Systemsprenger

Benni ist neun Jahre alt und muss immer wieder in neue Pflegefamilien. Niemand hält es mit ihr aus. Auch in Wohngruppen, in Kinderheimen und Sonderschulen fliegt sie immer wieder raus. Sie ist nicht zu bändigen, scheinbar grundlos wütend, tickt sie immer wieder aus. Wenn jemand sie im Gesicht berührt, schreit sie durchdringend und schlägt wild um sich. Nach den schlimmsten Ausrastern landet Benni auch mal im Krankenhaus, wo sie ruhiggestellt wird.

Eigentlich möchte die wilde Kleine zurück zu ihrer Mutter , sie sucht verzweifelt nach Nähe und Zuneigung. Doch Bianca ist vollkommen überfordert mit ihrer Tochter. Sie hat noch zwei andere Kinder und wohnt wieder bei ihrem gewalttätigen Freund, der Benni als kleines Kind in einem Schrank einschloss. Also muss sich weiterhin die Sozialarbeiterin Frau Bafané um Benni kümmern. Sie versucht alles, weil ihr das Wohl ihres Schützlings am Herzen liegt, und sie will verhindern, dass die Neunjährige bereits jetzt in die geschlossene Abteilung abgeschoben wird. Doch die Chancen stehen schlecht, Benni passt schlicht nicht ins System.

Da schlägt Bennis neuer Schulbegleiter Micha vor, dass er mit dem Mädchen drei Wochen in einer Hütte im Wald verbringen könnte, ohne Strom und Wasser, wie er es bereits mit straffälligen Jugendlichen gemacht hat. Dort soll Benni zur Ruhe kommen und er könnte ganz für sie da sein.

Die Zeit im Wald scheint Benni gut zu tun, sie wird allmählich ruhiger, fasst Vertrauen. Doch für Micha wird es immer schwieriger, die professionelle Distanz zu wahren.

«Systemsprenger» zeigt, was geschieht, wenn ein Kind nicht mehr ins System passt. Für diesen extremen Fall scheint es schlicht keine Lösung zu geben: Eine Therapie bekommt Benni erst, wenn sie ein stabiles Umfeld hat. Aber ohne Therapie findet sie kein stabiles Umfeld.

«Systemsprenger» ist Nora Fingscheidts erster Langspielfilm. Sie hat auch das Drehbuch geschrieben und dafür jahrelang in verschiedenen Institutionen, Wohngruppen und der Kinderpsychiatrie recherchiert. Mit der beeindruckenden Berliner Kinderdarstellerin Helena Zengel hat sie die ideale Besetzung für Benni gefunden.

Was den Film über ein Mädchen, das durch alle Sicherheitsnetzwerke fällt, so einzigartig und radikal macht, ist auch wie Fingscheidt und ihr Schweizer Kameramann Yunus Roy Imer die junge Protagonistin inszenieren und dabei ihre Perspektive einnehmen. Dazu kinozeit.de: «Wenn Benni austickt, dann überlagern sich Bildfetzen, wird die gesamte nicht zu bändigende Energie deutlich, die sie überkommt. Wenn sie gegenüber anderen Kindern gewältig wird, auch dann bleibt die Kamera nah an Benni, ohne dass sie in diesem Moment zeigt, was Benni tut. Am Rand des Bildes sind die Folgen zu erahnen. Dadurch wird spürbar, wie dieser Kontrollverlust für Benni ist, wie viel ungebändigte Energie in ihr steckt.»

«Systemsprenger» wurde an verschiedenen Festivals ausgezeichnet, unter anderem auch am Zurich Film Festival, und erhielt acht Auszeichnungen beim deutschen Filmpreis 2020. (Text: SRF)