gar nicht so sehr die Angst, dass sie von mir auf den Arm genommen werden, sondern mehr eine Unsicherheit, weil sie die Sendung nicht kannten. Mittlerweile kennen viele das Format und freuen sich, wenn Sie von mir angesprochen werden.

Gehen eigentlich allmählich die Ideen für „Kesslers Expedition“ aus?

MK: Nein, noch nicht! [lacht] Wir drehen in diesem Jahr noch zwei neue Expeditionen. Demnächst ziehe ich mit einem speziellen Fahrrad über die Alpen, was für mich körperlich wieder eine äußerst anstrengende Tour wird. Und im Herbst geht es auf die Romantische Straße von Würzburg Richtung Schloss Neuschwanstein. Also, für dieses Jahr sind wir versorgt und wir hätten auch schon eine Idee fürs nächste Jahr.

Wir müssen unbedingt noch mindestens einen Satz über „Switch Reloaded“ verlieren. Viele Zuschauer wünschen sich die TV-Parodieshow zurück. Gibt es Neuigkeiten über eine eventuelle Fortsetzung?

MK: Leider nicht, es gibt von Seiten des Senders ProSieben aktuell keine Pläne, „Switch Reloaded“ wiederaufzunehmen. Momentan ist da Funkstille. Es ist allerdings vielleicht auch gar nicht so schlecht, mal etwas zu pausieren – so wie es ja schon einmal der Fall war. Ganz grundsätzlich halte ich das Konzept der Sendung aber nach wie vor für stimmig, da es auch die wichtige Funktion des satirischen Spiegels der Medienbranche übernimmt. Mal gucken, vielleicht geht es irgendwann weiter.

Sie schreiben für die Programmzeitschrift TV Digital regelmäßig eine Kolumne, in der Sie sich kritisch mit dem Fernsehgeschehen befassen. Was ist Ihrer Meinung nach aktuell das größte Ärgernis im deutschen Fernsehen?

MK: Das größte Ärgernis ist für mich, dass das angekündigte Ende von Scripted Reality letztendlich doch nicht eingetreten ist, sondern sich solche Formate weiterhin ins Programm schleichen. Der Trash wurde leider immer noch nicht verbannt, obwohl diese Art von Fernsehen wirklich niemand braucht. Damit will ich nicht sagen, dass jeder Sender wie arte oder Phoenix aussehen sollte. Wir brauchen natürlich auch gute Unterhaltungsformate, aber diese sollten dann auch gut gemacht sein – und davon haben wir momentan viel zu wenig.

Wenn Sie eine Sache im Fernsehen sofort ändern könnten, was wäre das?

MK: Neben Scripted Reality finde ich alle Castingshows schrecklich. Ich würde diese Sendungen abschaffen, weil das meiner Meinung nicht die richtige Art und Weise ist, mit jungen Menschen umzugehen.

Viele junge Menschen haben sich mittlerweile ohnehin vom klassischen Fernsehen abgewendet und im Internet neue Helden in Gestalt von sogenannten „YouTube-Stars“ gefunden. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

MK: Bei dem aktuellen TV-Programm wundert es mich nicht, dass viele Zuschauer vergrault wurden. Allerdings kann ich den Erfolg vieler YouTube-Stars auch nicht wirklich nachvollziehen, vielleicht weil ich ein anderes Verständnis von Humor habe. Einige mögen sicher das Talent haben, lustige Clips von wenigen Minuten zu produzieren, aber haben sie auch das Talent eine unterhaltsame 30- oder 60-minütige Fernsehsendung auf die Beine zu stellen? Das ist ein großer Unterschied!

Abgesehen von neuen Staffeln ihrer Sendungen „Kessler ist …“ und „Kesslers Expedition“ – auf welche Projekte können sich die Zuschauer in Zukunft mit Ihnen freuen?

MK: Wir drehen im Sommer den dritten Teil der „Vampirschwestern“, der voraussichtlich Anfang nächsten Jahres ins Kino kommt. Im November kommt außerdem ein schöner Film namens „Schmidts Katze“ mit mir, der innerhalb der Reihe „Debüt im Dritten“ im SWR Fernsehen gezeigt wird. Das Langfilmdebüt des jungen Nachwuchsregisseurs Marc Schlegel zeichnet sich durch viel skurrilen Humor aus und ich darf darin schwäbisch sprechen. Darauf freue ich mich wirklich sehr.

Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute.

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Über den Autor

Glenn Riedmeier ist Jahrgang ’85 und gehört zu der Generation, die in ihrer Kindheit am Wochenende früh aufgestanden ist, um stundenlang die Cartoonblöcke der Privatsender zu gucken. „Bim Bam Bino“, „Vampy“ und der „Li-La-Launebär“ waren ständige Begleiter zwischen den „Schlümpfen“, „Familie Feuerstein“ und „Bugs Bunny“. Die Leidenschaft für animierte Serien ist bis heute erhalten geblieben, zusätzlich begeistert er sich für Gameshows wie z.B. „Ruck Zuck“ oder „Kaum zu glauben!“. Auch für Realityshows wie den Klassiker „Big Brother“ hat er eine Ader, doch am meisten schlägt sein Herz für Comedyformate wie „Die Harald Schmidt Show“ und „PussyTerror TV“, hält diesbezüglich aber auch die Augen in Österreich, Großbritannien und den Vereinigten Staaten offen. Im Serienbereich begeistern ihn Sitcomklassiker wie „Eine schrecklich nette Familie“ und „Roseanne“, aber auch schräge Mysteryserien wie „Twin Peaks“ und „Orphan Black“. Seit Anfang 2013 ist er bei fernsehserien.de vorrangig für den nationalen Bereich zuständig und schreibt News und TV-Kritiken, führt Interviews und veröffentlicht Specials.

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