„Alle ethischen Grenzen überschritten“: Patientenschützer fordern Werbestopp für „Der Todespfleger“ von RTL

Umstrittene True-Crime-Doku über verurteilten Serienmörder

Glenn Riedmeier
Glenn Riedmeier – 20.09.2021, 17:55 Uhr

„Der Todespfleger – Die Morde des Niels Högel“ – Bild: TVNOW
„Der Todespfleger – Die Morde des Niels Högel“

Große Aufregung um die Dokumentation „Der Todespfleger – Die Morde des Niels Högel“: Seit heute liegt die vierteilige True-Crime-Doku über den Serienmörder bei TVNOW bereit. Der Krankenpfleger Niels Högel ist für eine der größten Mordserien der bundesdeutschen Kriminalgeschichte verantwortlich. Auch er selbst kommt in der Dokumentation zu Wort, was vielerorts für Kritik sorgt.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz hat RTL aufgefordert, die Werbung für Produktion sofort zu stoppen. Laut Vorstand Eugen Brysch habe der Sender eine gesellschaftliche Verantwortung, der er unverzüglich gerecht werden muss. Es überschreite alle ethischen Grenzen damit zu werben, einen vielfachen Patientenmörder interviewt zu haben. Bereits zuvor gab es Kritik an der Doku seitens der Polizei und des Opferhilfevereins Weißer Ring. Es ist ein Schlag ins Gesicht der Opferangehörigen, ihn öffentlich sprechen zu lassen, äußerte sich Johann Kühme, Präsident der Polizeidirektion Oldenburg, in der Neuen Osnabrücker Zeitung.

Karsten Krogmann, Sprecher des Opferhilfevereins Weißer Ring, stimmt ihm zu: Högel ist nicht nur ein verurteilter Serienmörder, er ist auch ein gutachterlich diagnostizierter Lügner. Er hat der Polizei, den Richtern und vor allem den Angehörigen seiner Opfer immer wieder ins Gesicht gelogen. Jedes weitere Wort sei ein Schlag ins Gesicht der Angehörigen der vielen Toten. Mit jemandem wie Högel spricht man nicht.

Das Landgericht Oldenburg hatte im Juni 2019 den damals 42-jährigen Niels Högel des Mordes in 85 Fällen für schuldig gesprochen. Angeklagt wurde er in 100 Fällen. Johann Kühme kritisiert einerseits, dass die Produktion der Geltungssucht von Högel in die Karten spiele. Jetzt darf er sich schon wieder als wichtig empfinden. Auch die Tatsache, dass im Fernsehen gezielt mit ihm geworben wird, unterstütze die Polizei auf keinen Fall. Dass die Doku als packendes Telefoninterview aus der JVA Oldenburg angekündigt wird, sei ein Werbefaktor, und den finde ich sehr fragwürdig und problematisch.

Die Oldenburger Polizei hat bereits Maßnahmen ergriffen und ihre Mitwirkung an der Produktion zurückgezogen. Dies sei im Vorfeld vertraglich geregelt worden. Sobald Niels Högel als Person in Erscheinung tritt – über Bild, Ton oder Telefon, wie auch immer -, dann machen wir nicht mit. Als die Polizei davon erfuhr, dass tatsächlich ein Interview mit Högel stattgefunden hat, bestand sie auf den Vertrag: Alles, was wir beigetragen haben, muss herausgeschnitten werden.

Ob RTL auf die geäußerte Kritik reagieren und der Forderung nach einem Werbestopp nachkommen wird, darf bezweifelt werden. Ein Statement des Senders in der Angelegenheit liegt nicht vor.

In seiner Funktion als Krankenpfleger in den Kliniken Oldenburg und Delmenhorst tötete der heute 44-jährige Niels Högel zwischen 2000 und 2005 fast täglich unbemerkt. An einem Ort, an dem Menschen eigentlich gesund werden sollen, suchte er sich seine Opfer. Högel spritzte Patienten ohne ärztliche Anordnung ein Mittel, das lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen sowie einen Blutdruckabfall auslöste – um sie anschließend reanimieren zu können. Högel suchte mit diesen Taten den Nervenkitzel und die Anerkennung seiner Kollegen. Er nahm in Kauf, dass Patienten sein perfides Spiel nicht überleben. Auch heute – über 20 Jahre nach dem ersten Mord – ist unklar, wie viele Opfer wirklich auf Högels Todeskonto gehen. Ermittelt wurde in weitaus mehr Fällen, doch nicht in allen Verdachtsfällen konnte die Todesursache zweifelsfrei nachgewiesen werden. Auch im Nachhinein zeigte Högel keine Reue für seine Taten.

Die TVNOW-Dokureihe will nun den drängendsten Fragen nachgehen: Wie konnte es zu dieser Vielzahl an Morden kommen? Und wieso konnte Niels Högel nicht früher gestoppt werden? Was für ein Mensch ist Niels Högel, was trieb ihn an? In dem vielfach kritisierten Telefoninterview aus der JVA Oldenburg sollen die Zuschauer Einsichten in die Motivlage des Serienmörders erhalten. Niels Högel erzählt aus seiner Sicht, warum er mit seinen Taten begann und weshalb er sich bei jeder Tat erneut bewusst für das Böse entschied. Högel erzählt von unglücklichen Lieben, der Sucht nach Aufmerksamkeit, seiner Kindheit und schließlich den Problemen, die er mit sich selbst hat.

Auf Basis dieses Interviews erstellt der Psychiater, Gerichtsgutachter und Experte für Serienmord, Reinhard Haller, ein Psychogramm von Niels Högel und entlarvt dessen Lügen und Beschönigungen. Darüber hinaus spricht Högels Vater Dietrich erstmals über die Kindheit und Jugend seines Sohns. Zudem kommen in der Doku-Reihe auch viele Angehörige seiner Opfer zu Wort und erzählen ihre Geschichte.

Das True-Crime-Genre boomt, daher ist es auch kein Wunder, dass der Fall Niels Högel Gegenstand von gleich mehreren TV-Projekten ist. Bereits vor einiger Zeit informierte TVNOW über eine Verfilmung als „Das weiße Schweigen“. Hierbei handelt es sich um den ersten eigenproduzierten Spielfilm des Streamingdienstes, der zusammen mit der True-Crime-Doku zu einem späteren Zeitpunkt auch bei RTL linear ausgestrahlt werden soll. Unabhängig von den TVNOW-Produktionen wurde der Fall auch von Sky aufgerollt. Für seinen neuen Sender Sky Crime entstand eine weitere Dokureihe namens „Schwarzer Schatten – Serienmord im Krankenhaus“, die von Kinescope Film mit Unterstützung von Radio Bremen produziert und Anfang August ausgestrahlt wurde.

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am via tvforen.de

    Es hat immer schon zahlreiche Fernsehinterviews mit Mördern gegeben. Warum ist das jetzt auf einmal ein Skandal?
    • am via tvforen.de

      Ich finde das auch einen Skandal. Diese Größenordnung ist wahnsinnig, ein wirklicher Massenmörder, und jetzt wird sein narzisstisches (?) Ich auch noch mit medialer Aufmerksamkeit gefüttert. Wäre ich Angehöriger, würde mich das auch verstören. Und es gibt bei diesem Ausmaß natürlich sehr, sehr viele betroffene Angehörige. Außerdem finde ich es selbst als in diesem Fall Außenstehender widerlich, dass das Ganze so für die Quote ausgeschlachtet wird. Wem soll das etwas bringen (außer dem Sender und dem Mörder)? Es gibt weitaus geschmackvollere Unterhaltung fürs Publikum.
      Aber vielleicht kann das so wirklich auch nur jemand verstehen, der selbst einen geliebten Menschen durch das Handeln eines anderen verloren hat. Mich jedenfalls widert aus diesem Grund das Ganze an.
  • am

    In Amerika ist es ganz normal, dass verurteilte Verbrecher interviewt werden. Wieso so etwas unbemerkt bleiben sollte, ich nicht verständlich, denn so etwas muss ja mit Einverständnis der Gefängnisleitung erfolgen. Immerhin ist ja zumindest ein Journalist und ein Kameramann dabei und die kommen sicher nicht unbemerkt in den Besuchsraum. Ich denke, dass auch die privaten Fernsehanstalten bemühen, vom Abspielen reiner Trash Sendungen wegzukommen und beginnen mehr oder weniger seriöse Dokus zu senden bzw. selbst zu produzieren. Pro7 ist da vielleicht Vorbild, wo Tilo Mischke schon einige sehr interessante Themen aufgegriffen hat.
    Die Dokumentation auf Sky Crime war sehr interessant, vor allem da man anhand von Interviews deutlich erkennen konnte, dass sich die jeweiligen Krankenhäuser, die Högel beschäftigt haben, total aus der Verantwortung gestohlen haben, denn so "unauffällig" wie berichtet wurde, sind diese Morde nicht passiert und es besteht der Verdacht, dass fast 400 Menschen durch Högel zu Tode gekommen sind, was aber nur aufgrund von Indizien angenommen wird. Die Geschichte ist deshalb noch nicht zu Ende, denn es wurde erwähnt, dass auch Verantwortlichen dieser Krankenhäuser der Prozess gemacht wird, was sicher im Sinn der Hinterbliebenen dieser Opfer ist.
    • am

      Du hast echt nichts kapiert. Gar nichts. Ich habe heute schon mehrere Kurzberichte darüber im (seriösen!) Radio gehört und das solltest du ggf. erst Mal nachholen, bevor du anfängst weiter so einen Unsinn zu verzapfen.

      Ob den ehemaligen Arbeitgebern "der Prozess" gemacht werden sollte, hast du nicht zu entscheiden und diese reißerische Doku hat damit auch gar nichts zu tun. Sie ist kein Gericht.

      Dein ganzer Kommentar ist bloß Geschwafel. Sorry aber KWT!
    • am

      Man soll nicht von der eigenen Borniertheit auf die von anderen schließen.
      Wenn hier jemand was nicht kapiert, dann bist das eindeutig Du, aber es ja heute ganz modern, sich das Maul über Menschen zu zerreißen die man nicht kennt und ein Urteil abzugeben über Sachverhalte die man ebenfalls nicht kennt. Genau in dem Sinn ist Dein Eintrag zu verstehen, keine Ahnung von gar nichts, aber dafür sehr viel Meinung.
      Abgesehen davon solltest Du nochmals lesen was ich geschrieben habe, denn was Du da schreibst, steht da nicht, aber sinnerfassend lesen zu können, fällt heute schon unter die Ausnahme von der Regel und von Verstehen rede ich da noch gar nicht, denn dass Du nichts verstanden hast, ist ohnehin klar ersichtlich.
  • am

    Danke an die zwei Verbände die mich daran erinnert haben, dass die Doku jetzt zum Streamen bereitsteht. Abendprogramm gesichert. 


    Jedenfalls ist das doch der klassische Schuss ins Knie: Die Verbände regen sich auf, die Medien berichten drüber und schon ist wieder Aufmersamkeit generiert was sie doch eigentlich nicht wollten.
    Fakt ist dass man immer beide Seiten zeigen soll, sonst wird es zu einseitig. Falsche Aussagen o.ä kann man immer noch aus dem Off einordnen.
    • am

      Wo gibts hier zwei Seiten?
    • am

      Darum geht es doch gar nicht! Der Mann hat wahrscheinlich so viele Menschen ermordet wie kein anderer Serienmörder weltweit. Es geht darum so einem Monster nicht auch noch eine Bühne zu geben.

      Hast du gar kein Mitgefühl mit den Angehörigen, die nun alles noch einmal durchleben müssen oder weißt du bloß nicht, was sich gehört? Beide Seiten... Was für ein Mist!
    • (geb. 1979) am

      Dies zu unterstützen ist für mich im Grunde genommen genauso, als würfe man ihm persönlich Geld in seine Taschen stopfen.
      Aber unterstütze mal ruhig einen Seriemnmörder und verhöhne damit gleichzeitig die Angehörigen der Opfer weiterhin. 
      Die haben ja noch nicht genug gelitten
  • (geb. 1979) am

    Ist wohl jetzt die beste Werbung für diese Doku, die ich mir keinesfalls anschauen werde.
    • am

      Wen interessiert dass du sie keinesfalls anschauen willst?
    • (geb. 1979) am

      Was interessiert es mich, ob es dich interessiert

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