„Justified: City Primeval“: Die gelungene Rückkehr des Kentucky-Cowboys – Review

Im Sequel zur Kultserie „Justified“ ermittelt Timothy Olyphant in Detroit

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 06.09.2023, 09:25 Uhr (erstmals veröffentlicht am 23.07.2023)

Im blauen Licht der Großstadt: Raylan Givens (Timothy Olyphant) sucht wieder Mörder. – Bild: FX
Im blauen Licht der Großstadt: Raylan Givens (Timothy Olyphant) sucht wieder Mörder.

Hinweis: Dieser Text wurde anlässlich der US-Premiere der Serie „Justified: City Primeval“ erstmalig veröffentlicht. Ab heute (6. September) ist die komplette Staffel bei Disney+ abrufbar.

Die beste Neowestern-Serie der letzten fünfzehn Jahre ist natürlich nicht „Yellowstone“ – sorry, Kevin Costner. Diese Ehre gebührt vielmehr der FX-Serie „Justified“, der in der ersten Hälfte der Zehnerjahre kultische Verehrung zuteilwurde. Das war die große Zeit der Antiheldenserien im Qualitäts-Pay-TV, noch vor dem Durchmarsch der Streamingdienste. Doch allen Emmy-Gewinnen und Lorbeeren zum Trotz kam die Begeisterung in den deutschsprachigen Ländern eher nicht so an: Nach den ersten zwei Staffeln, die noch auf Kabel Eins liefen, verschwand „Justified“ vom Radar, die restlichen Staffeln hatten ihre Deutschlandpremiere im Programm des Abokanals Sony AXN (mittlerweile findet sich die Serie auch bei Amazons Freevee und bei Disney+). Vielleicht kann nun das unerwartet produzierte Sequel die Lust auf die Serie neu erwecken? Die achtteilige Miniserie, die soeben bei FX angelaufen ist und im September Disney+ erreichen soll, ist entgegen einiger Befürchtungen ziemlich gut geraten: „Justified: City Primeval“ spielt nicht mehr in Kentucky, sondern in Detroit und beschert ein willkommenes Wiedersehen mit Timothy Olyphant als Deputy U.S. Marshal Raylan Givens.

Diejenigen, die „Justified“ gar nicht oder aber aus genanntem Grund nie zu Ende gesehen haben, seien hier kurz auf den aktuellen Stand gebracht: 78 Episoden lang ermittelte Givens in seiner Heimatregion Harlan County gegen Mobster, kriminelle Familien und andere Übeltäter, mit Stetson-Hut auf dem Kopf und lockerem Finger am Pistolenabzug. In der südöstlichsten Ecke von Kentucky kollidierte Givens’ Sinn für Gerechtigkeit regelmäßig mit Recht und Gesetz, der Graubereich dessen, was Gesetzeshütern gerade noch so erlaubt ist, erwies sich dort als besonders großflächig. Die Serie spielte zwar in der Gegenwart, war aber konzipiert wie ein Western, und Olyphant zelebrierte die rücksichtslose Coolness vergangener Cowboyhelden. Ganz am Ende, nach einem der wohl besten Serien-Finals der letzten Dekaden, hatte Givens alles erledigt, was in Harlan County zu erledigen war. Frisch Vater geworden, zog er zurück nach Florida.

Zurück nach Florida? Ja, denn dort lebte Givens schon zu Beginn der Serie. „Justified“ erzählte also die Geschichte einer provisorischen Rückkehr in die Gegend, in der Givens aufgewachsen war. Grund für diese Konstruktion war die literarische Vorlage der Serie: die Kurzgeschichte „Fire in the Hole“ des schon vielfach verfilmten Kult-Krimiautors Elmore Leonard („Out of Sight“, „Schnappt Shorty“). In dieser Geschichte hatte Leonard den Protagonisten Givens, der schon Held zweier seiner Romane gewesen war, in seine ländliche Heimat zurückreisen lassen. Diese eigentlich nur als „Epilog“ gedachte Story wurde dann zur unerwarteten Startrampe für gleich sechs Serienstaffeln.

Widersacherin oder mögliche Partnerin? Anwältin Carolyn Wilder (Aunjanue Ellis) kommt Givens in die Quere. FX

Wir wissen nicht, was der vor zehn Jahren verstorbene Leonard wohl dazu gesagt hätte, dass als Vorlage für das Sequel nun ein völlig anderer seiner Romane benutzt wurde, denn in „City Primeval“ von 1980 (deutscher Titel: „High Noon in Detroit“) kommt Givens gar nicht vor. Ohne den „Justified“-Showrunner Graham Yost, der nur als Executive Producer mit von der Partie ist und ansonsten genug mit seiner aktuellen Serie „Silo“ zu tun haben dürfte, vollbrachten die Autoren Dave Andron und Michael Dinner, langjährige Produzenten der Mutterserie, das Husarenstück, aus diesem Roman den eigentlichen Ermittler Raymond Cruz quasi „herauszuoperieren“ (er taucht lediglich in einem Cameo auf) und an seiner Stelle Raylan Givens einzusetzen – ganz abgesehen von der Transferleistung, das Geschehen aus den frühen Achtzigerjahren ins heutige Detroit herüberzuholen und eine vernünftige Antwort auf die Frage geben zu müssen, ob es überhaupt eine Fortsetzung brauchte – nach dem perfekten Finale damals.

Erfreulicherweise aber ist die Sache gelungen. Vor allem liegt das an Olyphants unverwechselbarer Interpretation der Hauptfigur. Inzwischen ordentlich grau geworden, schafft es immer noch mühelos, diese so unverwüstliche wie unwiderstehliche Mischung aus bübischem Charme, No-Nonsense-Mentalität und weißzahnigem Coolness-Grinsen, das selbst in brenzligsten Situationen nie weichen will, auf den Bildschirm zu bringen. Je freundlicher seine Dialoge mit den Halunken und Killern in „Justified“ wurden, desto wahrscheinlicher wurde bekanntlich der nächste Schusswechsel. Olyphant, der vor „Justified“ ja schon ganz andere Westernmeriten erwarb (in „Deadwood“), kann diese charmant lauernde, innere Ruhe nur vortäuschende Figur auch acht Jahre nach dem letzten Auftritt offenbar im Schlaf abrufen, und genau diese sofortige Präsenz von Raylan Givens im neuen Plot ist die notwendige Basis für dieses Sequel, das ansonsten ganz ohne die frühere Besetzung auskommen muss.

Die Staffel beginnt, wie schon die Mutterserie, in Florida, wohin Givens im Finale von „Justified“ zurückgekehrt war und wo er seither seinen Pflichten nachgeht, sowohl als harter, aber gerechter U.S. Marshal wie auch als Vater seiner inzwischen fünfzehnjährigen Tochter Willa – gespielt von Olyphants tatsächlicher Tochter Vivian in ihrer ersten Fernsehrolle. In typischer Elmore-Leonard-Erzählmanier kommt es dann zu einer absurden Kettenreaktion zufälliger Vorkommnisse: Ein Zwischenfall mit halbstarken Räubern aus Michigan mitten in den Everglades führt dazu, dass Givens vor einem Gericht in Detroit aussagen muss, wohin er Willa mitnimmt, die eigentlich in ein Camp für jugendliche Missetäter hätte gebracht werden sollen (sie hatte einen Mitschüler verprügelt und kommt offensichtlich genau nach dem Papa).

Verbrecherpaar im Zwielicht: Sandy (Adelaide Clemens) und der „Oklahoma Wildman“ (Boyd Holbrook) planen das große Ding. FX

Vor Gericht gerät Givens dann nicht nur mit dem autoritären Richter (Gastaufritt von Keith David), sondern auch mit Carolyn Wilder aneinander, der alerten Rechtsanwältin des Räubers (Aunjanue Ellis aus „King Richard“). Die Folge: Givens wird zwangsverpflichtet, bei der Aufklärung eines dubiosen Mordanschlages auf den Richter behilflich zu sein. Weil sich dabei aber ungeheuerliche Dinge ereignen, die gar nicht mit dem eigentlichen Fall zusammenhängen und sich doch unweigerlich mit ihm verbinden, entrollt sich ein komplexer Kriminalfall, der dazu führt, dass Givens erst einmal an Detroit gefesselt bleibt. Den geplanten Roadtrip mit seiner Tochter (die unbedingt Harlan County besuchen möchte) muss er erst einmal aufschieben.

Im Zentrum des Falls, der erst zu einem werden muss, steht der soziopathische Verbrecher Clement Mansell, den alle nur den „Oklahoma Wildman“ nennen und den sein Darsteller Boyd Holbrook („Predator – Upgrade“) als unberechenbare Mischung aus jovialer Type und eiskaltem Killer anlegt. In Detroit war Mansell schon einmal verhaftet worden, jetzt ist er zurück, und zusammen mit seiner Freundin Sandy (ein Gewinn für jede Serie: Adelaide Clemens aus „Rectify“), einer Casino-Kellnerin, plant er den Überfall auf einen albanischen Mobster. Vermutlich keine gute Idee. Schon in den ersten beiden Episoden verwickeln sich die Handlungsstränge auf amüsant groteske Weise, und wer Leonards Romane kennt, kann sich darauf freuen, dass sie am Ende formvollendet entwirrt werden, wobei sich skurriler Witz und brettharter Krimi so gekonnt wie gewohnt die Waage halten.

Für Givens bedeutet das neue, betont urbane Setting dabei auch, dass er sich an eine ganz neue Umgebung anpassen muss. Sein neues Leben als Vater (bzw. als Teilzeitvater, denn Willas Mutter lebt mit einem anderen Mann zusammen) hat dazu geführt, dass er mehr auf die Konsequenzen seiner Handlungen achtet als noch zu „Justified“-Zeiten. Auch mit der neonkühlen Abgerocktheit der ehemaligen „Motor City“ Detroit fremdelt er merklich. Als sich einer seiner neuen Kollegen bei der Festnahme eines Verdächtigen noch brutaler anstellt, als Givens es zu tun pflegt(e), prahlt er in die Richtung des Neulings: „So machen wir das hier in Detroit.“ Wild-West-Regeln herrschen offenbar nicht nur in Kentucky.

Beweise gibt’s wie stets im Kofferraum: Givens mit seinem Team von der Detroiter Polizei (v. l. Norbert Leo Butz, Victor Williams, Marin Ireland) FX

Wer aber mit Givens zusammen ermittelt, muss sich traditionell mit der Rolle des Stichwortgebers abfinden. Auch in „Justified“ war das damals ein eher undankbarer Job – was sicher nicht an den Darstellern lag. In „City Primeval“ wird Givens von drei Kollegen des Detroit Police Departments (DPD) unterstützt: Maureen Downey (Marin Ireland, „The Umbrella Academy“), Wendell Robinson (Victor Williams, „King of Queens“), in die Jahre gekommener Veteran, und Norbert Bryl (Norbert Leo Butz, „Bloodline“), der Mann fürs Grobe. Es bleibt abzuwarten, wie viel Storyfutter sie noch zugeschanzt bekommen, um ihre Charaktere noch runder gestalten zu können. Interessanter als Sparringspartnerin für Givens ist bis dato jedenfalls Rechtsanwältin Wilder, die so ziemlich jeden Verdächtigen als Klient zugewiesen zu bekommen scheint: Zwischen Olyphant und Ellis entwickelt sich von Beginn an eine spürbare Chemie, die auch Flirts mit einschließt.

Holbrook gibt sich als Antagonist Mansell Mühe, den leeren Platz von Walton Goggins’ „Justified“-Charakter Boyd einzunehmen: Es gibt kaum eine Szene zwischen ihm und Givens, in dem sie sich nicht sofort an die Gurgel gehen oder so etwas wie ein Duell im Morgengrauen planen wollen. Komplettiert wird der Haupt-Cast durch Vondie Curtis-Hall („The House At Night“) als Sweety: Den Barbesitzer, der als junger Mann fast ein berühmter Musiker geworden wäre, fesselt eine ungute Vergangenheit an den Oklohama Wildman.

Sofort stellt sich in den ersten Episoden der bekannte „Justified“-Flow ein, aber auch das typische Elmore-Leonard-Gefühl. Gelegentlich dämmert zwar durch die Szenen hindurch, dass der immer auch reaktionär auslegbare Ein-Mann-muss-tun-was-ein-Mann-tun-muss-Gestus des klassischen Westerns, der hier ins Großstadtsetting übertragen wurde, ein bisschen aus der Zeit gefallen ist – doch die Macher sind sich dessen durchaus bewusst und erlauben sich sogar schelmische Verweise auf die zur Seifen(pferde)oper neigende Konkurrenz: Mit Kevin Costner aus „Yellowstone“ würde sie ja sofort ins Bett springen, bekennt eine Freundin von Carolyn Wilder einmal, wenn auch in einer deutlich derberen Formulierung als hier wiedergegeben.

Die fantastische Besetzung, Michael Dinners flüssige Regie und Olyphants Charisma sind am Ende jedenfalls die halbe Miete in dieser unbedingt sehenswerten Neuauflage. Nicht ausgeschlossen also, dass aus der einmaligen Miniserie eine längerfristige Unternehmung werden könnte. Falls die Macher also irgendwo noch ein weiteres Elmore-Leonard-Buch finden, in das sie die Givens-Figur nachträglich hineinschreiben können: nur zu!

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden Episoden von „Justified: City Primeval“.

Meine Wertung: 4/​5

„Justified: City Primeval“ hat aktuell seine Weltpremiere in den USA bei FX. Das zehnteilige Format ist dabei zunächst als Miniserie angekündigt gewesen. Disney+ hat den 6. September als Termin für die Deutschlandpremiere angekündigt.

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • (geb. 1987) am

    Ja, Justified habe ich geliebt! Das war der Anfang, auch mal die andere Seite Amerikas zu beleuchten.
    Die sogenannten "Hinterwäldler", die Trump wählten (und wählen werden). Und mit diesen Leuten meine ich nicht nur Marshall Givens Antagonisten, wie die Crowders, die Crowes oder Benetts, auch der Hauptdarsteller, der gesammte Marshallservice und all seine Trabanten schreien in der kompletten Serie geradezu raus, dass man in Kentucky sicherlich nicht die Demokraten wählen würde.
    Klar, dass man die Nähe zum Megaerfolg Yellowstoneuniversum sucht, wo das ähnlich gesehen wird (und deshalb so erfolgreich ist).
    Ebenso klar, dass ich auch diese Staffel sehen werde.
    Ich glaube allerdings nicht, dass Justified an die Komplexität, die cineastische und schauspielerische Qualität, die Spannung an Action und Dialog und die wunderschönen Bilder vom Yellowstoneuniversum auch nur annähernd rankommt.
    Das ist dann doch eine andere Liga.

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