Schau mir in die Augen: Promis unter Hypnose – und das Niveau sinkt tiefer und tiefer! – Review

RTL-Hypnoseshow ist Fernsehen zum Abgewöhnen – von Glenn Riedmeier

Glenn Riedmeier
Rezension von Glenn Riedmeier – 05.06.2016, 00:31 Uhr

Hypnotiseur Jan Becker hat die prominenten Kandidaten außer Gefecht gesetzt.

Das Programm von RTL ist bekanntlich oft nur im benebelten Geisteszustand zu ertragen. Da war es in gewisser Weise konsequent, dass sich der Sender dazu entschlossen hat, eine neue Hypnose-Show an den Start zu bringen. Doch es handelte sich um eine schwere Geburt: Im Herbst 2015 kündigte RTL für die kommende TV-Saison eine Reihe an neuen Showformaten an, darunter eine deutsche Adaption der britischen Hypnose-Show „You’re Back In The Room“. Doch es kam zu Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Sender und Tower Productions, der deutschen Produktionsfirma von BBC und All3Media. Ein Streitpunkt war, dass RTL unbedingt prominente Kandidaten haben wollte, während es sich im britischen Original um nicht-prominente Teilnehmer handelt. Darüber hinaus schwebte Tower Productions die Produktion einer ganzen Staffel vor, während der Sender eine einmalige Eventshow vorzieht. Unter diesen Umständen wurde die Zusammenarbeit vorzeitig beendet und RTL hat sich mit Endemol Shine eine andere Produktionsfirma als Partner geschnappt, mit der die Hypnose-Show nun nach den Vorstellungen des Senders realisiert wurde. Das Resultat war am Samstag, 4. Juni, zur besten Sendezeit mehr als drei Stunden lang in „Schau mir in die Augen – Promis unter Hypnose“ zu sehen.

Das Konzept ist schnell erklärt: Zehn Prominente, darunter auffallend viele mit „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“-Vergangenheit, stellen sich der Herausforderung und lassen sich hypnotisieren, um anschließend zehn Spielrunden zu überstehen – was sich angesichts der geistigen Benebelung als schwierig darstellt. In Trance stellen die Spielrunden eine erhebliches Hindernis dar und so mancher Teilnehmer zerstört durch sein Verhalten unabsichtlich seine Gewinnchancen. Als Hypnotiseur fungiert Jan Becker, der eine Ausbildung zum Hypnosetherapeut absolvierte und erstmals größere Bekanntheit durch seine Teilnahme und den Sieg in der zweiten Staffel der umstrittenen ProSieben-Show „The next Uri Geller“ erlangte. Seitdem hat der Mentalist mit der markanten Haarsträhne mehrere Bücher zum Thema Hypnose veröffentlicht.

Michaela Schaffrath hat Probleme beim Wäsche aufhängen.
Jan Becker tat nun das, wofür er in der RTL-Show engagiert wurde: Er hypnotisiert die prominenten Probanden, die daraufhin im geistig-benebelten Zustand zur Belustigung des Publikums scheinbar einfache Aufgaben bewältigen müssen. Zu den Herausforderungen gehören beispielsweise „Bauklötze bauen“ und das Spiel „Konditorei“. Jeder Kandidat erhält von Jan Becker ein anderes Hypnose-Handicap zugeteilt. Schnell wird klar, dass es der Kölner Sender damit auf die niedersten Instinkte der Zuschauer abgesehen hat. Wer sich darüber beömmeln kann, wie Ex-Dschungelkönig Joey Heindle einen Bauklotz für ein Handy hält oder wie sich Michaela Schaffrath ihr Gesicht mit Kakao einschmiert, ist hier richtig. Es geht einzig und allein um Schadenfreude und sich darüber zu amüsieren, wie die Promis unter Hypnose hilflos agieren.

Sogar das Studiopublikum wird in die Sendung integriert und von Becker per Massenhypnose außer Gefecht gesetzt. So mancher Fernsehkonsument wird darum das Publikum vor Ort beneiden, denn als Zuschauer mit etwas Empathie und Anspruch fragt man sich schon nach wenigen Minuten, in welche Hölle des Privatfernsehens man hier hineingeraten ist und sollte schnell wieder das Weite suchen. Da hilft es auch nicht, dass die erspielte Gewinnsumme einem wohltätigen Zweck zu Gute geht. Auch dass hin und wieder alibimäßig Fakten zum Thema Hypnose vorgestellt werden, täuscht nicht darüber hinweg, dass die Show einzig und allein der Unterhaltung auf unterstem Niveau dienen soll. Moderator Oliver Geissen setzt wie üblich ein professionelles Lächeln auf und zieht die Sendung schmerzbefreit durch.

Abgesehem vom unterirdischen Niveau ist auch die Dauer der Show viel zu lang bemessen. Das Prinzip der Hypnose-Spielchen ist sehr repetitiv und wird spätestens nach dem zweiten Durchgang ermüdend. Nach mehr als quälenden drei Stunden, in denen Tänzer Christian Polanc glaubt, dass seine Unterhose immer enger wird; Joey Heindle von einer imaginären Regenwolke verfolgt wird und Doku-Soap-Darsteller Jörg Krusche („Die Autohändler“) seinen Kopf in Mascarponecreme tunkt, folgt das Finalspiel: Alle Kandidaten müssen durch ein Bällebad „schwimmen“, welches sie für einen reißenden Fluss halten. Danach ist der Spuk endlich vorbei. Wer so lange durchgehalten hat, wird sich fragen: „Warum habe ich mir das jetzt eigentlich angesehen?“ So mancher prominente Kandidat sollte hingegen künftig mehr Sorgfalt bei der Auswahl der Sendungen, in denen er mitwirkt, walten lassen. Somit hätte die Show, von der es hoffentlich keine Fortsetzung geben wird, wenigstens einen positiven Nebeneffekt.

Man hätte die Thematik Hypnose, die mittlerweile als Therapieform für Traumapatienten angewandt wird, auch ernsthafter und seriöser angehen können. RTL zog hingegen die simple Effekthascherei vor und setzte einmal mehr auf einfach gestrickte Unterhaltung unter dem Deckmantel einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung. „Schau mir in die Augen“ wirkte wie aufgeblasener Budenzauber, dessen Authentizität durchaus angezweifelt werden darf.


Glenn Riedmeier
© Alle Bilder: RTL/​Frank W. Hempel

Über den Autor

Glenn Riedmeier ist seit Anfang 2013 als Journalist bei fernsehserien.de tätig und dort vorrangig für den nationalen Bereich zuständig. Er schreibt News rund um das aktuelle Fernsehgeschehen und verfasst Kritiken, vor allem zu relevanten Starts aus der TV-Unterhaltung. Darüber hinaus führt er Interviews mit bekannten TV-Persönlichkeiten. Unter anderem sprach er bereits mit Bastian Pastewka, Jürgen Domian, Stephanie Stumph, Fritz Egner, Jochen Bendel, Beatrice Egli, Collien Ulmen-Fernandes, Carolin Kebekus und Torsten Sträter. Des Weiteren verfasst er zu besonderen Anlässen wie Jubiläen von TV-Sendern oder -Formaten ausführliche Rückblicke und Specials – aus einem nostalgischen und zugleich kritisch-informierten Blickwinkel. Schon seit frühester Kindheit war der 1985 geborene Münchner vom Fernsehen fasziniert. Am Wochenende stand er freiwillig früh auf, um stundenlang die Cartoonblöcke der Privatsender zu gucken. „Bim Bam Bino“, „Vampy“ und der „Li-La-Launebär“ waren ständige Begleiter zwischen den „Schlümpfen“, „Familie Feuerstein“ und „Bugs Bunny“. Seine Leidenschaft für animierte Serien ist bis heute erhalten geblieben. Darüber hinaus begeistert er sich für Gameshows wie „Ruck Zuck“ oder „Kaum zu glauben!“ und ist mit hoher Expertise gleichzeitig Fan und kritischer Beobachter der deutschen Schlagerwelt. Auch für Realityformate wie „Big Brother“ und „Die Verräter“ hat er eine Ader – auf rein krawalliges Trash-TV kann er dagegen verzichten. Im Comedy-Bereich begeistert er sich vor allem für Sitcoms, Stand-up-Comedy und Late-Night und hält diesbezüglich auch die Augen in Österreich, Großbritannien und den USA offen.

Lieblingsserien: Meister Eder und sein Pumuckl, Eine schrecklich nette Familie, Twin Peaks, 24

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