Kein Gott, kein Kaiser noch Tribun Folge 2: Erinnerung der Besiegten (1914 – 1939)
Folge 2
2. Erinnerung der Besiegten (1914 – 1939)
Folge 2
Ob Individualist, Illegalist, Anarcho-Syndikalist, christlicher Anarchist oder auch Anarcho-Primitivist der Anarchismus hat fast ebenso viele Varianten wie Gesichter. Heute ist er unbedeutend, aber es gab eine Zeit, da beherrschte er die Welt. Erst nach dem Ersten Weltkrieg schien der Anarchismus in Europa fast keinen Einfluss mehr zu haben. Das hatte weniger mit den Anschlägen der „Propaganda der Tat“-Bewegung zu tun und den repressiven Gesetzen, den sogenannten Lois scélérates, die gegen sie erlassen wurden, als vielmehr mit dem Ersten Weltkrieg, der von Verdun bis an die Somme mancherorts fast ein Drittel der Arbeiter das Leben gekostet und die meisten Aktivisten mundtot gemacht hatte. Millionen von Amputierten, Traumatisierten und Entstellten dachten nicht mehr an eine Revolution. Am Rande der großen
Industrieländer jedoch lebte der Anarchismus weiter. Um die Reaktion niederzuschlagen, die ihrerseits viele Gesichter hatte, reichte es nun nicht mehr aus, Utopien von einer besseren Welt und solidarische Praktiken zu entwickeln. Der Kapitalismus gebar in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen zwei furchtbare Geschöpfe Stalinismus und Faschismus. Angesichts der verschiedenen Totalitarismen, die zu noch stärkerer Ausbeutung des Menschen und zur Industrialisierung des Mordens führten, galt es nun für die Anarchisten, an allen Fronten zu kämpfen und die Überlegenheit ihrer Ideen unter Beweis zu stellen. In Mexiko, Russland und Spanien führten sie im Namen von Recht und Freiheit eine der größten Revolutionen des 20. Jahrhunderts an und schrieben ein neues, schwarz-rotes Kapitel unserer Geschichte. (Text: arte)