Bye Bye „Lindenstraße“ – Ein Stück deutscher Fernsehgeschichte endet

Special zum Abschied von der Kultserie

Glenn Riedmeier
Glenn Riedmeier – 27.03.2020, 15:22 Uhr

Ensemblefoto der Tour „Die Lindenstraße kommt“ aus dem Jahr 1998 – Bild: gff/WDR
Ensemblefoto der Tour „Die Lindenstraße kommt“ aus dem Jahr 1998

Das Ende der „Lindenstraße“ steht unmittelbar bevor. Die finale 1758. Folge „Auf Wiedersehen“ wird am Sonntag, 29. März um 18:50 Uhr im Ersten ausgestrahlt und ist mit einer Dauer von 35 Minuten etwas länger als die regulären Episoden. Die Kultserie endet nach 34 Jahren und vier Monaten. fernsehserien.de blickt zurück auf die Bedeutung der Sendung, die für zahlreiche Deutsche mehr als nur eine Fernsehserie unter vielen war.

Entstehung der Serie

Erfinder der „Lindenstraße“ ist Hans W. Geißendörfer, für den es laut eigener Aussage zwei Inspirationen für die Serie gab: seine eigene Kindheit in einem Mehrfamilienhaus in Neustadt an der Aisch sowie die britische Serie „Coronation Street“, die seit 1960 produziert und bis heute beim Sender ITV ausgestrahlt wird. Die erste Folge der „Lindenstraße“ wurde am 8. Dezember 1985 ausgestrahlt, damals noch um 18:40 Uhr – erst seit 2005 ist die Serie auf dem etwas späteren Sendeplatz sonntags um 18:50 Uhr zu sehen. Eigentlich war geplant, die Serie donnerstags nach 20:15 Uhr auszustrahlen – aus diesem Grund spielt die Handlung oft an einem Donnerstag.

Die Beimers stellen sich vor. In der Lindenstraße 3 im 1. Stock wohnen: Tochter Marion (Ina Bleiweiß), Mutter Helga (Marie-Luise Marjan), Vater Hans (Joachim Hermann Luger), Klausi (Moritz A. Sachs, vorn Mitte) und sein älterer Bruder Benny (Christian Kahrmann). WDR/​Hornung

Als erste wöchentliche Serie im deutschen Fernsehen sollte die „Lindenstraße“ die Schicksale und Geschichten des gesellschaftlichen Lebens in Deutschland abbilden. Zwar wurde in Köln-Bocklemünd gedreht, doch die Handlung spielt in München. Die Darstellung des Alltags in einem Münchner Mehrfamilienhaus war zu Beginn ziemlich umstritten, doch die Serie entfaltete unmittelbar einen Suchtfaktor. Der erste Cliffhanger, Marion Beimer (Ina Bleiweiß) mit blutigem Gesicht, verfehlte seine Wirkung nicht und wurde mit der allseits bekannten dramatischen Melodie von Jürgen Knieper am Ende der Folge untermalt – das wohl markanteste Stilmittel der Serie: Nach einer inhaltsschweren Handlung, meist einer Äußerung eines Darstellers, erfolgt ein Zoom in das Gesicht der Figur oder ihres entsetzt schauenden Szenenpartners und die Abspannmusik beginnt. Nur sehr wenige Folgen weichen davon ab und kommen ohne Cliffhanger aus – etwa die Silvesterfolgen und Episoden, in denen ein Hauptdarsteller stirbt.

Bedeutung der Serie

Stets spiegelte die „Lindenstraße“ auf fiktionale Weise mit ihrer Figurenkonstellation realitätsnah die Vielfalt des gesellschaftlichen Lebens und deren Entwicklung wider. Die Serie schreckte nicht davor zurück, harte Themen anzupacken: Alkohol- und Drogensucht, Ausländerfeindlichkeit und Neonazis, HIV und Aids, Suizid, Abtreibung, Sterbehilfe, Vergewaltigung, Anti-Atomkraft und Öko-Strom, Essstörungen, Alzheimer, Parkinson, Ehebruch, Flüchtlingsproblematik. Als eine der ersten Serien zeigte die „Lindenstraße“ einen Kuss zwischen zwei Männern.

Bildergalerie legendärer Szenen
Das Ensemble im Anfangsjahr 1985 gff/​WDR
Der legendäre Schwulenkuss von Carsten Flöter (Georg Uecker, l.) und Robert Engel (Martin Armknecht) in Folge 225. WDR/​Diane Krüger
Til Schweiger in der Rolle des Jo Zenker, hier mit Andrea Spatzek in Folge 364, ließ in der Anfangszeit der Serie viele Teenie-Herzen höher schlagen.WDR/​Diane Krüger
Zu den dramatischsten Folgen zählen natürlich jene, in denen Morde geschehen – wie etwa Lisas (Sontje Peplow) legendärer Bratpfannenmord am nervenden Ex-Priester Matthias Steinbrück (Manfred Schwabe) („Störe ich?“) in Folge 507. WDR
Schmerzhaft: Mary (Liz Baffoe) entmannt Olaf Kling (Franz Rampelmann) per Geflügelschere in Folge 774. WDR
Kontrovers: In Folge 384 beteiligen sich Klaus (Moritz A. Sachs, M.) und Olli (Willi Herren, r.) an einem rechtsradikalen Anschlag auf ein Asylbewerberheim. WDR/​Diane Krüger
Kurzschlussreaktion: Momo (Moritz Zielke, l.) sticht auf seinen Vater (Michael Marwitz) ein. WDR/​Harald Köster
Fiktion und Realität verschwimmen, als vielerorts in Deutschland 1998 vor der Bundestagswahl „Wählt Gung“-Plakate aufgehängt wurden. Die „Lindenstraße“ schickte ihren eigenen Kanzlerkandidaten ins Rennen. WDR/​Thomas Kos

Legendär ist auch die Komödie „Entführung aus der Lindenstraße“ mit Herbert Feuerstein in der Hauptrolle, die zum zehnjährigen Jubiläum gedreht wurde. Außerdem gab es diverse Experimente, wie etwa eine Folge mit Zuschauerabstimmung oder eine live ausgestrahlte Folge zum Tod von Erich Schiller (Bill Mockridge). Urgestein Hans Beimer (Joachim Luger) verabschiedete sich mit einer besonderen Folge nach 33 Jahren aus der Serie, live begleitet vom WDR-Funkhausorchester.

Aus der letzten Folge mit Hans Beimer, die 2018 live gesendet wurde.gff/​WDR

Den Produzenten war es wichtig, passend zum Ausstrahlungstermin Szenen mit möglichst aktuellem Inhalt zu drehen, um einen Bezug zur Realität herzustellen. Ereignisse wie Erdbeben, Flugzeugabstürze oder politische Wahlen wurden integriert und waren beispielsweise in einem Radiobericht im Hintergrund zu hören. In besonderer Weise bereitete sich die Serie auf Bundestagswahlen vor. 1998 wurden vier verschiedene Versionen über den Ausgang gedreht. Und in der 1243. Folge am Sonntag der Bundestagswahl 2009 war die erste Hochrechnung von 18:14 Uhr zu sehen und mit aktuellen Kommentaren der Wohngemeinschaft unterlegt. Diese Folge wurde erst kurz vor Ausstrahlung fertiggestellt. In der Folge 1755 wurde noch ein „Tagesschau“-Bericht über die Coronavirus-Pandemie eingebaut – obwohl die Produktion der Serie im Dezember 2019 beendet wurde.

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