Lamb

Dass etwas kommt, etwas Unerklärliches, merken zuerst die Tiere des Bauernpaares Maria und Ingvar (Hilmir Snär Guðnason), die nervös schnauben und mit den Hufen scharren. Eines der Schafe gebiert ein Lamm, das ist auf dem Hof in der ländlichen Einsamkeit Islands keineswegs ungewöhnlich. Aber dieses kleine Lamm ist etwas Besonderes.

Das Bauernpaar nimmt das Lamm zu sich ins Wohnhaus, stellt ihm eine Krippe ins Schlafzimmer, nennt es Ada und behandelt es zuerst wie ein Baby, später wie ein kleines Kind. Doch seine Mutter hat das Lämmchen nicht vergessen und steht blökend vor dem Wohnhaus. Sie ist mit ihrem Entsetzen nicht alleine – als Invars Bruder unangemeldet auftaucht, entfährt es ihm: «Das ist kein Kind, das ist ein Tier.»

Vor diesem Regiedebüt war der Isländer Valdimar Jóhannsson für Licht, Elektrik und vor allem Spezialeffekte von Filmen und Serien wie «Game of Thrones», «Star Wars: Rogue One» und «Fast & Furious 8» zuständig gewesen. Das erklärt auch die grosse Sorgfalt auf die Erschaffung der Illusion eines chimärischen Mischwesens, wie man es noch nie gesehen hat und es doch sich doch perfekt in die Landschaft Islands einfügt. Der geduldige Erzählrhythmus verweist auf Béla Tarr, den Vertreter der «Slow Cinema»-Bewegung, unter dem Jóhannsson an der Filmschule von Sarajevo studierte und der «Lamb» mitproduziert hat.

Die isländische Naturkulisse ist von Kameramann Eli Arenson bildgewaltig fotografiert, und das Sounddesign erschafft mit dem Wind, dem Schnauben und Schnaufen der Tiere eine archaische Atmosphäre, die dem von heidnischen Sagen inspiriert scheinenden Geschichte den Rahmen gibt. «Lamb» ist ein ungewöhnliches, mysteriöses Drama um das Mit- und Gegeneinander von Mensch und Natur, zugleich der vielleicht bizarrste Film zum Thema Leihelternschaft. (Text: SRF)