Das deutsche Fernsehjahr 2022 im Rückblick: Schlesinger-Skandal, Retrowelle, Streaming Wars

Das waren die wichtigsten Trends und Ereignisse des TV-Jahres

Glenn Riedmeier
Glenn Riedmeier – 25.12.2022, 09:00 Uhr

Sat.1 – Ein Sender auf der Suche nach Zuschauern und nach sich selbst

Sat.1

Zum 40. Geburtstag möchte ich, dass ein neues Sat.1 mit alter Stärke strahlt, sagte Senderchef Daniel Rosemann im Mai 2021, als er die Verantwortung für den strauchelnden Bällchensender übernahm und ihn seitdem parallel zu ProSieben leitet. Bislang ist dieses kühne Ziel allerdings noch nicht in greifbare Nähe gerückt. Selbstbewusst wurde als neuer Senderclaim „Es gibt noch viel zu sehen“ einführt, doch viele Zuschauer haben momentan eher das Gefühl: „Sat.1 – Es gibt hier nichts zu sehen.“

Mit einigen großen Namen wollte der Sender auf Zuschauerfang gehen. So wurde Anfang 2022 verkündet, dass Jörg Pilawa nach 20 Jahren beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen dorthin zurückgeht, wo er bereits in den 1990er Jahren tätig war: zu Sat.1. Als Grund für diese Entscheidung sagte Pilawa, dass er neue Herausforderungen gesucht habe. Er habe in der ARD tolle Programme mit tollen Leuten gemacht, aber er sei auch in einer Mühle gewesen und wollte einfach mal wieder raus aus der Komfortzone. Er musste sich selbst mal nen Tritt geben und was Neues machen.

Jörg Pilawa Sat.1/​Thomas Leidig

Ironischerweise handelte es sich bei seinem ersten Einsatz für Sat.1 schon wieder um ein Quiz, genauer gesagt das „Quiz für Dich“, basierend auf einer niederländischen Vorlage von John de Mol. Und die riss quotentechnisch keine Bäume aus. In der jungen Zielgruppe reichte es für 6,2 Prozent Marktanteil. Insgesamt waren im Schnitt 1,51 Millionen Zuschauer dabei. Dennoch wurde eine Fortsetzung in Auftrag gegeben. Leicht besser, aber auch nicht überragend lief es für die Show „Zurück in die Schule“, in der Prominente noch einmal die Schulbank drückten und um den Grundschulabschluss spielten. Nichtsdestotrotz wird Pilawa in den nächsten Monaten verstärkt in den unterschiedlichsten Disziplinen eingesetzt: Nachdem er den großen „Sat.1-Jahresrückblick“ moderiert hat, präsentiert er rund um den Jahreswechsel zusammen mit Jana Ina Zarrella eine Neuauflage von „Stars in der Manege“ und 2023 die Comebacks der Shows „Die Pyramide“ und „Herzblatt“ alias „Dating Game – Wer soll dein Herzblatt sein?“. Ob damit wieder höhere Quoten für Pilawa und Sat.1 drin sind, bleibt abzuwarten.

Birgit Schrowange Sat.1/​Boris Breuer

Doch es gibt eine Person, die bei Sat.1 noch mehr vom Pech verfolgt wurde: Birgit Schrowange. Die langjährige RTL-Moderatorin wollte nach einer Auszeit in diesem Jahr ihr TV-Comeback in Sat.1 feiern. Gleich drei neue Sendungen mit ihr wurden angekündigt. Doch bereits die Produktion hatte mit Turbulenzen zu kämpfen. Eigentlich sollte „Birgits starke Frauen“ im März starten, doch aufgrund eines Corona-Ausbruchs musste die Produktion und entsprechend auch die Ausstrahlung zwei Mal verschoben werden – mit dem Ergebnis, dass die Sendung kaum Publikum gefunden hat. In dem Format wurden prominente und nicht-prominente Frauen porträtiert, die ihre Träume verwirklicht haben und ihren Weg gehen. Das Format entsprach der von Sat.1-Senderchef Daniel Rosemann ausgerufenen Neupositionierung von Sat.1 mit einem Fokus auf Zuschauerinnen, die den 40. Geburtstag schon gefeiert haben.

Doch diese Rechnung nicht auf. Bereits die erste Folge sahen am Montagabend zur Primetime gerade mal 490.000 Zuschauer. In der jungen Zielgruppe reichte es mit 180.000 14- bis 49-Jährigen nur zu 3,0 Prozent. Dass es noch schlechter geht, stellte sich bei der zweiten Folge heraus. Diese wollten nur noch 320.000 Menschen sehen, in der Zielgruppe sackte der Marktanteil auf katastrophale 1,8 Prozent ab. Sat.1 hatte quasi keine andere Wahl, als vorzeitig die Reißleine zu ziehen und die Sendung abzusetzen. Trotz des Rückschlags stärkte der Sender Birgit Schrowange den Rücken und startete wenig später zwei andere Formate mit ihr, die jedoch auch nur auf enttäuschende Quoten kamen. Während „Wir werden mehr“ am Sonntagvorabend kaum Aufmerksamkeit erregte, ging das zweite Primetime-Format „Unser Mallorca – mit Birgit Schrowange“ ebenfalls sang- und klanglos unter. Weitere Sat.1-Projekte mit Schrowange sind derzeit nicht bekannt.

Sat.1/​Willi Weber

Das sind jedoch längst nicht die einzigen Probleme von Sat.1, denn das gesamte Tagesprogramm gleicht einem Trümmerhaufen. Im Oktober dachte man, es sei eine erfolgversprechende Idee, nach neun Jahren den Daily-Talk „Britt“ zurückzubringen. Am Vorabend wurde zudem eine tägliche Variante der Spielshow „Mein Mann kann“ mit Daniel Boschmann gestartet. Doch beide Neustarts entpuppten sich als absolutes Quotengift, so dass die Alarmglocken dauerhaft schrillen und der Bällchensender mehrfach die Abfolge der Sendungen hin- und herschob – ohne Effekt. Mit Reichweiten unter einer halben Million Zuschauer und Zielgruppen-Marktanteilen von teilweise unter 2 Prozent liegen beide Formate weit unter den Erwartungen – werden mangels Alternativen derzeit jedoch tapfer weitergesendet. Zuvor trennte sich Sat.1 bereits von der ebenfalls katastrophal gelaufenen Vorabend-Kochshow „Doppelt kocht besser“.

Wie oft Sat.1 zudem in den letzten Monaten sein Programm am Samstag umgeworfen hat, lässt sich kaum noch rekapitulieren. Zeitweise zeigte der Sender Wiederholungen seiner Telenovelas „Verliebt in Berlin“ und „Anna und die Liebe“ aus besseren Zeiten. Dann wiederum wurden kurzzeitig mehrere Kochshows als Marathon wiederholt, bevor ausgerechnet auf jenes Genre zurückgegriffen wurde, von dem man sich eigentlich bald komplett trennen will: Scripted Reality. Im Oktober zeigte man fast 15 Stunden lang von 5.15 bis 19:55 Uhr nonstop die Formate„Auf Streife“, „Richter & Sindera“ und „K11 – Die neuen Fälle“ bis 19:55 Uhr. Zuletzt überraschte Sat.1 im Dezember damit, den kompletten Samstag mit dem Serienklassiker „Unsere kleine Farm“ zu bespielen. 14 Stunden lang wurde die Familienserie aus den 1970er Jahren von früh morgens um 5.45 bis abends um 19:55 Uhr ausgestrahlt.

Sat.1

Sämtliche Hoffnungen liegen nun auf dem schon mehrfach verschobenen und derzeit für Frühjahr 2023 anvisierten Start der Nachmittagsshow „Volles Haus! Sat.1 Live“, einer dreistündigen Livesendung, die künftig von 16 bis 19 Uhr montags bis freitags zu sehen sein und von Jasmin Wagner und Jochen Schropp moderiert werden soll. Für die neue Nachmittagsshow wird quasi ein ganzes Haus gebaut samt Keller, Garage, Küche und Wohnzimmer – jeder Raum soll für eigene Inhalte stehen. Unter anderem soll es innerhalb der Sendung Doku-Soaps und ein VIP-News-Format in Kooperation mit BUNTE geben. Man darf gespannt sein, ob Sat.1-Zuschauer so etwas sehen wollen – und wie es 2023 allgemein mit dem strauchelnden Sender weitergeht.

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