Lóczy – Wo kleine Menschen groß werden

H 2000 (125 Min.)
  • Dokumentation

Als Kind ohne Eltern aufzuwachsen zieht ein Trauma nach sich, von dem sich die meisten ihr Leben lang nicht erholen. Ob sie nun in einer Institution wie einem Waisenhaus oder in einer Pflegefamilie untergebracht werden, ändert an dieser Tatsache meist wenig. Häufig versagen auch heute noch die sozialen Institutionen, wenn es darum geht, den Gefühlsmangel aufzufangen und auszu­gleichen, der durch die fehlende Familie entsteht. Eine Ausnahme von der erschreckenden Regel ist das Pikler-Institut in Budapest, nach seiner Adresse Lóczy genannt.

Als der französische Dokumentarfilmer Bernard Martino 1983 zum ersten Mal für Dreharbeiten seiner Dokumentarfilmreihe „Le bébé est une personne“ das Pikler-Institut in Budapest besuchte, faszinierte ihn der Respekt, den die betreuenden Erwachsenen bereits den Säuglingen entgegenbrachten und vor allem die Auswirkungen, die diese Haltung auf die dort lebenden Kinder hatte. Symptome der sonst in Waisenhäusern wohlbekannten Gefühlsmangelkrankheit Hospitalismus wie Weinerlichkeit, Daumenlutschen, Teilnahmslosigkeit oder Bewegungsunruhe, waren bei ihnen kaum zu entdecken. Mit seinem Film „Lóczy – Wo kleine Menschen groß werden“ versucht der Autor dem Geheimnis dieses Ortes der Menschlichkeit auf den Grund zu gehen.

Die Lösung für das Rätsel dieses Erfolges hört sich zunächst verblüffend einfach an. Die Betreuung der Kinder beruht auf dem Grundgedanken, dass durch die intensiven Momente zwischen Kindern und Erwachsenen bei der Pflege, d.h. durch den Hautkontakt, den Kindern das Gefühl der Geborgenheit vermittelt wird. So wird den Kindern die Möglichkeit gegeben, eine für ihre freie Entwicklung notwendige psychische Hülle zu entwickeln und aus dieser inneren Sicherheit heraus die Welt um sie herum selbständig zu entdecken, sie mit ihren Händen zu ertasten und im wahrsten Sinne des Wortes zu begreifen.

Theoretisch stehen die Betreuerinnen in Lóczy wie in allen anderen Pflegeheimen unter Zeitdruck. Zu viele Kinder warten darauf, dass sie an die Reihe kommen. Doch hier werden andere Prioritäten gesetzt. Jede „Gewalt“ am Körper des Kindes – ob dies nun ein abruptes Hochreißen oder laute Worte sind – versucht man zu vermeiden. Zu viel Gewalt haben sie schon erlebt. In Lóczy sollen sie das Vertrauen in die sie umgebenden Menschen wiedergewinnen. Bernard Martino gelingt es, dem Rhythmus dieses besonderen Ortes zu entsprechen und die „magischen Momente“ im Alltag des Heimes einzufangen.

Keine der Betreuerinnen kommt in die Versuchung, mütterliche Gefühle zu entwickeln. Sie sind sich dessen bewusst, dass sie dabei nur versagen könnten – zu ihrem eigenen Nachteil und vor allem dem der Kinder. Wenn man die Mutterliebe dem Bereich des Instinktes zuschreibt, dann trifft dies nicht auf den Respekt zu. „Liebe ist nicht genug“, sagte Bruno Bettelheim. Im Gegensatz zur „Liebe“ ist Respekt nie egoistisch oder gar launisch, sondern stellt immer die Bedürfnisse des anderen in den Vordergrund.

Die in Lóczy umgesetzten pädagogischen Überlegungen enttäuschen viele unserer Erwartungen, schockieren uns in unseren Klischees und eröffnen dabei neue Denkweisen im Umgang mit den kleinen Menschen – und in der letzten Konsequenz eben auch mit uns selbst. Vor mehr als 50 Jahren von der Kinderärztin Emmi Pikler gegründet, ist das weit über die ungarischen Grenzen hinaus bekannte Säuglings- und Kleinkinderheim und Forschungs-Institut jetzt von der Schließung bedroht. (Text: arte)

Sendetermine

So 20.05.2001
15:20–17:25
15:20–

Cast & Crew

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