„Suspect“ bei ZDFneo: Wie spannend ist die Krimiserie mit James Nesbitt? – Review

Vater sucht in britischem Krimi verzweifelt nach dem Grund, warum seine Tochter sterben musste

Rezension von R.L. Bonin – 23.06.2023, 16:30 Uhr

„Suspect“: James Nesbitt (vorne) auf der Suche nach einem Mordverdächtigen – Bild: Channel 4
„Suspect“: James Nesbitt (vorne) auf der Suche nach einem Mordverdächtigen

Ein Jahr nach der Erstausstrahlung in Großbritannien auf Channel 4 zeigt ZDFneo in der Nacht von Freitag, 23. Juni, auf Samstag, 24. Juni, die Krimiserie „Suspect“. Um 23:35 Uhr geht es los – mit einer durchschnittlichen Länge von 20 Minuten sind die insgesamt acht Folgen schnell durchgeschaut. Doch lohnt sich die kurzweilige Serie um Polizistenvater Danny Frater?

Ich geb’ dir Bescheid, falls wir rausfinden, ob es dein Mädchen ist – mit diesen Worten beginnt der wahrgewordene Albtraum des Ermittlers Danny Frater (James Nesbitt), als er die bisher unidentifizierte Leiche einer Frau als seine Tochter wiedererkennt. Alle Beweise deuten auf Suizid. Doch der trauernde Vater kann und will das nicht akzeptieren, weshalb er jedem noch so kleinen Hinweis nachgeht, der ihn Folge für Folge zu neuen Verdächtigen führt – was auch den Serientitel erklärt.

Tatsächlich handelt es sich bei „Suspect“ um ein Remake, das auf der dänischen Serie„Verdacht/​Mord“ (Originaltitel: „Forhøret“) beruht. Wenn man ausschließlich die beiden Trailer vergleicht, findet man bereits viele Ähnlichkeiten. Auffällig ist jedoch, dass „Suspect“ im Unterschied zum Original die Tat nicht explizit als Mord bezeichnet. Das spiegelt sich auch in der Handlung selbst wider, in der es weniger um die Suche nach dem Wer, sondern mehr um das Warum geht. Reicht das jedoch, um die acht Folgen mit Inhalt und Spannung zu füllen?

Danny (James Nesbitt) ist erschüttert, nachdem die unbekannte Tote sich als seine Tochter Christina entpuppt. ZDF/​Laurence Cendrowicz

Nach der ersten Folge würde man die Frage erstmal mit „Nein“ beantworten. Trotz der im Verhältnis zu anderen Serien aus dem Krimigenre sehr kurzen Sendezeit zieht sich der Pilot. Das liegt vor allem an dem langsamen Start und dem gelangweilten Auftreten der Figuren. Polizist Danny Frater wirkt unmotiviert, als er im Leichenschauhaus aufkreuzt und um Informationen zur „Jane Doe“ bittet, die er für ein vermisstes Mädchen hält. Mit ihrer abweisenden Art erweckt auch Pathologin Jackie (Joely Richardson) als Charakter kaum Interesse. Das Blatt wendet sich erst nach guten fünf Minuten, was nicht nach viel klingt, aber sich so anfühlt. Zwar ist Fraters emotionale Reaktion auf die Erkenntnis, dass seine Tochter unter dem Leichentuch liegt, überzeugend, aber auch hier gerät die Handlung ins Stocken. Verstärkt wird dies durch die überdurchschnittlich oft verwendeten Nahaufnahmen. Erst zu Beginn der zweiten Hälfte wendet sich das Blatt, als Frater sich und Jackie einsperrt.

Jetzt wird es endlich interessant: Die beiden Charaktere liefern sich einem Machtspiel, in dem stets unklar ist, wer wirklich die Oberhand behält. So wie es aussieht, soll sie wohl die erste Verdächtige sein, die Danny befragt – was jedoch nicht ganz zusammenpasst. Denn Jackie macht nicht den Anschein, die Wahrheit vertuschen zu wollen. Im Gegenteil: Sie dient vielmehr als Instrument, die typischen Wie, Wann und Wo-Fragen des Geschehens zu klären. Insofern ist sie weniger eine Verdächtige, als ein Mittel zum Zweck. Daher ist es kaum verwunderlich, dass es trotz des intensiven Schlagabtauschs keinen neuen Status Quo gibt: Weder Danny noch Jackie ändern ihre Meinung oder stoßen auf eine Unstimmigkeit. Das macht die ganze Interaktion nichtig, als ob man sich sinnlos im Kreis dreht. Die aufleuchtende Smartwatch der Toten, die einen Alarm aus der Wohnung meldet, mag Danny als „heiße Spur“ genügen – doch Krimifans wird dieser Cliffhanger wohl kaum fesseln.

Warum hier so stark auf die erste Folge eingegangen wird? Ganz einfach: Weil die darauffolgenden zwei Episoden genau gleich aufgebaut sind. Lediglich die Verdächtigen und Schauplätze ändern sich. So beginnt jede Folge gleich: Danny sitzt im Auto, dann besucht er den Ort, zu dem es in der vorherigen Folge einen Hinweis gab, und trifft dort auf den nächsten Verdächtigen. Ja, das wiederholt sich. Aber ein typischer Krimi à 45 oder 90 Minuten funktioniert nicht anders – nur füllen die einzelnen Ermittlungsschritte keine ganzen zwanzig Minuten, sondern sind meist knackig und kurz. Unter diesem Blickpunkt sollte man die Folgen weniger als eigenständige Episoden, sondern vielmehr als langgezogene Szenen betrachten. Wenn man die acht Folgen zusammenzählt, kommt man auf eine Laufzeit von etwa zweieinhalb Stunden. Die erste Staffel könnte also genauso gut einem Film mit Überlänge entsprechen.

In der Wohnung seiner Tochter begegnet Danny (James Nesbitt) Nicola (Niamh Algar), der Ehefrau seiner toten Tochter – die ihm erstmalig ein Video der Hochzeit zeigt, von der er nichts mitbekommen hatte. ZDF/​Laurence Cendrowicz

Dass sich die Folgenstruktur wiederholt, ist also verzeihlich. Aber dass die Befragungen immer demselben Schema folgen, wirkt spätestens zum Ende der dritten Folge einfallslos. Jedes Mal weigern sich die Befragten zunächst, dann packen sie aus. Zuletzt gibt es meist noch einen Twist, der mal weniger, mal mehr überrascht. Ebenso wenig originell ist die typische Trope der entfremdeten Vater-Tochter-Beziehung: Danny soll das Coming Out seiner Tochter nie akzeptiert haben und hält sie darüber hinaus für ein Unschuldslamm, was sie natürlich ganz und gar nicht ist. So gehören zum Kreis der Verdächtigen unter anderem ihre Ehefrau Nicola (Niamh Algar), von der er gar nichts wusste, und ihre gute Freundin Maia (Antonia Thomas), die zufällig auch Managerin eines Gentlemen’s Club ist.

Trotz all dieser Schwächen ist zum Schluss der dritten Folge das Interesse tatsächlich noch da! Denn, was der Serie gut gelingt – ob gewollt oder nicht – ist, dass sie kein klassisches Whodunnit erzählt. Natürlich möchte Danny den Tod seiner Tochter aufklären und im besten Fall herausfinden, ob es nun Mord oder Suizid war. Aber er jagt nicht einem unbekannten Mörder hinterher. Wie er selbst sagt: Er will einfach nur wissen, wieso. Warum musste seine Tochter sterben? Das ist es schließlich, was emotional fesselt und dadurch auch Lust macht, die weiteren Folgen anzusehen.

Fazit: „Suspect“ ist eine kurzweilige Serie, die nicht zu den spannendsten aber auch nicht zu den langweiligsten gehört. Die Handlung und der Fall sind für ein Krimi- und Thrilleraffines Publikum sicher nichts Neues. Dafür überzeugt aber die Suche nach dem „Warum“ als Alleinstellungsmerkmal. Gepaart mit der doch kurzen Dauer der Staffel, könnte es sich für Interessierte durchaus lohnen, Freitagnacht bei ZDFneo einzuschalten – oder die Folgen kurz darauf in der ZDF Mediathek in einem Rutsch anzusehen.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten drei Folgen der Serie „Suspect“.

Meine Wertung: 3/​5

Die britische Serie „Suspect“ feiert am 23. Juni bei ZDFneo Deutschlandpremiere. Zuvor wurde das Remake im Juni 2022 in Großbritannien erstausgestrahlt. Alle acht Folgen der ersten Staffel stammen aus der Feder von Matt Baker („Hotel Portofino“, „Professor T“) und wurden von Regisseur Dries Vos (ebenfalls „Professor T“, „Women of the Night“) inszeniert. Hauptdarsteller James Nesbitt ist unter anderem aus den Filmen „Der Hobbit“ und „Lang lebe Ned Devine“ sowie den Serien „Bloodlands – Die Goliath-Morde“ und „Stan Lee’s Lucky Man“ bekannt.

Über die Autorin

Originalität – das macht für R.L. Bonin eine Serie zu einem unvergesslichen Erlebnis. Schon als Kind entdeckte die Autorin ihre Leidenschaft für das Fernsehen. Über die Jahre eroberten unzählige Serien unterschiedlichster Genres Folge für Folge, Staffel für Staffel ihr Herz. Sie würde keine Sekunde zögern, mit Dr. Dr. Sheldon Cooper über den besten Superhelden im MCU zu diskutieren, an der Seite von Barry Allen um die Welt zu rennen oder in Hawkins Monster zu bekämpfen. Das inspirierte sie wohl auch, beruflich den Weg in Richtung Drehbuch und Text einzuschlagen. Seit 2023 unterstützt sie die Redaktion mit der Erstellung von Serienkritiken. Besonders Wert legt sie auf ausgeklügelte Dialoge, zeitgemäße Diversity und unvorhersehbare Charaktere.

Lieblingsserien: Lost in Space, Supergirl, Moon Knight

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • (geb. 1967) am

    Hauptsache, der Mist geht nicht in die nächste Runde
    • am

      P.S.: Und wer sich die 1. Folge richtig verderben will, schaut sich vorher den TRAILER an.
      • am

        Ich hatte schon nach der 1. Folge die Lust verloren. Der Vater ist ein ätzender Typ und live im ZDF wird die Ausstrahlung wie immer mit Reklame und Kürzungen versehen - typisch für den "EinAuge"-Sender. Für den (vollständigen) Stream muss man aber 1 Tag warten.
        • am

          Ich persoehnlich kann weder mit Roman1976s, noch mit RLBs Wertung etwas anfangen -- diese (Mini-)Serie ist de facto oredentlich spannend, wenn auch weniger als das Original.
          Wie auch immer, wer James Nesbitt mag, der ist (auch) hier hier gut aufgehoben; er ist einfach ein Ausnahme-Schauspieler.
          • (geb. 1976) am

            Über HD Austria konnte ich die Serie schon sehen, gefesselt hat sie mich nie. Es lief im Hintergrund, wirklich sehenswertes gab es nicht dabei. Eventuell die letzten 10 Minuten.

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