Faszination Leben

Am 08.11.1989 stimmten die Bewohner des Grenzdorfes Rüterberg am ostdeutschen Elbufer einhellig für die Errichtung einer Dorfrepublik – obwohl Rüterberg von NVA-Bataillonen umzingelt war. Die Dorfbewohner wollten ein Zeichen setzen und jahrzehntelangen Repressalien endlich ein Ende bereiten. Denn Rüterberg galt den SED-Oberen seit jeher wegen der unmittelbaren Nähe zur West-Grenze als mögliche Lücke im Eisernen Vorhang. Das hatte zur Folge, dass das 140-Seelen Dorf in Mecklenburg-Vorpommern mit Mauern, Toren, Stacheldraht, Kontrollen und Alarmanlagen komplett umzäunt war. Bis zum Mauerfall wurde das Dorf jede Nacht um 23:00 Uhr abgeriegelt und erst am nächsten Morgen um 5:00 Uhr durften Berufspendler und Schulkinder wieder ins DDR-Innere entweichen.
Die gnadenlose Realität des Überwachungsstaates spiegelt sich in zahlreichen Schicksalen wieder: Ein Rüterberger durfte als Jugendlicher wegen fehlerhafter Dokumente nicht ins

Dorf zurück, sondern kam für drei Jahre in den Knast, danach wurde er zwangsumgesiedelt. Ein Freund wagte später die Flucht über die Elbe – sie gelang, aber für die dagebliebenen Rüterberger wurde der Käfig noch fester verschlossen. Der damalige Bürgermeister hatte einen zusehends schwereren Stand, auch was seine persönliche Geschichte angeht: Seine schwangere Frau bekam in der Nacht heftige Wehen – es war nicht klar, ob sie ohne Schikanen schnell genug die Absperrung passieren konnten.
Der Alltag der Rüterberger sollte besser werden – das war das Ziel der „Republik-Gründer“. Der Rest der DDR träumte von Reisen nach London oder Paris, die Rüterberger wollten endlich einmal problemlos ins Nachbardorf, nach Dömitz, fahren. „Faszination Leben“ porträtiert die kleine und mutige Revolution eines Dorfes, die schon am nächsten Tag – dem 9. November 1989, dem Tag des Mauerfalls – von der Geschichte förmlich überrollt wurde. (Text: RTL)