Der Doppel-Streik, die Evolution im Streaming-Markt und Sparzwänge allenthalben: Das internationale Fernsehjahr 2023 im Rückblick

Wie hat dieses Jahr die Medienwelt international verändert?

Bernd Krannich
Bernd Krannich – 28.12.2023, 17:30 Uhr

HBO

Streaming: Die Revolution frisst ihre Kinder. Und Serien.

Über mehrere Jahre hatte Senderchef John Landgraf von FX geunkt: Die Zeit von Peak TV sei gekommen. Also ein Punkt in der Unterhaltungsindustrie, in der so viele Fernsehserien produziert würden wie nie zuvor – und nie mehr danach. Denn zahlreiche Medienunternehmen hätten im Kampf um Marktanteile zu viel Geld in Eigenproduktionen gesteckt, um aufzufallen. Insbesondere mehr Geld, als der Fernsehmarkt hergebe. Das Eintreffen von Landgrafs Vorhersage wurde dadurch aufgeschoben, dass nach den linearen Sendern auch die zumeist jungen Streaming-Dienste für ihren Kampf um Marktanteile sehr tief in die Tasche griffen und „für den Aufbau einer soliden Basis“ tiefrote Zahlen akzeptierten.

Doch seit Netflix im Sommer 2022 erstmalig ein „negatives Kundenwachstum“ vermelden musste, herrscht ein anderer Wind – vor allem vorgegeben durch Investoren sowie Aktionäre an der Börse. Denn die wollen „neuerdings“ Einnahmen sehen; nicht „Abo-Zahlen“, die später einmal diese Gewinne bringen sollen.

Auf die Konsumenten kommen damit steigende Abo-Gebühren, geringere Programminvestitionen (und eine Fixierung auf den breitgetretenen Mainstream) sowie Werbung zu: Der Streaming-Markt in seiner bisherigen Form nähert sich der Sättigung, die Dienste denken sparsamer. So werden die Dienste eher versuchen, die Nutzer zum Abschluss eben von Abos mit Werbung zu bringen, oder von leicht vergünstigten Jahresabos. Oder von günstigeren Bundles, bei denen sie dann kaum Geld sparen, wenn man dann daraus einen Dienst eliminieren will.

Das Ende des Vollständigkeitsanspruchs

Eingangs der beginnenden Streaming-Wars, des Verdrängungswettkampfs um Marktanteile, war es das erklärte Ziel der meisten Streaming-Dienste, alle Formate ihres Medienkonglomerats (Filme und Serien aus allen Quellen, von allen Schwesterstudios) im eigenen Haus zu versammeln. Disney+ hatte das langfristig vorgemacht, indem man einen Vertrag mit Netflix planmäßig auslaufen ließ, um die Rechte an den eigenen Produktionen für den eigenen Streaming-Dienst zurückzuholen. Andere Anbieter sind hingegen hastiger am Reißbrett entworfen worden und mussten daher auf einige Formate verzichten – Paramount Global etwa hatte „South Park“ langfristig an Max vergeben, auch diverse „Star Trek“-Formate hat man sich von Netflix und Prime Video zurückholen müssen – Details wurden nicht bestätigt, aber es wird schon ordentlich Geld gekostet haben. Bald, nachdem Paramount+ alle Schäfchen wieder zusammen hatte, schlug der Wind um und der Dienst trennte sich von „Star Trek: Prodigy“.

Auch andere Streaming-Dienste sind dazu übergegangen, Serien, die keinen großen großen Zuschauerzuspruch erfahren, wieder zu entfernen – wodurch sie dann gegebenenfalls andernorts auftauchen können. Mal ist das ein Verramschen (wie etwa bei „The Nevers“ von HBO), mal sind das zusätzliche Einnahmequellen bei nischigen Formaten (wie etwa einigen HBO-Serien aus der zweiten Reihe, die an Netflix lizenziert wurden).

Sah sich Netflix in den letzten Jahren gezwungen, stark in Eigenproduktionen zu investieren, weil die etablierten Medienfirmen ihre Formate exklusiv bei den eigenen Streaming-Diensten haben wollten, dreht sich hier der Wind erneut: Einnahmen aus einem Rechteverleih an Netflix (den Streaming-Dienst mit den allermeisten Abonnenten) werden wieder interessanter.

Manchmal zum beiderseitigen Vorteil, wie etwa im Fall der Anwalts-Dramedy „Suits“. Die Serie aus dem Hause NBCUniversal hat im vergangenen Sommer und Herbst bei Netflix einige Rekorde aufgestellt – obwohl die Dramedy bereits 2019 abgeschlossen worden und zudem schon länger bei NBCUs eigenem Dienst Peacock verfügbar war. Bei NBCUniversal hat man dann auch eiligst begonnen, ein neues Spin-Off im „Suits“-Universum zu planen.

Die Daumenschrauben

Bei der Suche nach weiteren Einnahmequellen für die Streaming-Dienste wurde im ablaufenden Jahr auch der Umgang mit den zahlenden Kunden verschärft: Nach Tests hat Netflix damit begonnen, stärker aufs Password-Sharing zu schauen und die Einhaltung der Nutzungsbedingungen anzumahnen.

Bei Disney+ hat man sogar die Nutzungsbedingungen nachbearbeitet, um im kommenden Jahr schauen zu können, wie man das bisherige gemeinsame Nutzen von Accounts in zukünftige Zusatzeinnahmen transformieren kann.

Disney+

Marvel Studios

Überhaupt Disney+ (und The Walt Disney Company allgemein): Der Dienst hat 2023 eine wilde Reise hinter sich, nachdem der eigentlich in den Ruhestand gewechselte Bob Iger für eine Übergangsfrist „reaktiviert“ worden war, um aktuelle Probleme zu beenden. Mittlerweile ist die Übergangsfrist übrigens verdoppelt worden.

Bei den Ausgaben für Streaming-Content soll massiv auf die Bremse getreten werden. So wurden in diesem Jahr diverse Serien, die sich nach der ersten Staffel nicht durchsetzen konnten, direkt wieder aus dem Haus der Maus verbannt (darunter „Willow“, „Y: The Last Man“, „Mighty Ducks: Game Changer“, „Scott und Huutsch“ oder „Alaska Daily“).

Daneben büßt The Walt Disney Company massiv weiteren finanziellen Spielraum ein, weil man langfristig das vor allem in den USA tätige Hulu aufkaufen will und/​oder muss: TWDC hält bereits zwei Drittel der Anteile und Hulu ist in den USA für das Unternehmen ein wichtiger Lieferant für Inhalte für das „erwachsene“ Publikum. Das verbleibende Drittel der Anteile an Hulu hält „von früher“ noch NBCUniversal. Kürzlich wurde bekannt, dass TWDC in der Tat Hulu komplett übernimmt und dafür mindestens noch 8,61 Milliarden US-Dollar überweisen muss (das war in einem Vorvertrag als Minimalpreis festgeschrieben – ein von beiden Firmen beauftragtes, „unabhängiges“ Gremium untersucht aktuell, ob der Kaufpreis nach oben korrigiert werden muss).

Dazu kommt, dass vor allem das Zugpferd Marvel auf allen Kanälen 2023 gelahmt hat: Die Serien bei Disney+ konnten die Zuschauer meist nicht überzeugen (ausgenommen die Fortsetzung von „Loki“), die Filme des Marvel Cinematic Universe blieben an den Kinokassen hinter den Erwartungen zurück (und verlieren damit auch beim Wechsel zum Streaming an Strahlkraft).

Max

HBO ist in den Vereinigten Staaten stets ein Aushängeschild in Sachen Qualität gewesen. Nach dem Merger von Warner Bros. und Discovery (der mehr und mehr einer „feindlichen Übernahme“ durch Discovery gleicht) haben im Hause WBD starke Sparzwänge geherrscht – denn das neue Unternehmen hatte seinen Aktionären durch den Zusammenschluss Kosteneinsparungen versprochen.

So wurden auch HBO-Produktionen, die keine Zuschauer fanden, gnadenlos aussortiert („Westworld“, „The Nevers“). Daneben wurde das HBO aus HBO Max gestrichen, worüber sich die Geister scheiden. Einige Beobachter sehen darin eine Geringschätzung des Wertes von HBO. Andere summieren, dass eben die meisten Formate bei Max auch das „Qualitätsprädikat“ HBO gar nicht verdienen – durch die Streichung werde einer Verwässerung der „Marke HBO“ vorgebeugt. Auf jeden Fall: Früher war mehr Lametta.

Schließlich ist der aktuelle Kurs von Max in die Zukunft unklar: Denn in Australien und Kanada wurden die Content-Deals für HBO-Formate mit den bisherigen Partnern noch im letzten Jahr verlängert. Das spricht dafür, dass Max hier in den kommenden Jahren nicht selber aktiv werden will.

Paramount+

Paramount+

Den Letzten beißen bekanntlich die Hunde. Und aktuell präsentiert sich Paramount Global als „Übernahmekandidat“: Schon länger unken Branchenbeobachter, dass im aktuellen Streaming-Geschehen wohl mindestens einer der Anbieter die Segel wird streichen müssen, sich also aufkaufen lässt oder fusioniert. Nachdem Paramount Global selbst Geburtsschwierigkeiten hatte, die den Start von Paramount+ verzögert haben, kam der Dienst nie so recht auf die Beine. Mittlerweile wurden für Teile des Unternehmens bereits Kaufangebote gemacht.

Dabei spielt auch hinein, dass Paramount Global zwar in Film und Fernsehen verwurzelt ist, deren Mutterfirma National Amusements aber nicht. Das war auch die Ausgangslage vor dem Verkauf von Warner durch Netzbetreiber AT&T an Discovery. Und es ist auch die Ausgangslage von NBCUniversal, das im Besitz des Kabelnetzbetreibers Comcast ist – und der daher als der andere große Kandidat für einen Verkauf gilt.

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