„Ripley“: Killer im Schatten – Review

Netflix-Serienfassung des Patricia-Highsmith-Kultromans betört mit edlem Schwarzweiß und einem abgründigen Andrew Scott

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 08.04.2024, 18:30 Uhr

Bringt die Düsternis mit nach Italien: Tom Ripley (Andrew Scott) sucht das unbekümmerte Leben – und geht dabei über Leichen. – Bild: Netflix
Bringt die Düsternis mit nach Italien: Tom Ripley (Andrew Scott) sucht das unbekümmerte Leben – und geht dabei über Leichen.

Er ist die berühmteste Figur von Patricia Highsmith: Tom Ripley. Der aufstiegserpichte Soziopath und moralbefreite Trickbetrüger aus den Thriller-Romanen der US-Autorin ist schon mehrfach im Kino aufgetaucht – lediglich eine Serie fehlte bislang. Jetzt hat der oscargekrönte Drehbuchautor Steven Zaillian („Schindlers Liste“) diese Leerstelle beseitigt: Acht Folgen lang nimmt er sich Zeit, um „Der talentierte Mr. Ripley“, den ersten der fünf Ripley-Romane, in eine völlig neue Form zu bringen: in kontrastreichem Edel-Schwarzweiß, düster wie nie und in der Titelrolle besetzt mit einem Andrew Scott in Hochform. Ungeduldige Zuschauer könnte die bedächtige Erzählweise von „Ripley“ abschrecken  – alle anderen aber dürften der kalten Faszination dieser altbekannten Geschichte schneller denn je erliegen.

Jedem sein Ripley: Wer Highsmiths Romane gelesen hat, wird ein anderes Bild des Betrügers, Mörders und versierten Identitätswechslers im Kopf haben als jene, die Alain Delon oder Matt Damon in den ersten beiden Verfilmungen von „Der talentierte Mr. Ripley“ gesehen haben: „Nur die Sonne war Zeuge“ (1960) ist ein Klassiker, dem Highsmith allerdings das „moralische“ Ende übelnahm, denn Ripley wird darin gefasst. „Der talentierte Mr. Ripley“ (1999) war für fünf Oscars nominiert und betonte die Bisexualität der Figur, die von Highsmith zwar angedeutet, aber nie vollständig ausbuchstabiert wurde. Neben Delons und Damons Ripley-Figuren gab es noch weitere Interpretationen, etwa durch Dennis Hopper (in Wim Wenders„Der amerikanische Freund“, einer 1977 entstandenen Quasi-Verfilmung des zweiten Romans) oder Barry Pepper (in „Ripley Under Ground“ von 2005, der in Deutschland nie ins Kino kam).

Es mangelt also wirklich nicht an Ripley-Adaptionen und Ripley-Versionen in Filmform, weshalb man durchaus gespannt sein durfte, ob Steven Zaillian dem Ganzen jetzt noch mal neue Facetten würde verleihen können – mit acht Stunden Erzählzeit zur Verfügung und Andrew Scott in der Hauptrolle. Bekannt geworden als Professor Moriarty in „Sherlock“ und als 007-Gegner in „Spectre“, kultisch verehrt für seinen „Fleabag“-Priester und jüngst gefeiert für das Liebesgeisterdrama „All of Us Strangers“, zählt der irische Schauspieler längst zu den Großen seiner Zunft: Sein Charme ist immer etwas linkisch, und das Charisma, über das der 47-Jährige zweifellos verfügt, kann er gekonnt ein- wie ausknipsen. Besonders typisch ist das betont langsame Blinzeln: Andrew Scott ist ein Meister des sanften Wimpernschlags.

Am Fenster stehen, Pläne schmieden, fremde Identitäten ausprobieren: Ripley möchte zu den Oberen Zehntausend gehören.Netflix

Tiefe Melancholie verbirgt sich dahinter, eine ewige Traurigkeit, und genau diese Mischung erweist sich in „Ripley“ als faszinierend: Scotts Interpretation der Hauptfigur verbindet eisige Kälte mit unendlicher Einsamkeit, trügerische Ruhe mit der Fähigkeit zum psychopathischen Exzess. Manchmal muss Scotts Ripley seine Gesichtszüge nur minimal in Richtung eines angedeuteten, freudlosen Grinsens verziehen, damit es den Zuschauern kalt den Rücken hinunterläuft. Psychologisiert à la deutscher Fernsehfilm wird in der Serie zum Glück nichts: Was Ripley antreibt, was ihn kriminell macht(e), bleibt außen vor und geht erzählerisch nicht über das hinaus, was Highsmith in ihrem 1955 erschienenen Ripley-Debüt anlegte. Der Figur näher – wohl oder übel – kommt man ausschließlich über das Spiel von Scott, der die Serie damit (übrigens auch als Co-Produzent) auf eigenen Schultern trägt. Er dominiert fast jede Szene und steht viel mehr noch im Zentrum als etwa Matt Damon in der letzten Kinoversion.

Der Plot – aus den Fünfzigern zaghaft ins Jahr 1961 vorverlegt – bleibt dem Roman getreuer verpflichtet als die bisherigen Fassungen. Zaillian, der alle acht Episoden schrieb und auch inszenierte, kann es sich aufgrund der verlängerten Erzählzeit erlauben, dabei noch stärker ins Detail zu gehen. Ausführlicher denn je sehen wir also zu Beginn, wie Ripley sich in New York als Trickbetrüger durchschlägt, in einer Einzimmerwohnung haust, falsche Mahngebühren eintreibt, sich erschlichene Schecks auszahlen lassen möchte – und damit scheitert. Der steinreiche Reeder Herbert Greenleaf lässt Ripley vom Privatdetektiv Alvin McCarron (Bokeem Woodbine, „Fargo“) ausfindig machen: Er sei doch ein alter Freund seines Sohnes Dickie? Ob er diesen, der auf einer nicht enden wollenden Italienreise das süße Leben genießt, nicht in Kampanien ausfindig machen und zurück in die USA holen könne? Die komplette Reise würde er, Herbert, vollständig bezahlen, samt Auslagen. Ripley muss da nicht lange überlegen, auch wenn er Herbert gegenüber lieber verschweigt, dass sich seine Bekanntschaft mit Dickie auf ein flüchtiges Hallo beschränkt, an die sich der dandyhafte Reederssohn längst nicht mehr erinnern dürfte.

Auch die Reisen nach und in Italien schildert die Serie in aller Ausführlichkeit: Zugreisen, Busreisen, Taxifahrten, das Warten aufs nächste Transportmittel. Das setzt sich auch dann fort, wenn es darum geht, welche Schritte Ripley im Einzelnen unternehmen muss, um seinen großanlegten Betrug erst anzuleiern und dann aufrechtzuerhalten: ständige Gänge zu Schaltern von Banken, Ämtern, Kreditkartenunternehmen, Bootsverleihern, Autovermietern. Hier liegt potenziell die Crux für Teile des Publikums: In diesen Groove, in diese Detailversessenheit, muss man sich schon hineinfinden wollen. Wer stets nur den nächsten heißen Plot Point herbeisehnt, könnte sich dagegen schon bald auf eine größere Probe gestellt fühlen. Nicht von ungefähr wurde „Ripley“ eigentlich für den Pay-TV-Kanal Showtime geplant (und von diesem co-produziert). Erst vor zwei Monaten wurde entschieden, die Serie bei Netflix zu starten – eine wagemutige Entscheidung inmitten des schnelllebigen Outputs dieses Streamingdienstes.

La Dolce Vita am Amalfi-Strand: Marge (Dakota Fanning) und Dickie Greenleaf (Johnny Flynn) genießen das alimentierte Nichtstun. Netflix

Was den Handlungsinhalt betrifft, erwarten Kenner des Romans keine Überraschungen: Ripley findet Dickie (Johnny Flynn aus „Emma“) in Atrani, einem pittoresken Ort an der Amalfiküste, schnell erschleicht er sich sein Vertrauen, sehr zum Missfallen seiner Freundin Marge (Dakota Fanning, „Krieg der Welten“). Nach zwei Monaten, in denen Ripley an Dickies Seite ein luxuriöses Leben genießt, dringt über Marge und auch den alles bezahlenden Reedersvater ein gewisses Misstrauen zu Dickie vor, und als der sich schließlich dazu entscheidet, die Bande zu Ripley wieder zu trennen, ist die Stunde des sanften Kriminellen gekommen: Ein großangelegter Plot um Identitätsdiebstahl und kaltblütigen Mord nimmt seinen Lauf, quer durch Italien. Die bedächtige, fast akribische Darstellung von Ripleys Machenschaften zahlt sich dabei immer wieder aus, wenn sich plötzliche, heftige Spannungsbögen um unerwartete Ecken schlängeln und dann, zu Wasser und zu Lande, in plötzliche Gewaltausbrüche münden.

Andrew Scott dominiert das Geschehen, doch auch Flynn und Fanning passen ideal in ihre Rollen als Dickie und Marge. Daneben griff Zaillian zu einigen kühnen, starken Besetzungsentscheidungen: Freddie Miles etwa, Dickies arroganter Studienfreund, der Ripley auf die Schliche kommt, wird von Eliot Sumner gespielt, geboren als Tochter von Sting, heute nichtbinär im Musikgeschäft unterwegs. Der deutsche „Dark“-Star Louis Hofmann hat als Freddies Lover Max eine markante Gastrolle und kann damit (nach „Alles Licht, das wir nicht sehen“) sein internationales Portfolio noch breiter aufstellen. Dickies Vater wird von Kenneth Lonergan gespielt, sonst als Autorenfilmer („Manchester by the Sea“) bekannt und oscarprämiert. Auch der italienische Cast ist absolut top, allen voran Margherita Buy („Mia Madre“) als Ripleys Vermieterin, Vittorio Viviani als kauziger Postmann und der wunderbar triefäugige Maurizio Lombardi („The New Pope“) als Inspektor Ravini, mit dem sich Ripley ein Katz- und Maus-Spiel liefert. Gegen Ende taucht dann noch John Malkovich auf, in einer Rolle aus den späteren Ripley-Romanen, was (wie schon der allgemein gehaltene Titel der Serie) darauf hindeutet, dass Zaillian im Erfolgsfall auch weitere Staffeln rund um den cleveren Killer für möglich hält. Fun Fact: Auch Malkovich zählt zu den Schauspielern, die Tom Ripley schon mal gespielt haben. An „Ripley’s Game“ von 2002 kann sich allerdings kaum jemand mehr erinnern.

Italienische Idylle, so düster wie nie: Ripley schleicht durch nächtliche Gassen. Netflix

Was diese neue Ripley-Variante, abgesehen von Andrew Scott, von den bisherigen aber dann doch am meisten abhebt, ist ihre extrem edle formale Gestaltung – und damit ist nicht nur das exzellente Produktionsdesign von David Gropman („Catch-22“) gemeint oder die oft ungeduldig pulsende Musik von „Picard“-Komponist Jeff Russo. Gemeint sind vor allem die Bilder. Zaillian arbeitete hier, wie schon zuletzt bei seiner sehenswerten Krimi-Miniserie „The Night Of“, mit dem Kameragenie Robert Elswit zusammen. Der Stamm-Kameramann von Paul Thomas Anderson, für dessen „There Will Be Blood“ er mit dem Oscar ausgezeichnet wurde, kleidet Ripleys Italienreise von Neapel über San Remo und Rom bis nach Venedig in ein derart geschliffenes Schwarzweiß, dass man nie so genau weiß, ob man gerade einem touristischen Traum oder Albtraum zuschaut. Das schöne Italien ist nach wie vor im Bild, wird aber um all den Glamour bereinigt, den die bisherigen Verfilmungen so stark zelebrierten.

In verkanteten Perspektiven bringt Elswit den weiß-idyllischen Küstenort in eine fast hitchcocksche Schräglage, übersetzt das berühmte Chiaroscuro aus Caravaggios Gemälden (um die es in den Episoden mehrfach geht), diese räumlichkeitssteigernden Hell-Dunkel-Kontraste der Renaissance-Malerei also, in atemberaubend schöne und doch gezielt hermetische Film-Noir-Bilder, die düstere Abgründe heraufbeschwören und in genau komponierten Spiegeleinstellungen Ripleys Identifikationsverwirrnis kommentieren: Überall sind sie, diese harten Schlagschatten der Verdammnis. Schon in den ersten Bildern der Serie machen sie sich bemerkbar, wenn eine weiße Katze Ripleys dunklem Tun in einem Römer Treppenhaus zusieht: Wo es besonders hell leuchtet in dieser Serie, lockt der pechschwarze Schatten stets direkt daneben. „Ripley“ jedenfalls ist die mit Abstand bestaussehende Serie, die derzeit auf Netflix zu sehen ist – und auch in vielen anderen Hinsichten ein dunkel funkelndes Kleinod.

Dieser Text basiert auf der Sichtung aller acht Episoden von „Ripley“.

Meine Wertung: 4/​5

Die achtteilige erste Staffel von „Ripley“ ist seit dem 4. April beim Streamingdienst Netflix abrufbar.

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am

    "Zaillian arbeitete hier, wie schon zuletzt bei [...] "The Night Of", mit dem Kameragenie Robert Elswit zusammen. Der Stamm-Kameramann von Paul Thomas Anderson [...] kleidet Ripleys Italienreise [...] in ein derart geschliffenes Schwarzweiß, [...]"

    Man kann den Stil der Kamera bei "Ripley" überhaupt nicht mit "The Night Of" vergleichen, darum ist die Erwähnung eher irreführend. Wer kann, sollte die Serie unbedingt auf einem guten Endgerät mit 4K, OLED und Dolby Vision anschauen. Nur dann kommen die extrem kontrastierenden Schwarzweiß-Effekte so richtig zum Tragen.

    Solche Bilder gehören eigentlich auf die große Leinwand und nicht zu Netflix.
    • am

      Andrew Scott war bereits bei #Sherlock ein herausragender Moriaty. Er ist leider ein Schauspieler, der viel zu oft unter dem Radar läuft. Ich finde ihn Klasse!
      • (geb. 1987) am

        ich aucch! die serie R.  war echt klasse

    weitere Meldungen