„Tod den Lebenden“: Begabte Schauspieler treiben Unsinn mit Liebe und Klimawandel – Review

Das Improv-Experiment der ARD scheitert

Stefan Genrich
Rezension von Stefan Genrich – 15.09.2023, 12:00 Uhr

In „Tod den Lebenden“ hoffen (v. l.) Juklas (Julius Feldmeier), Heidi (Odine Johne) und Becky (Kristin Suckow) auf ein positives Ergebnis. – Bild: ARD Degeto / Finnegan Koichi Goden
In „Tod den Lebenden“ hoffen (v. l.) Juklas (Julius Feldmeier), Heidi (Odine Johne) und Becky (Kristin Suckow) auf ein positives Ergebnis.

Echte Gefühle – prima! Oder darf es zur Abwechslung betörender Kitsch sein? Gerne! Aber der breit getretene Quark aus „Tod den Lebenden“ beleidigt Herz und Hirn. Das Team der ARD-Miniserie missbraucht die Probleme des Klimawandels als billigen Aufhänger. Zudem sprechen die Figuren dummes Zeug und ersetzen wissenschaftliche Erklärungen durch Unsinn. Sie verniedlichen Gewalt. Diesmal scheitert Regisseur Tom Lass mit seiner Improvisation. Seine ungewöhnlichen Methoden funktionieren besser in „Druck“ und „Liebe. Jetzt!“. In „Tod den Lebenden“ wohnen drei junge Frauen mit einem Mann zusammen. Ihre Liebesbeziehungen überschneiden sich. Nebenbei organisieren sie Waffen und Mitstreiter, um die Urheber des Klimawandels zu bekämpfen.

Heidi entscheidet für ihre Leute

Heidi (Odine Johne) gibt die Kommandos. Juklas (Julius Feldmeier) gehorcht, zumal er die blonde Endzwanzigerin anhimmelt. Gleichzeitig liebt er Becky (Kristin Suckow). Diese andere Partnerin in Bett und Alltag verehrt wiederum Heidi, will aber selber über sich und ihren Körper entscheiden. Becky gabelt Micha (Leon Ullrich) auf. Sie muss den Neuzugang mit Heidi und Juklas teilen. Heidis Love Interest Akki (Lea van Acken) zieht in die Wohngemeinschaft. Vorerst gehört das naive Mädchen ausschließlich der Chefin, die nach kurzer Zeit Micha verabscheut. Bald lässt der Typ scheinbar Becky im Stich. Macht nichts – solange Orgien für Abwechslung sorgen und lautes Gestöhne beim Sex den Vermieter Herrn Buch (Jan Henrik Stahlberg) ärgert.

Becky (Kristin Suckow, l.), Heidi (Odine Johne, 2. v. l.), Akki (Lea van Acken) und Juklas (Julius Feldmeier) wollen Waffen einsetzen. ARD Degeto /​ Finnegan Koichi Goden

Gruppe plant Baby und Bomben

Heidi will die Wahlfamilie erweitern, indem Becky ein Baby mit der Eizelle der Freundin austrägt. Wahlvater Juklas freut sich auf das Kind, als eine ärztliche Diagnose die Gruppe umhaut: Heidi leidet an einer Lungenkrankheit, die in absehbarer Zeit zum Tod führt. Irgendwie soll die Klimakrise den Gesundheitsschaden verursachen oder zumindest verstärken. Heidi plündert ihre geliebte Oma (Ursula Werner) aus, um Waffen zu kaufen – für den Kampf gegen die Klimaschädlinge. Der nette Nachbar Pablo (Paul Wollin) hilft, weitere Aktivisten anzuheuern und auszubilden. Doch alles läuft anders als geplant.

Worte verblüffen oder versagen

Schauspieler retten Szenen

Die Hauptdarsteller haben ihr Talent in vielen Produktionen bewiesen: Lea van Acken als Straftäterin Ella in „Sløborn“, Odine Johne als Kommissarin Annalena Gottknecht in „Lauchhammer“, Julius Feldmeier als Spießer Hartmut Redlich in „Bonn – Alte Freunde, neue Feinde“ und Kristin Suckow als Verdächtige Nadine Teichmann in einer „Tatort“-Episode. Die jungen Schauspielerinnen und Schauspieler retten einige Szenen mit Wortwitz und originellem Gesichtsausdruck. Wie immer glänzt ihr erfahrener Kollege Jörg Schüttauf („Die nettesten Menschen der Welt“) vor der Kamera – diesmal als verwirrter Polizeipräsident, der am Ende schrecklich überrascht.

Wenige Dialoge zünden

Die ungewöhnliche Gruppe organisiert ihre Beziehungen durch Regeln wie:

  • Alle sind für ihre gute Laune selbst verantwortlich
  • Niemand darf Stefan heißen
  • Sex ist gut
  • Es gibt keinen Besitz, außer Heidi besitzt es

Manche Dialoge schockieren, wenn etwa Heidi fragt: Warum willst du dumm sein?. Becky antwortet schlicht und ehrlich: Damit ich unbedrohlich wirke. Heidi zeigt Juklas ihre Persönlichkeitsstörung und Verwundbarkeit, als sie die Diagnose erfährt: Ich will, dass alle anderen auch sterben. Natürlich will ich, dass du als allererstes stirbst – und dann Akki und dann Becky. Es wird schräg, wenn Heidi gegenüber ihrer Oma den Raub rechtfertigt: Es gibt ein paar Menschen, mit denen wir reden müssen – über den Klimawandel. Selten reizt ein Wortwechsel zum Lachen, wenn es etwa um künftige Aktionen geht:

  • Der Protest muss sexy sein und gewalttätig.
  • Juklas, willst du dich anzünden?
  • Unter Umständen nicht.
  • Wir sollten jemanden töten.
  • Aber das hätte Konsequenzen.
  • Ja, wir dürfen nichts machen, was Konsequenzen hat.
  • Weil, wenn das illegal wird, dann fällt es ja auf uns zurück.
Heidi (Odine Johne, l.), Akki (Lea van Acken, M.) und Becky (Kristin Suckow) warten aufs Baby. ARD Degeto /​ Daria Biliak

Künstliche und abgehobene Sprache nervt

„Tod den Lebenden“ nervt mit künstlicher und abgehobener Sprache. Dialoge miefen nach naivem Polit-Gelaber: Das ist doch absolut inakzeptabel. Da müssen wir jetzt einen anderen Weg gehen. Juklas baggert: Wenn du willst, kann ich dich auch umarmen. Kein echter Mann würde mit dieser peinlichen Anmache bei einer Frau landen. Eine gruppendynamische Formulierung aus den 80er-Jahren hat den Zeitenwandel überstanden: Ich finde es irgendwie problematisch, dass eine Person alles entscheidet. Hilfe, wer hat dieses fürchterliche Drehbuch geschrieben? Niemand! Tom Lass und Lia von Blarer haben lediglich den Rahmen abgesteckt, damit ihre Darsteller improvisieren können.

Harper (Hannah Schiller, l.), Billie (Antonia Breitenbach, 2. v. l.) und Cassandra (Céline Yildrim) quälen den ahnungslosen Polizeipräsidenten (Jörg Schüttauf). ARD Degeto /​ Daria Biliak

Experiment misslingt, aber Juklas träumt weiter

Floskeln und Phrasen erobern Die Letzte Generation

Das Team ist viel zu jung, um das Gesülze von früher zu kennen. Oder sind die Floskeln und Phrasen aus dem Grab aufgestiegen, um Die Letzte Generation zu erobern? Nach einer langen Pause gewinnt eine alte Problemlösung neue Freunde: Alles wird kurz und klein geschlagen, fordert Heidi. Tom Lass und seine Leute romantisieren Gewalt unbeabsichtigt oder gezielt. Hallo, die Verehrung von Terroristen als Helden ist nicht mehr modern! Dass Heidi plötzlich anders denkt, nimmt ihr niemand ab: Ist doch eigentlich so’n Quatsch, oder? Dass wir uns die ganze Zeit hier um irgendwelche riesengroße Weltthemen kümmern, anstatt einfach unser Leben zu genießen.

Heidi und Freunde heizen im Sportwagen oder SUV herum

Heidi ballert weiter. Übrigens beendet der Abschied vom Terror keineswegs die Verantwortung für den Klimawandel. Doch von persönlicher Verantwortung will die Gruppe der Liebenden nichts wissen. Sie hängt an den Lippen von Hausarzt Dr. Möbel (Moritz Grove, „Das Geheimnis des Totenwaldes“): Es gibt einfach zu viele Interessengruppen, denen aus politischen, wirtschaftlichen, ideologischen Gründen daran gelegen ist, den wissenschaftlichen Konsens infrage zu stellen. Kein Analytiker bestreitet diesen Zusammenhang. Aber lediglich Verschwörungstheoretiker und Reichsbürger dürfen die Schuld für das Unglück dieser Welt irgendwelchen Eliten zuschieben. Heidi und ihre Freunde vergessen ihren Anteil am Klimawandel, wenn sie im Sportwagen oder im SUV durch die Gegend heizen.

Becky leidet unter Lügen im Quartett der Liebe

Niemand sollte Heidi, Becky, Akki und Juklas moralisch verdammen. Sprünge durch alle Betten – warum nicht? Verwirrungen der Herzen – so etwas ist schon bei einem klassischen Ehepaar zu beobachten. Allerdings zeigt Becky, wie sie unter Lügen in diesem Quartett leidet. Erst spät versteht die verzweifelte Frau, was Micha ihr bedeutet. Ihre Reaktion kappt alle Bindungen. Lediglich Juklas träumt weiter. Die gefährlichen Beziehungen verstören mitunter Zuschauerinnen oder Zuschauer. Das Experiment „Tod den Lebenden“ scheitert bei Gefühlen, aber auch sonstigen Inhalten.

Dieser Text beruht auf der Sichtung der sechsteiligen Miniserie „Tod den Lebenden“.

Meine Wertung: 2/​5

Die sechs Episoden laufen jeweils rund eine halbe Stunde – nacheinander am Samstag, den 16. September ab 21:45 Uhr in One. Alle Folgen von „Tod den Lebenden“ wurden bereits in der ARD Mediathek bereitgestellt.

Über den Autor

Seit 2016 hat Stefan Genrich Websites entwickelt und an einer Hochschule unterrichtet. Vor einer siebenjährigen Pause bei fernsehserien.de würdigte er das weihnachtliche TV-Programm im United Kingdom: Sein Herz schlägt für britisches Fernsehen. Daher verfolgt er jeden Cliffhanger von „Doctor Who“. Der Journalist kritisiert nebenberuflich Serien. Ihn ärgern Mängel bei ARD und ZDF – oder er genießt „Tagesthemen“ sowie „Nord bei Nordwest“. Frühe Begegnungen mit „Disco“ und „Raumschiff Enterprise“ haben Spuren hinterlassen. Später scheiterte Stefan beim Versuch, die Frisur von „MacGyver“ zu kopieren. Wegen „Star Trek: Strange New Worlds“ und „1923“ mag er Paramount+.

Lieblingsserien: Frasier, Raumpatrouille, Star Trek – Deep Space Nine

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • (geb. 1969) am

    Jeder sollte mal die Antworten auf die folgenden 6 Fragen recherchieren und sich dann mal fragen, auf welchen, angeblich «wissenschaftlichen Konsens» er selbst hereingefallen ist:

    1.
    Wo liegt der absolute globale Temperaturbasiswert für "1,5-Grad-" bzw. "2-Grad-Ziel"?
    oder anders gefragt: Bei welcher absoluten Global-Temperatur hat die Erde KEINE erhöhte Temperatur bzw. KEIN FIEBER?

    2.
    Wo lag die absolute Globaltemperatur zu Beginn der "Industriellen Zeit", also um 1850?

    3.
    Wo lag jeweils die ermittelte absolute Globaltemperatur für das Jahr 2020, 2021 und 2022?

    4.
    Wie begründete der NASA-Forscher James Hansen am 23.06.1988 - also vor über 30 Jahren - bei seiner Anhörung vor dem US-Senat
    die Gefährlichkeit der damals festgestellten menschverstärkten Erderwärmung?

    5.
    Welche Globaltemperatur wurde für 1988 am 24.06.1988 auf der 1. Seite der NY-Times vermeldet und welche gleiche Globaltemperatur stand dann auch in vier Ausgaben von "DER SPIEGEL" in den Jahren 1988 bis 1995?

    6.
    In welchem globalen Absoluttemperaturbereich hatte der «Wissenschaftliche Beirat Globale Umweltveränderungen» (WBGU) im Jahr 1995 das «Tolerierbare Temperaturfenster» und darin auch das erste konkrete «2-Grad-Ziel» definiert?
    • (geb. 1987) am

      Zu 2. -
      Hochpräzise Infrarotlaserthermometer aus dem Jahr 2022 (Test Chip) haben eine Genauigkeit von Plusminus 2°C. Das Fehlerfeld ist also 4°C groß.
      Im Jahre 1850 waren die Thermometer, Messmethoden und das Messpersonal WESENTLICH ungenauer, ausserhalb von westlichen Großstädten, besondern in abgelegenen Gegenden und primitiven Ländern wahrscheinlich nicht einmal annähernd wissenschaftlich ernstzunehmen - wenn diese historischen Daten überhaupt im relevanten Ausmaße und geographischer Verteilung vorliegen.
      Indirekte Messungen (Archäometrie) über Baumringe oder Radiokarbonbetrachtung können überhaupt keine genauen Angaben zur Temperatur machen, schon gar nicht auf den Grad genau und auf gar keinen Fall auf zehntel oder hundertstel Grad, wie man manchmal liest. Sogar im tausendstel Bereich habe ich schon Zahlen gesehen.
      Zur Antwort: Es gibt keine auch nur einigermaßen genaue Daten. Nur Vermutungen und statsitische Interpretationen, wie es auf der Welt 1850 ausgesehen haben könnte.
      Wissenschaftler versehen diese Vermutungen logischer Weise mit einem riesigen Fehlerfeld, Journalisten hingegen geben ausschließlich den dramatischen Randbereich dieses Fehlerbandes an.
      1850 sollen es also exakt -0,43°C gewesen sein... Naja...Wahrscheinlich plusminus 5°C...
  • am

    Alles, was bereits Stefan schrieb, einfach unterirdisch schlecht, was die üblicherweise guten Schauspieler hier abliefern. Klare Empfehlung: etwas anderes anschauen, ir-gend-etwas!

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