Maren Kroymann: „Der Humorbereich in Deutschland war sexistisch und von Männern dominiert“

Interview über Rollenbilder, Feminismus und LGBTQ-Sichtbarkeit im Fernsehen

Glenn Riedmeier
Glenn Riedmeier – 21.07.2021, 16:00 Uhr

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Maren Kroymann – Bild: Radio Bremen/Mirjam Knickriem
Maren Kroymann

Maren Kroymann ist nicht nur eine renommierte Schauspielerin, sondern vor allem eine der wichtigsten Vorreiterinnen des feministischen Kabaretts in Deutschland. Nach ihrem ersten Bühnenprogramm „Auf du und du mit dem Stöckelschuh“ wurde sie in den 1980er Jahren vom Fernsehen entdeckt. Mit ihrer ersten eigenen Satireshow „Nachtschwester Kroymann“ hat sie Anfang der 1990er Jahre in der ARD Kabarettgeschichte geschrieben – musste sich jedoch auch gegen Widerstände so mancher männlicher Kollegen der damaligen Zeit durchsetzen.

Im Interview mit fernsehserien.de-Redakteur Glenn Riedmeier spricht Maren Kroymann über ihren Karrierebeginn, weibliche Rollenbilder, sexistischen Männerhumor und ihr frühes Interesse am Feminismus. Als wichtige Vertreterin der LGBTQ-Community erläutert die Schauspielerin außerdem, wie sie die Entwicklung der Sichtbarkeit von Homosexuellen im Fernsehen bewertet – und ob es eine Belastung für sie war, lange Zeit als die Galionsfigur für lesbisches Leben in Deutschland zu stehen.

fernsehserien.de: Sehr geehrte Frau Kroymann, Sie spielen die Hauptrolle in der neuen ZDF-Komödie „Mutter kündigt“ (am 22. Juli 2021 um 20:15 Uhr). Die hat eine spannende Prämisse: Carla Michelsen zitiert ihre drei Kinder zu sich, um ihnen das Erbe auszuzahlen und ihnen mitzuteilen, dass sie das Familienhaus verkauft hat und die Beziehung zu ihnen beenden möchte. Sie ist Witwe und sieht es nicht länger ein, ihnen Mutterliebe als Selbstverständlichkeit zu geben. Was war Ihr erster Gedanke, als Sie das Drehbuch gelesen haben?

Maren Kroymann: Noch bevor das Drehbuch fertig war, habe ich von der Produzentin Gabriela Sperl von dem Ausgangspunkt des Films erfahren und habe sofort gedacht: Super Idee! Einfach, weil das so ein Tabu ist. In der umgekehrten Richtung hingegen nicht – also dass die Kinder sagen: Bloß weg von den spießigen Eltern. Die sind mir peinlich und ich will sie hinter mir lassen. Diese Abgrenzung von den Eltern ist auf der Kinderseite ganz normal, auf der Elternseite aber überhaupt nicht. Warum eigentlich? Die Mutter verweigert ja nicht die Mutterschaft, sondern sie kündigt ihren erwachsenen Kindern, die sie ja nicht mehr wirklich brauchen. Sie hat das Gefühl, dass sie nur dann ihr eigenes Leben führen kann, wenn sie ohne Kinder ist.

Carla Michelsen (Maren Kroymann) kündigt ihren sichtlich schockierten Kindern. ZDF/​Frédéric Batier

Denken Sie, dass es in der Gesellschaft tatsächlich einige Mütter gibt, die ein ähnliches Gefühl gegenüber ihren Kindern haben?

Maren Kroymann: Es ist etwas, das viele Mütter zumindest phasenweise oder punktuell spüren, aber diesem Gefühl nicht nachgeben. Meine Lieblingsszene ist ein Dialog, in dem eine Tochter fragt: Aber liebst du uns denn gar nicht?, und Carla erwidert: Ich liebe euch schon. Aber ich mag euch nicht. Ein durchaus realistischer Satz, den vielleicht einige Mütter gerne sagen würden. Ich finde es schön, diesen Gedanken einfach mal im deutschen Fernsehen durchzudeklinieren.

Was hat Sie an der Rolle gereizt? War es das Tabuthema einer Mutter, die aus der Konvention ihres ungeliebten Mutterseins ausbrechen will?

Maren Kroymann: Absolut, es ist ein Tabubruch, was das Mutter-Rollenbild angeht. So etwas reizt mich. Ich beschäftige mich ja schon immer mit dem weiblichen Rollenbild, ob nun dem Frauenbild im Fernsehen oder auch im Schlager und in der Popmusik. Ich möchte das Mutterbild brechen und dazu beitragen, dass darüber reflektiert wird, was so unangefochten im Raum steht und immer noch gelebt wird. Da möchte ich einen kleinen Knüppel zwischen die Beine werfen (lacht).

Wenn Sie sich an Ihre eigene Loslösung von Ihren Eltern erinnern: Wollten Sie selbst früh auf eigenen Beinen stehen oder wurden Sie dazu gedrängt?

Radio Bremen/​Joseph Strauch

Maren Kroymann: Ich war das jüngste Kind nach vier Jungs und meine Eltern hingen sehr an mir. Ihnen war aber bewusst, dass sie einen harten Bruch machen mussten. Meine Mutter hat sehr befördert, dass ich nach dem Abitur für ein Jahr in die USA ging. Anschließend war ich zwei Jahre in Tübingen und dann in Paris. Das, was heutzutage so üblich ist, dass der Sohn oder die Tochter bis 30 zu Hause wohnt oder auch wieder zurück bei den Eltern einzieht, gab es bei meiner Mutter nicht. Ich war extrem behütet und gut aufgehoben in der Familie. Ich war allerdings auch von meinen Brüdern beeindruckt und habe mir deshalb bestimmte Sachen gar nicht zugetraut. Ich dachte, dass ich nie so schlau sein und nie so gut reden können werde wie die. Meine Mutter, die hauptsächlich für die Erziehung zuständig war, hat das erkannt und wusste, dass ich deshalb einfach da raus muss.

Umso beeindruckender ist vor diesem Hintergrund, welche Karriere Sie gemacht haben. Besonders herausragend finde ich Ihre bis heute legendäre Satireshow „Nachtschwester Kroymann“, die Sie in den 1990er Jahren gedreht haben. Insbesondere aus heutiger Sicht ist die Sendung erstaunlich fortschrittlich und feministisch, gerade was die Darstellung starker Frauenfiguren angeht.

Maren Kroymann: Vielen Dank, es freut mich, dass Sie das sagen. Ich finde auch, dass die Sendung unbedingt noch einmal gezeigt werden sollte. Sie wird oft unterschätzt und viele jüngere Menschen kennen die Sendung natürlich gar nicht. Auf meine Initiative hin wurde die Sendung inzwischen zumindest auf DVD* veröffentlicht.

Radio Bremen/​Studio Hamburg Enterprises

Hatten Sie einen Mentor – oder wie kam das Projekt in der damaligen Zeit zustande?

Maren Kroymann: Das Projekt wäre damals nicht ohne Jürgen Breest zustandegekommen, dem damaligen Unterhaltungschef von Radio Bremen. Er hat alle großen Talente entdeckt und ihnen Sendungen gegeben – ob Rudi Carrell, Hape Kerkeling oder auch Harald Schmidt, den er zur ARD geholt hat. Er hat auch Loriot, der zunächst nur Zeichner war, dazu gebracht, als Autor und Regisseur anzufangen. Und mir hat Jürgen Breest schon sehr früh, nach meinem ersten Bühnenprogramm, eine Sendung angeboten, weil er in mir ein Talent gesehen hat. Ich habe mir selbst das erst gar nicht zugetraut, nach einem Bühnenprogramm für eine halbstündige Sendung zu schreiben. Ich war zwar damals schon politisch, aber sah mich selbst noch gar nicht wirklich als Kabarettistin. Das hätte ja geheißen, so was wie Dieter Hildebrandt …

Aber letztendlich kam es dann doch dazu.

Maren Kroymann: Ja, weil Breest hartnäckig blieb und mir die Chance gegeben hat, in kleinen Formaten Praxis zu bekommen. Es gab einen 5-Minuten-Vorspann zur Nord-Talkshow „3 nach 9“, den ich ein Jahr lang gestalten durfte. Dann gab es „Nachschlag“, ein fünfminütiges Format immer mittwochs nach den „Tagesthemen“, in dem jeweils ein Kabarettist drei Monate lang auf die Woche zurückblickte. Das habe ich alles gemacht, um versierter beim Schreiben zu werden. 1993 war ich dann so weit und es ging mit „Nachtschwester Kroymann“ los. Ich habe aber nie alleine geschrieben, sondern hatte immer eine Autorin oder einen Autor an meiner Seite, erst Simon Borowiak (damals Simone Borowiak) und später Hans Zippert. Es gab damals allerdings auch einige Männer, die die Sendung richtig scheiße fanden und mit mir nichts anfangen konnten. Ich war feministisch, lesbisch und tendenziell intellektuell – wobei das Schlimmste für die das Intellektuelle war. Nach dem Aus der Sendung habe ich deshalb auch erst mal keinen Fuß mehr in die ARD bekommen.

Hatten Sie bei Ihrer Arbeit für „Nachtschwester Kroymann“ Vorbilder?

Maren Kroymann: Oh ja, das waren vor allem die beiden Britinnen French & Saunders. Generell gab es im angelsächsischen Raum schon früher viel mehr Humor, der nicht aus der Weißer-Mann-Abteilung kam, mit Frauen und Darsteller*innen mit Migrationshintergrund und aus der LGBTQ-Community.

Auf der nächsten Seite erläutert Maren Kroymann, weshalb sie viele frühere Sketchformate schon damals entsetzlich rückschrittlich empfand, und woher ihr frühes Interesse am Feminismus rührt. Außerdem spricht sie darüber, wie sie die Entwicklung der Sichtbarkeit von Homosexuellen im Fernsehen bewertet.

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