Im Schatten des Zauberbergs

In seinem berühmten Roman „Der Zauberberg“ – eine Metapher für das sich unbekümmert in den Ersten Weltkrieg stürzende Europa – hat Thomas Mann die legendären Sanatorien mit ihrer eleganten Art-Déco-Architektur, den Liegehallen und Sonnenterrassen, umgeben von den Gipfeln der Alpen, ein Denkmal gesetzt. Davos – ein Ort, in dem die Zeit stillzustehen scheint und wo dem Bedürfnis nach Zerstreuung mit Spaziergängen, Konzerten und Diners in prächtigen Speisesälen Rechnung getragen wird. Der „Zauberberg Davos“ ist eine Welt der „fröhlichen Verzweiflung“, in die das Echo der Welt nur gedämpft eindringt.

Zwischen den Menschen entspinnen sich vor dem Hintergrund der Krankheit besondere Beziehungen. Die Tuberkulose sei im Grunde verwandelte Liebe, schreibt Mann und schließt sich einer langen Tradition an, der zufolge die Schwindsucht und – damit einhergehend – Fieber und Auszehrung als körperlicher Ausdruck eines Feuers galten, das bald die Glut der Sehnsucht, bald des Genies war, ein selbstzerstörerisches Seelenfeuer, das den Kranken adelt. Doch der Lauf der Geschichte macht auch vor dieser abgeschirmten Welt nicht halt. Davos mit seinen Luxusetablissements und seinem Bergpanorama wandelt sich zu einem Huit-Clos, in dem zeitweise Nazioffiziere und Opfer des Naziregimes aufeinandertrafen.

Zu Kriegsende befanden sich unter den Insassen sogar amerikanische Flieger, die nach einer Zwangslandung auf schweizerischem Hoheitsgebiet in Davos festgehalten wurden und in den Gassen von Davos flanierende Nazi-Chargen mit ohnmächtiger Wut beäugten. Mit der Schließung der letzten Lungenheilstätten verschwanden die legendären Zeugen einer wechselvollen Geschichte, in der die Schweiz beharrlich versuchte, dem Druck der Außenmächte standzuhalten. 1 (Text: arte)