„Im Angesicht des Verbrechens“ – ein TV-Wunder?

Gute Quoten und enthusiastische Kritiken für den Zehnteiler

Michael Brandes – 28.04.2010

"Im Angesicht des Verbrechens" - ein TV-Wunder? – Gute Quoten und enthusiastische Kritiken für den Zehnteiler – Bild: ARD/Julia von Vietinghoff

Wäre Fernsehen doch nur jeden Abend so schön: Gleich zwei überragende TV-Produktionen waren gestern im ZDF und auf arte zu sehen. Stefan Krohmers informatives, hochspannendes und inszenatorisch glänzendes Dokudrama „Dutschke“ wurde leider nur von 1,18 Millionen Zuschauern zur Kenntnis genommen – für ZDF, 20:15 Uhr, eine desaströs niedrige Einschaltquote (fernsehserien.de berichtete). Besser lief es im Verhältnis für die mit beträchtlichen Vorschusslorbeeren versehene Krimiserie „Im Angesicht des Verbrechens“ von Rolf Basedow und Dominik Graf. Die Doppelfolgen zum Auftakt auf arte (22:05 Uhr) sahen trotz Fußball-Konkurrenz immerhin 280.000 bzw. 350.000 Zuschauer. Die Marktanteile lagen bei 1,1 bzw. 2,2 Prozent. Für den Kultursender, der in der Regel bei unter einem Prozent liegt, sind das schon eine Menge Interessenten.

Schon bei seiner Uraufführung im Forum der Berlinale erhielt Grafs Zehnteiler reihenweise enthusiastische Kritiken, oft gepaart mit dem Hinweis, hier sei „großes Kino“ an das Fernsehen verloren gegangen. Die Kritiken zur TV-Premieren fallen nun ähnlich begeistert aus. Hier ein paar Beispiele:

Ein grandioses Epos mit Suchtpotential sah der „stern“, der auf nichts vergleichbares verweisen kann: „Nun gibt es ein Vor und Nach ‚Im Angesicht des Verbrechens‘. Denn an der detailverliebten Lust der Erzählung wird sich alles messen lassen müssen, was kommt“. Basedow und Graf haben „zahlreiche Erzählstränge, Schicksalsfäden und Episodenschlaufen zu einem schillernden Gewebe geflochten, zugezogen und eine Dichte abgeliefert, die es so bisher kaum zu sehen gab“.

„Schwierig zu sagen, was das eigentlich genau ist: überhöhte Mafia-Saga oder authentischer Großstadtkrimi? The Godfather made in Berlin-Charlottenburg oder Migrationsstudie über russische Einwanderer? Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen, und das macht ‚Im Angesicht des Verbrechens‘ so großartig, so einzigartig, so gefährlich“, urteilt „Spiegel Online“. „Wie einst Francis Ford Coppola beobachtet auch er die Familien- und Geschäftstreffen in einer (fernsehuntypischen) Ausführlichkeit – und skizziert dabei ebenso wie das Vorbild die Machtdemonstrationen und Machtverschiebungen. Bei jedem heruntergekippten Wodka – und es werden viele gekippt – verändert sich das Verbrechensgefüge.“

„Dominik Graf scheut nicht vor den großen Gefühlen zurück, auch nicht vor drastischer Brutalität und überwältigenden Bildern“, berichtet der „Tagesspiegel“. Der Regisseur setze auf die Geduld und Intelligenz der Fernsehzuschauer. „Das Ergebnis macht süchtig – und bringt den Glauben an ein Fernsehen zurück, das wie Film funktionieren kann, nur detailreicher, epischer, mit langem Atem und Mut zum Detail“.

„Bewundernswert, wie wuchtig und dicht das alles gestaltet ist“, urteilt die Filmzeitschrift „filmdienst“. „Grafs Kunst erinnert an Robert Altmans ‚Short Cuts‘, mit Dutzenden von Cliffhangern, zwischendurch arbeitet er mit Splitscreens und versteht es jederzeit, den Überblick zu behalten. Ein Meisterwerk des Kriminalfilms“.

Die bisher gesendeten Folgen stehen noch bis sieben Tage nach der TV-Ausstrahlung zum Abruf auf arte.tv bereit (Links unter http:/​/​www.wunschliste.de/​15599/​videos). Die Folgen 3 und 4 strahlt arte am Samstag, 1. Mai, ab 21:50 Uhr aus. Erst im Herbst wird die Serie im Ersten gezeigt.

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am via tvforen.de

    Mir haben die bisherigen Folgen bestens gefallen, in der ersten hatte ich noch Schwierigkeiten, zwischen Sascha, Mischa, Grischa, Sergej, Aleksej usw. unterscheiden zu können, viel zu viele Charaktere wurden eingeführt, doch ab Folge 2 hat sich die Sogwirkung voll entfaltet und jetzt kann ich die nächsten Episoden kaum abwarten. Die losen Fäden der ersten Folge wurden zusammengeknüpft und das Wesentliche kristallisiert sich heraus. Besonders schön sind die unglaublich arroganten Opening Credits, die einem lediglich 8 Nachnamen an den Kopf knallen, die Montagen mit dem festen Musikthema, wenn schicksalshafte Dinge passieren und die raffinierte Erzählweise, so wurden zwar in der ersten Folge schier unendlich viele Charaktere vorgestellt und man stand etwas verwirrt da, aber im Nachhinein betrachtet, war diese Art und Weise genau richtig, denn wenn sie später wieder auftauchen, weiss man recht gut, wer sie sind, auch wenn sie nur für Sekunden zu sehen waren und scheinbar unbedeutend waren. Auch wird einem erst später klar, dass hier nur aus Sicht von Marek Gorsky und Lenka erzählt wird, Stella, Mischa, Sven, Jelena und wie sie alle heissen, kommen nur vor, wenn sie entweder eine Szene mit einen der beiden haben oder die Kamera verlässt eine eben solche Szene und folgt einem anderen Protagonisten oder es wird ein Szenario gezeigt, in welches einer der beiden gleich einsteigen wird.
    Der Vergleich zu KDD ist völlig daneben, bis auf die Stichworte Polizei und Berlin gibt es weder vom Inhalt und von der Machart Gemeinsamkeiten. Na ja und mal davon abgesehen, dass beides fantastische Serien sind. Ich jedenfalls bin begeistert von "Im Angesicht des Verbrechens".
    • am via tvforen.de

      Ich kann mich den Vorab-Lobgesängen in den Medien keineswegs anschließen. Von Dominik Graf habe ich bisher einen Film, nämlich "Die Katze", mit Gudrun Landgrebe und Götz George gesehen. Guter, logischer Aufbau der Handlung, aber es fehlte das Mitreißende in der Handlung. Die agierenden Personen bleiben einem gleichgültig, es ist einem egal, ob sie am Schluß überleben.

      Ähnlich geht es mir mit dieser Serie über die angebliche Russenmafia. Wobei der Begriff "Mafia" schon inflationär ist und mit der ehemals "ehrenwerten Gesellschaft" rein garnichts zu tun hat. Auffällig ist nur, daß die Rolle des Hauptschurken so besetzt wurde, daß rein äußerlich Assoziationen zum derzeitigen russischen Ministerpräsidenten entstehen können, der ja von bestimmten Kreisen in Politik und Medien als Buhmann hingestellt wird.

      Aber lassen wir das. Ich bin ein Fan italienischer Mafiafilme z.B. von Francesco Rosi oder Dammiano Dammiani, in denen es nicht um wüste Gelage und Ballerei, sondern auch um wirtschaftliche und gesellschaftliche Implikationen geht. In dieser Serie kommt das alles nicht vor. Hier geht es nicht um Mafia sondern um eine einfache Krimireihe, die durch die Medien vorab hochgepuscht wird. Zu dieser Serie die Aussage zu treffen, daß man daran das hohe Niveau deutscher Fernsehproduktionen erkennen kann (TV-Spielfilm), halte ich schlichtweg für vermessen.

      Mein Bedarf an "Russenmafia" ist jetzt erstmal nach der 4. Folge gedeckt. Ich würde es vielmehr begrüßen, wenn im ÖR Fernsehen mal wieder "La piavra" in der ZDF-Version einschl. der 8. und 9. Staffel und die in Deutschland noch immer nicht gezeigte 10. Staffel gezeigt werden würde, ferner die wichtigsten Filme der beiden von mir genannten Filmemacher.
      • am via tvforen.de

        Wen hast du denn bisher als "Hauptschurken" in der Serie ausgemacht? :-)

        Ich finde das die Lobhudelei über diese Serie nur eines aussagt: nämlich wie schlecht der ganze andere Einheitsbrei der deutschen TV-Produktionen ist, die man sonst so geboten bekommen. Allerdings wurde durch den positiven Ausrutscher "KDD" die Messlatte verdammt hoch gelegt und hier kommt "Im Angesicht des Verbrechens" nicht heran. Trotzdem: für eine deutsche Serie klar über dem Durchschnitt.

        Ich finde aber schon, dass im Gegensatz zu nahezu allen anderen dt. Krimireihen, hier eine psychologische Ausleuchtung der Hauptakteure versucht wird - von den verkrampften Tatorten der letzten Jahre mal abgesehen ;-) Auch optisch finde ich die Serie überdurchschnittlich. Wie gesagt, immer alles im Vergleich zu anderen deutschen(!) Produktionen.
      • am via tvforen.de

        Werter W@tts, dem kann ich nur zustimmen. Nach den Lobhudeleien habe ich eine Art deutsche Antwort auf die Sopranos erwartet. Diese Erwartung wurde nicht erfüllt aber überdurchschnittliche Krimikost ist es allemal, auch wenn ich mich dem Urteil anschließen muss, dass sie Reihe nicht an KDD herankommt.
      • am via tvforen.de

        der dutschke war grottig und der neue graf ein kdd-abklatsch! es ist grausam, was sich zur zeit da im tv so tut!
      • am via tvforen.de

        Migu schrieb:
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        > Nach den
        > Lobhudeleien habe ich eine Art deutsche Antwort
        > auf die Sopranos erwartet.

        "Die Sopranos" gelten neben "The Wire" zurecht weithin als die beste Serie der TV-Geschichte. Produziert vom Pay-TV-Sender HBO, der seit über zehn Jahren Premiumqualität liefert und wegen seiner hohen Zahl an Abonnenten solche Meisterwerke stemmen kann. Zudem erstrecken sich die "Sopranos" über 86 Folgen, können ihre Themen und Geschichten also wesentlich komplexer erzählen. Da war doch nicht ernsthaft zu erwarten, dass Grafs Miniserie auf ähnlichem Niveau liegt.
      • am via tvforen.de

        Nein wirklich ernsthaft hat das wohl niemand erwartet, aber bei dem Hype zuvor ...


        > Produziert vom Pay-TV-Sender HBO, der seit über zehn Jahren Premiumqualität liefert und wegen seiner hohen Zahl an Abonnenten solche Meisterwerke stemmen kann.
        Da hat die ARD aber mehr "Abonnenten", und - abgesehen von den Gagen insb. für Gandolfini - dürften die Sopranos auch nicht soo teuer gewesen sein. Nur die ARD lieferte die letzten zehn Jahre eher selten bis gar keine Premiumqualität in dem Bereich.

        Zum Thema komplexe Miniserie: das so was sehr wohl funktionieren kann, zeigte die BBC, nämlich die Miniserie "State of play"/"Mord auf Seite eins" in D. (BTW: wesentlich besser als das Kino-Remake.) Die Minisereie kam zwar sicher auch nicht an die Sopranos ran, aber Premiumquali war das allemal.

        Nur hierzulande darf man so etwas scheinbar nicht erwarten!

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