„Promis unter Palmen“: Jugendmedienschutz gibt Mobbingfolge wieder frei

Überraschende Entscheidung nach Prüfung im Berufungsverfahren

Glenn Riedmeier
Glenn Riedmeier – 05.06.2020, 15:32 Uhr

Claudia Obert und Bastian Yotta – Bild: Sat.1/Screenshot
Claudia Obert und Bastian Yotta

Mitte Mai berichteten wir darüber, dass eine besonders problematische Folge der kontroversen Sat.1-Realityshow „Promis unter Palmen“, in der antisoziales Mobbingverhalten gezeigt wurde, nach einer Prüfung der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) nicht um 20:15 Uhr hätte gezeigt werden dürfen, da sie für Zuschauer unter 16 Jahren nicht geeignet sei (fernsehserien.de berichtete). Entsprechend musste Sat.1 die Folge der EndemolShine-Produktion auch aus seiner Mediathek und dem Streamingportal Joyn entfernen. Doch inzwischen ist die Episode bei Joyn wieder aufgetaucht. fernsehserien.de fragte deshalb bei der FSF nach und erhielt eine überraschende Antwort.

Sat.1 hatte gegen die Entscheidung der FSF Berufung eingelegt. Beim daraufhin durchgeführten Berufungsverfahren kam der Ausschuss zu der gegensätzlichen Entscheidung, dass die Folge nun doch eine Freigabe ab 12 Jahren erhält und deshalb auch im Hauptabendprogramm ausgestrahlt werden durfte. Folgende Begründung leitete die FSF an fernsehserien.de weiter:

Die Realityshow, in der zehn Prominente in einer Luxusvilla als WG zusammenleben und in verschiedenen Spielen um 100.000 Euro kämpfen, präsentiert neben den üblichen Spieleinlagen und Lästereien einen gruppendynamischen Mobbingprozess gegen Claudia Obert. Das antisoziale Verhalten der Gruppenmitglieder gegen vorwiegend eine Mitspielerin in der fünften Episode der Realityshow wird durch die teils ironischen und entlarvenden Off-Kommentare, durch das abstoßende Verhalten selbst als auch durch die klaren Einlassungen und Interventionen von Mitspieler Tobi für Kinder und Jugendliche ab 12 erkennbar negativ eingeordnet. Zwar gewinnt die Person, die die Attacken maßgeblich mit vorantreibt, letztlich die Show, aber nicht die Sympathien der Zuschauerinnen und Zuschauer. Eine Vorbildwirkung des ausgrenzenden Verhaltens und in diesem Sinne eine sozialethische Desorientierung der Altersgruppe wird daher nicht vermutet.

Dies widerspricht ziemlich dem Ergebnis des ursprünglichen Prüfausschusses von vor einigen Wochen. Damals wurde die Folge als problematisch bewertet, insbesondere da sie das junge Publikum der Zwölfjährigen überfordere, die die formattypische Inszenierung nicht erkennen können würden. Besonders problematisch sei zudem die Tatsache, dass die Mobbingattacke letztlich erfolgreich war und Mobbing als übliches Sozialverhalten dargestellt und nicht hinreichend kritisch eingeordnet worden sei.

Da die Hotline-Prüfung der FSF im Berufungsverfahren erst vor Kurzem stattgefunden hat, liegt das ausführliche Gutachten noch nicht vor. Dafür gibt ein bemerkenswerter Blog-Eintrag des hauptamtlichen FSF-Prüfers Matthias Struch Aufschluss über die Denk- und Herangehensweise. Unter der Überschrift „PuP, ein (neues) Format sorgt für (neue) Aufregung. Warum eigentlich?“, äußert Struch Unverständnis über die Kritik. In PuP – man hört förmlich die Proseccokorken knallen nach dem Einfall des Titels mit zugehöriger Kurzform – wird viel gespielt, geweint, krakeelt, beleidigt, ausgestoßen, angewiesen, angeschrien und getrunken, womit dann plötzlich der Kinder- und Jugendmedienschutz auf den Plan gerufen wird, ausgelöst durch mehrere FSF-Hotlinebeschwerden, was im weiteren Verlauf durch die FSF-Instanzen zu unterschiedlichen Einschätzungen führt.

Die moralische Einordnung werde vor allem und vor allem ganz klar von Checker Tobi, also Tobias Wegener, und seinem moralischen Kompass vollzogen. Seine Ansprache und seine Zuwendung an die gemobbte und verzweifelte Claudia Obert sei einer der wenigen emotional authentischeren und damit glaubwürdigeren Momente der Sendung, die den sich lustig machenden Zuschauer leicht betreten um Verzeihung bitten. Er bezeichnet die Szene gar als ein für Genre und Format erstaunlich langes und eindringliches Dokument gelebter Empathie. Selbst dem unbedarftesten Zuschauer sei dadurch klar geworden: Da oben in den Betten und da unten im Aufenthaltsraum, da draußen auf der Terrasse und auch da drinnen in der Küche: Das war falsch, das war auf eine unfassbar und unreife Weise böse. Oder um mit meiner Mutter zu sprechen, einer Kindergärtnerin: ‚Das macht man nicht.‘

Zusätzlich begründet Struch seine gemäßigte Haltung damit, dass „Promis unter Palmen“ als Reality-Spiele-Format mit gescripteten Anteilen vielen Zuschauern hinsichtlich Intention und Anspruch, Dramaturgie und gestalterische Mittel, Gesichter und Attitüden, Körper und Sozialverhalten vertraut scheinen müsste. Der FSF-Prüfer spricht somit indirekt Sat.1 von seiner Verantwortung als ausstrahlender Sender frei. Anders sieht dies etwa Oliver Kalkofe: Jeder hat sehen können, wie sehr ein Sender das Geschehen manipuliert und Leute aufeinander loslässt. Und wie wenig Verantwortung existiert – nämlich gar keine. Das war ein Negativ-Meilenstein des Fernsehens, weil es so abscheulich war, so der TV-Kritiker im stern-Interview.

Zahlreiche Kolumnisten, Kritiker und bekennende Trash-TV-Fans haben sich von „Promis unter Palmen“ distanziert. Matthias Struch hingegen kritisiert die mediale Erregungsmaschinerie der letzten Wochen. Die Aufregung der medialen Öffentlichkeit bleibt angesichts dessen, was sie sonst sehen (Anja Rützel) oder selbst zu verantworten haben (Micky Beisenherz) eher unverständlich, so Struch, der seit 1994 im Kinder- und Jugendmedienschutz tätig ist und seit 2003 Mitglied in der Nominierungskommission und Jury für den „Adolf-Grimme-Preis“ ist.

Abschließend kommt er zu dem Fazit: Dass am Ende der Meister des antisozialen Verhaltens Bastian Yotta gewinnt – unter Wirkungsaspekten eigentlich ein Sakrileg, um zum Kinder- und Jugendmedienschutz zurückzukehren -, spricht weder gegen die Sendung, die Kandidat/​-innen, die Macher/​-innen oder das Publikum – das macht allein die Quote. Denn klar ist: Gut und gerecht ist das nicht. Doch ‚Fünf Schlösser musst du knacken‘ ist eben doch nur eine andere Variante von ‚Einer wird gewinnen‘.

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • (geb. 1978) am

    Hier hat Herr Struch wohl nur sein Hirn und seinen Verstand auseinander gesetzt. Was glaubt er eigentlich, wer hier Zuschauer ist? Ausgeglichene Akademiker-Kinder, die die Sendung hinterher differenziert mit ihren Eltern durchsprechen? Kein Wunder, dass ein Sender wie VOX sich traut seine Kochsendung mit Wörtern wie F*** und A*** im Nachmittagsprogramm zu bewerben. Ist ja alles ganz klar einzuordnen...
    • (geb. 1956) am

      Solche Sendungen werden in erster Linie von Menschen geschaut die ein eingeschränktes Sozialverhalten und keinerlei Empathie empfinden haben.
      • (geb. 1996) am

        Können die das denn nicht mal in Nordkorea produzieren? Da wäre die Chance, dass man solche Gestalten nie wieder sieht am größten.

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