„Star Trek: Picard“: Der Kater nach der Fan-Fiction-Orgie – Review

Kommentar zum letzten Abenteuer der „Next Generation“

Ralf Döbele
Rezension von Ralf Döbele – 21.04.2023, 21:55 Uhr

Für immer eine Familie: (v. l.) Beverly (Gates McFadden), Jack (Ed Speleers) und Picard (Patrick Stewart) Screenshot/​Paramount+

So sehr die meisten Momente der neuen Picard-Familie mit dem verlässlichen Patrick Stewart, einer absolut großartigen Gates McFadden und dem souveränen Ed Speleers in sich geschlossen zu überzeugen wussten – im Kontext von all dem, was zuvor kam, dauerte es nicht lange, bis die Gedanken wanderten: zu James T. Kirk, Carol Marcus und Sohn David – oder auch zu Luke Skywalker und Darth Vader, dem ultimativen Vater-Sohn-Konflikt der Science-Fiction.

Apropos schon mal gesehen: Die Sterbeliste wuchs in der dritten Staffel von „Picard“ ebenfalls munter weiter. Während der Tod der inzwsichen für den Sternenflotten-Geheimdienst tätigen Commander Ro Laren (Michelle Forbes) noch folgerichtig war und das Gefühl der übermächtigen Bedrohung drastisch unterstrich, kam der Verlust von Admiral Elizabeth Shelby (Elizabeth Dennehy) in der vorletzten Episode nur als billiger Schocker-Moment daher – und das, nachdem Shelby derart eindringlich im legendären „Angriffsziel Erde“-Zweiteiler gegen die Borg gekämpft hatte. Die Figur und die Schauspielerin verdienen dieses Schicksal ebenso wenig wie Icheb in der ersten „Picard“-Staffel.

Bereit für „Star Trek: Legacy“? Captain Seven of Nine (Jeri Ryan) Paramount+

Apropos nicht verdient: So schön es ist, auf einem Sternenflotten-Schiff voller LCARS-Spielereien zu Beginn des 25. Jahrhunderts zu sein, mitunter wäre es im Verlauf der Staffel auch schön gewesen, das Innenleben der U.S.S. Titan tatsächlich bestaunen zu können. Es gibt zahlreiche Produktionsfotos der Sets, die tatsächlich einladend gestaltet zu sein scheinen. Dumm nur, dass man als Zuschauer aufgrund der überaus düsteren Kameraarbeit kaum etwas davon hatte. Meist war selbst das Rot auf Commander Sevens Uniform fast nicht erkennbar. Sollte „Star Trek: Legacy“ also Wirklichkeit werden, hängt bitte ne extra Glühbirne an die Decke! Ich habe keine Lust, noch einmal zehn Episoden in der Schlacht von Winterfell zu verbringen.

Ed Speleers als Jack Crusher Paramount+

Hätte ich Lust auf „Star Trek: Legacy“? Zugegeben, nach dem starken Eindruck, den sie hier hinterlassen haben, würde ich gerne mehr Zeit mit Captain Seven, Raffi (Michelle Hurd) als erstem Offizier, Sidney La Forge (Ashlei Sharpe Chestnut) als Pilotin und Jack Crusher als Special Counselor des Captains verbringen. Aber bitte mit vorwärtsgewandten Abenteuern, die den Kurs des 25. Jahrhunderts vollkommen neu bestimmen und gestalten. Ihn lediglich in eine dem Vater ähnliche Rahmenhandlung mit Gaststar Q (John de Lancie) zu pressen, wie in der letzten Szene von „Picard“ angedeutet, würde Jack Crusher nach seinem fulminanten Debüt hier einen Bärendienst erweisen.

Als Enttäuschung entpuppte sich hingegen praktisch von Anfang an der rachsüchtige Wechselbalg Vadic, verkörpert von Amanda Plummer. Gut, sie konnte sehr gut sehr böse gucken, böse kichern, unheilsschwanger rauchen und ihre (warum auch immer) maskierten Schergen in der Gegend herumscheuchen. Doch die Enthüllung der systematischen Folter von Section 31 als Rache-Motiv kam nach sieben Folgen, in denen sie nie mehr war als eine eindimensionale 08/​15-Gegnerin, einfach zu spät. Einerseits hätten diese moralischen Grauzonen der jüngeren Föderationsgeschichte rund um den Dominion-Krieg deutlicher ausgeleuchtet werden müssen. Andererseits hatte man das in den letzten Staffeln von „Star Trek – Deep Space Nine“ ohnehin bereits erfolgreich und sicher deutlich vielschichtiger getan.

Böse, aber farblos: Vadic (Amanda Plummer) Paramount+

Ich wünschte, die Borg-Königin hätte für ihre Pläne andere Alliierte gefunden, Gegenspieler, die bislang in der „Star Trek“-Geschichte weniger prominent aufgetaucht waren. Eine beliebte Fan-Theorie waren zu Beginn der Staffel noch die krabbelnden Invasoren aus der „TNG“-Folge „Die Verschwörung“. Ich persönlich hätte das viel spannender gefunden. Zugleich wurde deutlich zu viel Zeit auf austauschbare Papp-Kameraden wie Vadic oder den nervig misantropischen Captain Liam Shaw (Todd Stashwick) verschwendet, dessen Abneigung gegen Picard und Seven genauso wenig überraschte wie sein Dahinscheiden vor dem Serienende.

So ganz nebenbei – was ist eigentlich aus Laris (Orla Brady) geworden? Jener Frau, mit der Picard noch zu Beginn der dritten Staffel den Rest seines Lebens verbringen wollte? Sie wird vielleicht etwas erstaunt über den Familienzuwachs bei Jean-Luc sein? Aber vielleicht sind solche Details im Angesicht der Strahlkraft der von Grund auf neu errichteten Brücke der Enterprise-D auch gar nicht wichtig. Hey, wenigstens funktioniert hier die Beleuchtung.

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