Maria Theresias dunkle Seite Die Vertreibung der Juden aus Prag

A 2023 (51 Min.)
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Heyla Kirschner (Simona Zmrzlá), eine Hebamme, will mit ihrer Familie aus Prag flüchten. – Bild: ORF/​EPO Film/​Oliver Indra
Heyla Kirschner (Simona Zmrzlá), eine Hebamme, will mit ihrer Familie aus Prag flüchten.

Wien, 18. Dezember 1744. Kurz vor Weihnachten. Im Zentrum der Macht des Habsburgerreichs beginnt ein unheilvolles Drama mit Auswirkungen auf ganz Europa. Die blutjunge Herrscherin Maria Theresia befiehlt die Vertreibung der Juden aus Prag. Angeblich haben sie sich im Österreichischen Erbfolgekrieg illoyal verhalten. Der Film erzählt die letzte große Vertreibung der Juden im alten Europa vor dem Holocaust als ein Drama, das angesichts des wiedererstarkten Antisemitismus hochaktuell ist. In der TV-Dokumentation „Die Vertreibung der Juden aus Prag“ geht Autorin Monika Czernin der Frage nach, wie sich der Judenhass der zur „Mutter ihrer Völker“ hochstilisierten Habsburgerin erklären lässt, die in den Juden „die ärgste Pest“ vermutet? Was treibt die angeblich so aufgeklärte Monarchin zu diesem mittelalterlichen Akt gegen die größte und wichtigste jüdische Gemeinde Europas? Ist es der Einfluss ihres jesuitischen Beichtvaters oder die Familientradition? Ihr Großvater Leopold I. ließ 1670 alle Juden aus Wien vertreiben.

Nach Jahrhunderten der antijüdischen Verfolgung im christlichen Europa ist Maria Theresias Befehl der letzte von einer Herrscherin bzw.

einem Herrscher verordnete Terrorakt gegen Juden im alten Europa vor dem Holocaust. Es ist der politische Amoklauf einer absolutistisch regierenden Monarchin, die in diesem Fall beratungsresistent ist und tiefes Leid über Menschen in ihrer Machtsphäre bringt. „Das ist Maria Theresias dunkle Seite“, so Historikerin und Maria-Theresia-Biografin Barbara Stollberg-Rilinger, „in der populären Geschichtsvermittlung ist das bisher nicht vorgekommen.“ Prag, 22. Dezember 1744. Der Befehl der Monarchin ist eingetroffen.

Er gibt der jüdischen Gemeinde von Prag einige Wochen Zeit. Ein Countdown beginnt, denn die Juden Prags haben eine europaweite Kampagne gestartet, um die Monarchin zum Einlenken zu bringen. Zwei Hofjuden – Männer aus jüdischen Familien, die die Herrscher und Herrscherinnen damals mit Kapital und Luxusgütern versorgten – werden zu prominenten Anführern: Wolf Wertheimer in Augsburg und Diego d’Aguilar in Wien. Schreiben über Schreiben treffen in der Wiener Hofburg ein, die Gesandten Englands und Hollands antichambrieren bei Maria Theresia, sogar der Papst bittet um Menschlichkeit.

Es ist die erste diplomatische Großaktion der Juden als Volk vor der Staatsgründung. Die Habsburgerin Maria Theresia bleibt hart und so beginnt im März 1745 ein Exodus von 10.000 Menschen – bei Eiseskälte und mitten im Winter. Historiker Michael Silber von der Hebrew University: „Die Winter im 18. Jahrhundert waren extrem hart. In vielen Fällen mussten die Juden ihr Eigentum verkaufen, sie wussten ja nicht, dass sie in drei Jahren zurückkommen würden.

Vieles verkauften sie daher unter Preis. Es erinnert wirklich an die 1930er-Jahre, als die Juden Deutschland verließen.“ Nach der Vertreibung der jüdischen Bevölkerung aus Prag bricht die Wirtschaft des wichtigsten Habsburgischen Kronlandes Böhmen zusammen, die Auswirkungen sind bis ins Heilige Römische Reich zu spüren. „Das war ja nicht irgendeine Gemeinde. Prag war DIE jüdische Gemeinde in Europa, die größte, die wichtigste und die bedeutendste“, sagt Historikerin Rotraud Ries. 1748 wird Maria Theresia deshalb ihren verhängnisvollen Befehl zurücknehmen und die jüdischen Familien werden – allerdings gegen eine hohe Toleranzsteuer – nach Prag zurückkehren.

„Um Europa besser zu verstehen, muss man diese Geschichte kennen“, sagt die Regisseurin Monika Czernin über die Bedeutung des Themas. „Dieser Jahrhunderte alte Antijudaismus des Christentums ist eindeutig ein Nährboden für den Faschismus, den Nationalsozialismus, für den Antisemitismus und den Judenhass“, zieht der Judaist und Berater Papst Franziskus im christlich-jüdischen Dialog ein nachdenklich stimmendes Fazit. (Text: BR Fernsehen)

Barbara Staudinger, Direktorin Jüdisches Museum Wien: „Ich freue mich sehr, dass dieser Film zum Teil auch in unserem Haus gedreht wurde und wir Austragungsort dieser Premiere sein können. Die Habsburger galten gemeinhin als die Beschützer der jüdischen Bevölkerung in ihren Territorien. Doch waren es vor allem fiskalische Überlegungen, die sie trotz Jahrhunderte alter Judenfeindschaft dazu bewogen, Jüdinnen und Juden anzusiedeln. Sobald der politische Druck größer wurde oder sich ein finanzieller Vorteil versprach, waren jedoch auch die habsburgischen Herrscher bereit, die jüdischen Gemeinden zu vertreiben. Dies ist die Tradition, in der auch Maria Theresia stand.“ Tom Matzek, ORF-TV-Hauptabteilungsleiter Bildung, Wissenschaft und Zeitgeschehen: „Maria Theresia gehört zu den prägendsten Persönlichkeiten der österreichischen Geschichte. Das zeigen die Erfolge der fiktionalen Serien der vergangenen Jahre ebenso wie die zahlreichen Dokumentationen, die im ORF seit den 1960er Jahren entstanden sind. Doch ein Ereignis in ihrer Regierungszeit blieb dabei meist ausgespart. Die umfassende Vertreibung der jüdischen Bevölkerung aus Prag, die sie selbst gegen den Protest des Papstes durchführen ließ. Dieses Dunkel in der Geschichte Maria Theresias auszuleuchten, ist erstmals mit dieser penibel recherchierten und aufwendig umgesetzten ‚Universum History‘-Dokumentation gelungen. Damit zeigt die nun zehn Jahre bestehende ORF-Leiste eindrucksvoll, wie wichtig die ständige Auseinandersetzung mit scheinbar bereits bekannten Epochen der Geschichte ist.“ Monika Czernin, international renommierte und preisgekrönte Filmemacherin, über die große Bedeutung des Themas: „Um Europa besser zu verstehen, muss man diese Geschichte kennen. Zusammenleben und Diskriminierung der Juden gibt es in Europa seit 2000 Jahren. Diese wichtige Geschichte musste ich für ein breites Publikum erzählen, denn die Wurzeln des Holocaust, aber auch das jahrhundertealte Zusammenleben von Juden und Christen in Europa, die engen Verflechtungen in Handel und Wirtschaft und die wechselnden Allianzen für und gegen die Juden sind zu wenig bekannt. Und noch viel allgemeiner gesprochen sind unsinnige Befehle, Vertreibung und Flucht bis heute hochaktuelle Themen, die nur Leid über Menschen bringen!“ Michael Silber, Historiker, Hebrew University, Jerusalem, zur dunklen Seite Maria Theresias: „Maria Theresia sagte sich, das ist unsere Familientradition. Ihr Großvater hat die Juden aus Wien vertrieben. Und im 16. Jahrhundert hat ein anderer Vorfahre die Juden aus Prag verbannt. Außerdem war sie eine Nachfahrin von Isabella und Ferdinand, die schon die Juden aus Spanien vertrieben hatten.“ Heinrich Mayer-Moroni, Producer EPO-Film: „Ich habe das Potenzial dieses Themas für eine große internationale Koproduktion sofort erkannt, als Monika Czernin mir diesen Stoff angeboten hat. Nach zwei Jahren Entwicklung und Realisierung bin ich stolz auf das großartige Team, das mit Engagement und Begeisterung diesen Film möglich gemacht hat.“ (Text: ORF)

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