Collien Ulmen-Fernandes im Interview: „Kindern werden Rollenbilder aus den 1950ern vermittelt“

Über Genderklischees, „jerks.“ und das Ende von VIVA

Glenn Riedmeier
Glenn Riedmeier – 21.11.2018, 13:00 Uhr

Collien Ulmen-Fernandes – Bild: ZDF/Martin Rottenkolber
Collien Ulmen-Fernandes

Collien Ulmen-Fernandes zählt zu den vielseitigsten Frauen im Mediengeschäft. Ihre Karriere begann als Model und als Moderatorin beim Musikfernsehen. Inzwischen hat sie sich auch als Schauspielerin, Autorin und Journalistin einen Namen gemacht. Für ihr neuestes Projekt setzte sie sich intensiv mit gängigen Geschlechterklischees auseinander und erforschte im Rahmen von Sozialexperimenten, wie sehr Kinder heutzutage bereits im frühen Alter von konservativen Rollenbildern geprägt werden und inwiefern das Verhalten Erwachsener sowie die Auswahl bestimmter Spielzeuge und Kleidung dazu beitragen.

Das Resultat ist am Donnerstag, 22. November, um 20:15 Uhr bei ZDFneo in der zweiteiligen, 90-minütigen Dokumentation „No More Boys and Girls“ zu sehen. fernsehserien.de-Redakteur Glenn Riedmeier sprach mit Collien Ulmen-Fernandes ausführlich über die neue Sendung, aber auch über die Erfolgscomedy „jerks.“, in der sie sich an der Seite ihres Mannes Christian Ulmen selbst spielt. Zudem erläutert die Entertainerin, welche Erinnerungen sie mit ihrer Zeit bei VIVA verbindet und was sie am Fernsehen von heute vermisst.

fernsehserien.de: Liebe Frau Ulmen-Fernandes, Sie widmen sich in letzter Zeit verstärkt dem Thema Rollenbilder und Genderklischees. Wie kommt das eigentlich?

Collien Ulmen-Fernandes: Das hat tatsächlich ganz vielfältige Gründe. Das Thema an sich ist mir schon länger im Kopf herumgeschwirrt. Es gab nicht den einen Schlüsselmoment, aber mir sind ganz viele Dinge aufgefallen. Einerseits werde ich selbst immer wieder mit Klischees konfrontiert, aber in letzter Zeit verstärkt auch meine Tochter, die mit extremen Stereotypen und Rollenbildern aus dem Kindergarten kam. Deshalb habe ich begonnen, mich intensiver mit diesem Thema auseinanderzusetzen und habe so gut wie alle Gender Studies gelesen. Als dann das ZDF auf mich zukam und mir vorschlug, eine Doku zu diesem Thema zu machen, habe ich mich natürlich sehr gefreut.

Collien Ulmen-Fernandes unterhält sich mit Kindern ZDF/​Martin Rottenkolber

In Ihrer Dokumentation „No More Boys and Girls“ widmen Sie sich diesem Thema in Form von Sozialexperimenten mit Kindern. Welche Experimente wurden durchgeführt und welche Erkenntnisse konnten dadurch gewonnen werden?

Collien Ulmen-Fernandes: Zuerst wollten wir herausfinden, wie der Status quo ist und haben die Kinder Fragebögen ausfüllen lassen. Dabei kam heraus, dass sie zu 100 Prozent der Meinung sind, dass Geld verdienen Männersache ist, während Putzen und um die Kinder kümmern Frauensache ist. Schaut man sich Statistiken an, kommt dieses Bild nicht von ungefähr, denn in 80 Prozent der deutschen Haushalte ist immer noch hauptsächlich die Frau für die Hausarbeit zuständig. Wir sind gar nicht so gleichberechtigt, wie viele meinen.

Wirklich erstaunlich, dass dieses Bild schon im jungen Alter so gefestigt zu sein scheint. Die Kinder sollten in der Doku außerdem bestimmte Berufe Männern und Frauen zuordnen – und auch hier waren sie sich einig, dass Pilot und Kfz-Mechatroniker Männerberufe sind, während Balletttanz und Blumen verkaufen zu Frauen passt.

Collien Ulmen-Fernandes: Richtig, und dann haben sie große Augen gemacht, als ein männlicher Balletttänzer, ein Florist, eine Pilotin und eine Kfz-Mechatronikerin zur Tür reinkamen und ihre Berufe vorstellten. Einige der Mädchen kamen daraufhin erstaunt zu mir und sagten: „Ich wusste gar nicht, dass Frauen auch ein Flugzeug fliegen können.“ Dass es für sie die Berufsbilder Ballerina oder Topmodel gibt, wussten sie dagegen längst. Nach unserem Experiment wollte plötzlich mehr als die Hälfte der Mädchen in der Klasse Pilotin werden. Um das klarzustellen: Es geht gar nicht darum, die Geschlechterrollen zu tauschen – aber die Kinder sollen wissen, dass es für sie alle Möglichkeiten gibt, komplett geschlechtsunabhängig. Es gibt diesen Satz „If you can see it, you can be it“. Es muss im Sichtfeld stattfinden, damit die Kinder es sich vorstellen können. Unsere Expertin Petra Focks erzählte zum Beispiel, dass sie sehr lange suchen musste, bis sie ein Kinderbuch fand, in dem überhaupt mal eine weibliche Pilotin zu sehen ist.

ZDF/​Martin Rottenkolber
Wenn man sich auf dem Markt für Kinderspielzeug genauer umsieht, stellt man fest, wie sehr dort mittlerweile nach Geschlechtern getrennt wird. Haben Sie den Eindruck, dass sich der Markt in den vergangenen Jahren stark verändert oder gar zurückentwickelt hat?

Collien Ulmen-Fernandes: Absolut. In meiner eigenen Kindheit waren die Spielwarenläden noch bunt durcheinander gemischt und deshalb habe ich auch zu allem Möglichen gegriffen. Ich hatte Dinosaurier, Autos, Roboter und Babypuppen. In den letzten 15 Jahren hat allerdings das Gender-Marketing stark zugenommen und inzwischen sind viele Geschäfte dazu übergegangen, die Spielwaren in Jungen- und Mädchenabteilungen aufzuteilen – und schreiben den Geschlechtern dadurch bestimmte Rollen zu. Kindern werden heute Rollenbilder aus den 1950er Jahren vermittelt. Ein amerikanisches Spielwarengeschäft ist mir in besonderer Erinnerung geblieben: Dort gab es auf einer Etage für die Jungs eine Abteilung „Electronic Learning“ – auf der Mädchen-Etage an gleicher Stelle „Cook and Clean“ mit Kinder-Bügeleisen oder Kinder-Babypflegesets! Auch in den Spielwaren-Katalogen sind extrem stereotypische Rollenbilder zu finden. Mädchen in der Kinder-Küche – während nebenan ein Junge in einem Spielzeug-Auto sitzt und im Business-Outfit telefoniert.

Angesichts dieser unterschwelligen Botschaften muss man sich dann auch nicht wundern, wenn sich junge Mädchen oft in einer untergeordneten Rolle fühlen.

Collien Ulmen-Fernandes: Ja, betrachtet man Kleidung für Jungen und Mädchen, geht das noch viel weiter: Auf T-Shirts für Jungs ist zum Beispiel zu lesen: „Genie im Wachstum“, „Born to be Legendary“ oder „I am the Future“. Auf den T-Shirts für Mädchen stehen dagegen Dinge wie „Cute“, „Beauty“ oder „Just a girl with a dream“ – also verniedlichende Begriffe, die oft meist rein äußerliche Merkmale beschreiben. Wenn Mädchen von klein auf mit solchen Etiketten versehen werden, ist es kein Wunder, dass sie sich für weniger intelligent halten.

„No More Boys and Girls“ ZDF/​Martin Rottenkolber

Kürzlich ist zur Genderthematik auch ein Buch von Ihnen erschienen: „Lotti & Otto – Eine Geschichte über Jungssachen und Mädchenkram“. Würden Sie sagen, dass das eher ein Kinderbuch ist – oder sollten vielmehr Erwachsene einen Blick hineinwerfen?

Collien Ulmen-Fernandes: Beide, da hoffentlich viele Eltern gemeinsam mit den Kindern die Geschichte lesen. Mit dem Buch geht es mir vor allem um die Darstellung von Vielfalt, denn auch in den meisten Kinderbüchern wird ein sehr stereotypes Rollenbild vermittelt. Jungs sind mutig und heldenhaft, während Mädchen vor allem lieb und fürsorglich dargestellt werden. Ich habe überlegt, wie ich mein Anliegen kindgerecht rüberbringen kann. In Anlehnung an „Das doppelte Lottchen“ kam ich dann auf „Das doppelte Otterchen“. So lautete der Arbeitstitel meines Buches mit den beiden Ottern Lotti und Otto, die sich im Ferienlager kennenlernen und für einen Tag die Rollen tauschen. Lotti ist laut und wild und fängt gerne Fische, während Otto gerne backt und eher schüchtern ist. Otto hat Angst vor Monstern, Lotti beschützt ihn. Ich wollte weg von den gängigen Geschlechterklischees und zeigen, dass auch Mädchen abenteuerlustig sein können und es umgekehrt für Jungs völlig okay ist, sensibel zu sein.

Erfahren Sie auf der nächsten Seite, welche Erinnerungen Collien Ulmen-Fernandes mit ihrer Zeit bei VIVA verbindet und inwiefern bei der ProSieben-Comedyserie „jerks.“ die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben verschwimmen.

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