„Die Pest“: Sehenswerter spanischer History-Thriller für aktive Zuschauer – Review

Filmregisseur Alberto Rodríguez verzichtet bei Erzählung über Seuchen und Mörder auf Kitsch

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 26.07.2018, 19:20 Uhr

„Die Pest“ – Bild: Movistar+
„Die Pest“

Sevilla, am Ende des 16. Jahrhunderts. Die andalusische Metropole mit ihrem gut gesicherten Hafen am Guadalquivir, 80 Kilometer landeinwärts gelegen, ist das Zentrum des spanischen Handels mit den amerikanischen Kolonien. Vom „neuen Rom“ ist bewundernd die Rede, und davon, dass diese Stadt mit der riesigen Altstadt, der Kathedrale und der maurischen Architektur ein Ort voller Möglichkeiten sei: „Man muss sie nur zu nutzen wissen.“ Das Mittelalter wirkt freilich noch nach – in der Inquisition, mit der die katholische Kirche das Land im Klammergriff hält, und in den Armenvierteln, in denen es wie eh und je unbarmherzig vor sich hin stinkt, müllt und kränkelt. Innerhalb der Stadtmauern jedoch, in den pompösen Adelspalästen, ist die Frühe Neuzeit, das „goldene“ spanische Zeitalter, im Zenit angekommen. Dann bricht die Beulenpest aus: ein Schock für die Kaufleute Sevillas, die eine königlich angeordnete Abriegelung und dadurch den Zugang für die „goldbeladenen“ Schiffe aus der Neuen Welt fürchten. Damit nicht genug: Plötzlich tauchen immer mehr grausam zugerichtete, mit Stigmata versehene Leichen auf.

Das ist das Setting, das die spanische Pay-TV-Plattform Movistar+ in ihrem aufwendig produzierten Sechsteiler „Die Pest“ ausbreitet, der im Frühjahr zum Sensationserfolg in Spanien wurde. Die Mixtur ist clever: Vor dem Hintergrund des historischen Schauplatzes Sevilla, zwischen Mittelalter und Moderne, wird eine Krimihandlung ausgebreitet. An deren Rändern lassen sich ungeschönte Blicke werfen aufs Leben der Menschen zu dieser Zeit. Ein Tipp: Sky Atlantic zeigt „La Peste“ wahlweise synchronisiert und in der Originalfassung. Letztere empfiehlt sich schon deshalb, weil das zu hörende Sprachengewirr (Spanisch, Italienisch, Deutsch) die kosmopolitische Atmosphäre dieser von Christen, Juden, Mauren, Adeligen, florentinischen Händlern, Bauern, Armen, Adeligen bevölkerten Stadt erst richtig zur Geltung bringt.

Zwei vielversprechende Könner entwickelten das Projekt ohne existierende Romanvorlage: Regisseur Alberto Rodríguez und sein Co-Autor Rafael Cobos gelten als aufregende neue Stimmen des spanischen Kinos, ihren zigfach preisgekrönten Ausnahmethriller „La isla mínima“ („Mörderland“) von 2014 sollte man gesehen haben. Einen packenderen Krimi gab es im europäischen Kino der letzten Jahre kaum. Ganz so dicht und beeindruckend ist „Die Pest“ nicht geworden, doch in Stimmung und Stil hat das Ergebnis wenig zu tun mit deutschem TV-History-Schmonz à la „Die Wanderhure“ und auch nicht mit glattpolierten Renaissance-Soaps der „Tudors“-Sorte, eher schon mit der Umberto-Eco-Verfilmung „Der Name der Rose“ von 1986, in dem das historische Zeitbild ebenfalls anhand von Sherlock-Holmes-haften Mordermittlungen erschlossen wurde.

Mateo Núñez (Pablo Molinero) und der gesuchte Valerio (Sergio Castellanos) in „Die Pest“
Protagonist und zentrale Ermittlergestalt von „Die Pest“ ist Mateo Núñez (Pablo Molinero), ein Ex-Soldat, der den letzten Wunsch seines alten Freundes Germán erfüllen soll: Er soll Valerio finden, den unehelichen Sohn des verstorbenen Seidenhändlers, der irgendwo in den Armenvierteln der Stadt lebt. Anfangs lebt Mateo noch zurückgezogen im zentralspanischen Toledo, 400 Kilometer entfernt von Sevilla. Wir lernen ihn kennen, wie er eine Prostituierte erst mit Platon-Sentenzen beeindruckt – und dann mit einem ruppigen Coitus a tergo. Mateo ist ein gelehrter, aber wütender und melancholischer Mann. Immer wieder wird man ihn, scheinbar ohne vorliegenden Grund, weinen sehen. „Wie kommt ein guter Mann wie du ohne Gott aus?“, wird er einmal gefragt. Erst später klären sich die Zusammenhänge: Seit er unliebsame Bücher druckte, gilt Mateo als Ketzer. Er musste aus Sevilla flüchten, offenbar verlor er seine Frau.

Was aber genau mit den Figuren los ist, wie sie zueinander im Verhältnis stehen, das lassen Rodriguez und Cobos die Zuschauer erst sukzessive herausfinden. Warum genau Mateo in Ungnade fiel, welche heimlichen Absichten die Personen verfolgen, all das muss man sich „erschauen“, es wird meist übers Bild erzählt, was sich angenehm abhebt von der Unsitte vieler Historienverfilmungen, alles in Erklärdialogen haarklein vorzukauen, damit die Zuschauer nebenher stricken, twittern oder Socken falten können. Rodríguez’ Selbstverständnis als bildmächtiger Kino-Regisseur zeigt sich hier deutlich: Das Figurentableau wird nicht erläuternd präsentiert, sondern inszeniert. Mateo schmuggelt sich also heimlich nach Sevilla hinein, mit seinen Augen tauchen wir ins Gewimmel der Stadt ein. Das gängige Inszenierungsklischee, belebte historische Altstädte immer als Labyrinth engstmöglicher Gassen zu präsentieren, in denen sich Kinder, Tiere, Händler, Diebe, Dirnen und Sklaven aneinander vorbeischieben, wird auch hier bemüht. Allerdings sind derart stereotype Ortsbegehungen selten in „Die Pest“, zumal der Score aus Western-wüstenstaubigem, minimalistischem Gitarren-Blues wieder von den Klischees wegführt.

Kirchentribunal in Sevilla – „Die Pest“

In Sevilla trifft Mateo die unterschiedlichsten Leute: Luis de Zúñiga (Paco León) etwa, seinen alten Freund, der es als Kaufmann zu Geld gebracht hat. An seinem Palast, in dem Mateo sich verstecken darf, werden die Freuden der Aufklärung und das Monopol der Stadt auf den Handel mit der Neuen Welt sichtbar: Es gibt Tomaten und Schokolade („Trotz der Farbe ist sie köstlich!“), Glas in den Fenstern, Indigo-Farben, Seife aus Bologna und einen Hauspapagei namens „Montaigne“. Zúñiga hat ein Geheimnis und erpresst einen Stadtrat mit Dingen, über die er selbst mal stürzen könnte: In der zweiten Episode wird Luis zur spannend doppelbödigen Figur. Oder Germáns Witwe Teresa (Patricia López Arnaiz): Sie lässt sich von ihrem Verwalter (Paco Tous) durch die Elendsviertel kutschieren, um in Freudenhäusern Modelle zu finden wie die junge Prostituierte Eugenia (Cecilia Gómez). Teresa ist Malerin, arbeitet aber nur unter dem Namen ihres Vaters: Gemälde von Frauen würde niemand kaufen. Oder der Arzt Monardes (Tomás del Estal), der wegen der als „Maurenkrankheit“ verharmlosten Pest dringend zur Abriegelung der Stadt rät, was Kaufleute wie Zúñiga und Morata (Antonio Gil) aber vermeiden wollen. Oder Knabenzuhälter Arquímedes (Manuel Morón), der ein Oliver-Twist-Regiment über die Waisenjungen der Stadt ausübt, die als Laternenträger, Diebe und Stricher durch die Gassen marodieren. Über Umwege findet Mateo schließlich den „Bastard“ Valerio (Sergio Castellanos), einen Freigeist, der den Pestkranken Nahrung in die verdrecken Hütten bringt und vor der Seuche immun zu sein scheint. Er haust in einer Steinhöhle, träumt vom Auswandern in die Neue Welt und möchte Leandra (Lupe del Junco) überreden, mit ihm mitzukommen. Die junge Wäscherin geht ihm gelegentlich masturbatorisch zur Hand, hat aber genug damit zu tun hat, über die Runden zu kommen.

Am Ende der Pilotfolge wird Valerio Mateo, den Mann mit den traurigen Augen, verraten und in den Knast bringen, erst danach kommt der Krimiplot aufs narrative Gleis: Generalinquisitor Celso de Guevera (Manolo Solo), auch er ein Mann der Bücher, bittet Mateo, ihm bei der Aufklärung der offenbar okkultistisch grundierten Mordserie zu helfen. Sagt er zu, winkt ihm die Freiheit, lehnt er ab, wird er hingerichtet.

Malerin Teresa (Patricia López Arnaiz) in „Die Pest“
Gewiss, die Ermittlungen folgen von der Tatort-Inspektion über die Obduktion der Leichen, von der Spurensuche in Gefängnissen und Katakomben bis hin zu Hinweisen auf eine Verschwörung höchster Kreise den gängigen Krimistandards, auch werden die Konventionen herkömmlicher History-Unterhaltung nie grundsätzlich gesprengt, dazu gibt’s ein bisschen zu viel wogende Mieder und auch zu viel Designerdreck in den Darstellergesichtern. Dennoch gewinnt die konsequente Verortung zwischen verschwitzt-verschmoddertem Gammel (mit röchelnden Kranken, wimmelnden Ratten und surrenden Insekten) und dem goldglitzerndem Prunk in den Kaufmannspalästen dem Üblichen immer wieder neue Reize ab. Die ständigen Körper-Checks (Achseln und Hals) vermitteln die grassierende Infektionsparanoia. Und ja: Es gibt tatsächlich ein paar Szenen, die in puncto Sex-and-Crime-Schockeffekte selbst „Game of Thrones“-Gestählte beeindrucken dürfte. Auch vor Babys wird dabei nicht haltgemacht. Die dicht inszenierten, kolossal ausgestatteten ersten Folgen, die Sevillas prägnante Stadtarchitektur digital überzeugend 450 Jahre zurückversetzen, die guten Schauspieler (uns deutschsprachigen Zuschauern überwiegend unbekannt) sowie das ominöse Geschehen, das gelegentlich sogar vom skelettösen Tod höchstpersönlich durchschlurft wird, sorgen jedenfalls für genügend Spannung, um bei der Stange zu halten. Gut möglich also, dass der Geschichtsthriller auch über den Whodunit-Plot der ersten sechs Folgen hinaus tragfähig bleibt.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden Episoden von „Die Pest“.

Meine Wertung: 3,5/​5


Gian-Philip Andreas
© Alle Bilder: Movistar+


Sky zeigt die Deutschlandpremiere der sechteiligen Auftaktstaffel von „Die Pest“ seit dem 19. Juli 2018 immer donnerstags ab 20:15 Uhr in Doppelfolgen. In Spanien wurde bereits eine zweite Staffel der Serie bestellt.

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am

    Das ist ja eine ganz großartig Info mit der Bestellung der 2. Staffel, Danke schön.

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