Meine Stunden mit Leo

Nancy Stokes ist zur Witwe geworden. Das empfindet sie nicht als ein Ende, sondern die Möglichkeit, Verpasstes nachzuholen, insbesondere jene Zärtlichkeit und Lust zu entdecken, die in ihrer langjährigen Ehe fehlten. Und so bestellt die pensionierte Religionslehrerin nervös und unsicher, einen Callboy in ein Hotelzimmer.

Mit Leo Grande zieht Nancy gewissermassen den Hauptgewinn. Der junge Mann ist attraktiv, intelligent und geht feinfühlig auf die ahnungslosen Fragen der erfahrenen Frau ein. Bei den mehreren Treffen Nancys mit Leo geht es zwar um Sex, doch streifen die Kundin und der Sexworker zusehends ihre Rollen ab und lernen sich als Menschen kennen – unverhüllt.

«’Good Luck to You, Leo Grande’ ist revolutionär: Wann hat man im Kino je einen Film gesehen, der von den sexuellen Nöten einer 63-jährigen Frau handelt? Der mit Humor erzählt, aber ohne sie blosszustellen? Einen Film, der eine Frau mit ihrem Alter hadern lässt, statt es kaschieren zu wollen?» lobte die Kritikerin der NZZ. Auch wenn Emma Thompson die modernen Begriffe der Body- und Sex-Positivität mit einem unerschrockenen, dem von ihr als schwierigstem ihrer Karriere bezeichneten Auftritt mustergültig auf die Leinwand bringt, ist es doch die psychologische Ebene des Filmes, die sich als besonders reichhaltig erweist.

In Daryl McCormack steht Emma Thompson überdies der perfekte Bettgeselle zur Seite. Der 1993 in Irland geborene, sympathische Newcomer ist sowohl auf der Mattscheibe («Peaky Blinders», «The Woman in the Wall», «Bad Sisters») wie auch auf der Leinwand (zuletzt in «Twisters») nahezu omnipräsent und dürfte 2025 an der Seite von Daniel Craig in einem Starensemble für dessen neusten Benoit-Blanc-Krimi «Wake Up Dead Man» weiter an Bekanntheit gewinnen. (Text: SRF)