„Secret Invasion“: Samuel L. Jacksons Nick Fury muss die Menschheit retten – Review

Neue Marvel-Serie hebt sich als ernster Spionagethriller von Superheldenkrawall ab

Rezension von Christopher Diekhaus – 20.06.2023, 16:58 Uhr

Nicht mehr der Alte: Ex-S.H.I.E.L.D.-Leiter Nick Fury (Samuel L. Jackson) – Bild: Disney+
Nicht mehr der Alte: Ex-S.H.I.E.L.D.-Leiter Nick Fury (Samuel L. Jackson)

Nicht nur das Marvel Cinematic Universe experimentiert derzeit eifrig mit der Idee des Multiversums. Auch der Mitte Juni 2023 gestartete DC-Streifen „The Flash“ durchpflügt Raum und Zeit und lässt seine Titelfigur in einer anderen Dimension auf eine bislang unbekannte Version ihrer selbst treffen. Das Konzept der parallel existierenden Realitäten eröffnet den Machern schier endlose erzählerische Möglichkeiten – und verführt dazu, mit immer größeren Effektsalven um sich zu schießen. In ihrer geballten Spektakelhaftigkeit nutzen sich die Comicverfilmungen allerdings zunehmend ab.

Umso erfreulicher ist es, wenn der Ansatz einmal variiert wird. So wie in der neuen Marvel-Serie „Secret Invasion“. Vorab wurden der Presse zwar nur die ersten beiden Episoden zur Verfügung gestellt. Allem Anschein nach legt es Schöpfer Kyle Bradstreet („Mr. Robot“) aber nicht darauf an, den üblichen Superheldenradau zu entfachen. Mit dem von Samuel L. Jackson gespielten Nick Fury steht eine Person mit etwas mehr Bodenhaftung im Zentrum einer eher düsteren Verschwörungsgeschichte im Stile von „The Return of the First Avenger“.

Die Wurzeln von „Secret Invasion“ reichen zurück bis zu „Captain Marvel“, dem 21. Spielfilm im Marvel Cinematic Universe, dessen Handlung im Jahr 1995 angesiedelt ist. Carol Danvers alias Captain Marvel (Brie Larson) und Nick Fury, damals noch einfacher Agent des Geheimdienstes S.H.I.E.L.D., geraten dort in den Konflikt zwischen den außerirdischen Spezies der Kree und der Skrulls. Letztere besitzen die Fähigkeit, andere Gestalten anzunehmen, haben ihre Heimat verloren und werden schließlich zu Vertrauten, denen Danvers am Ende verspricht, bei der Suche nach einem neuen Zufluchtsort zu helfen.

Nur zwei Jahre später, so zeigt es die Serie in einer Rückblende, bietet Fury einigen Skrulls rund um Talos (Ben Mendelsohn) Asyl auf der Erde an, wenn sie in Menschengestalt zu deren Schutz beitragen. Im Gegenzug will er weiter nach einem geeigneten Planeten für die Aliens Ausschau halten. Damit wären wir auch schon beim Knackpunkt, der die Ereignisse von „Secret Invasion“ ins Rollen bringt. Bis in die Gegenwart hat sich nämlich nichts getan. Noch immer sind die Skrulls heimatlos und leben zum Teil versteckt unter den Menschen. Gravik (Kingsley Ben-Adir), dessen Eltern von den Kree ermordet wurden und der 1997 noch ein Kind war, das dem Schlachtfeld entkommen konnte, erfüllt die nie eingelöste Zusage mit Wut und Enttäuschung. Um sich herum schart er Gleichgesinnte, darunter auch Talos’ Tochter G’iah (Emilia Clarke), und plant die Vernichtung der Erdenbewohner, indem er einen Krieg zwischen den USA und Russland anzettelt. Als Formwandler haben manche Skrulls bereits unbemerkt wichtige politische Positionen besetzt.

Maria Hill (Cobie Smulders) und Nick Fury (Samuel L. Jackson) sehen einer großen Bedrohung ins Auge. Disney+

Dass eine – der Titel kündigt es ja schon an – Invasion im Gange ist, erfahren wir zusammen mit dem von einer Weltraummission zurückkehrenden Nick Fury in der ersten Folge, die sich nach einem Actionauftakt eine kleine Auszeit zum Erklären nimmt. Maria Hill (Cobie Smulders) und Talos setzen den früheren S.H.I.E.L.D.-Direktor ins Bild, machen ihm klar, was die Stunde geschlagen hat. Aber: Ist Fury wirklich der Richtige, um das Unheil abzuwenden? Diese Frage steht wiederholt im Raum, wirkt der einstige Denker und Lenker doch längst nicht mehr so vital und zupackend, wie man ihn aus früheren Marvel-Werken kennt. Fury ist sichtlich gealtert, nicht mehr derselbe seit dem sogenannten Blip, jenem Moment, in dem alle von Thanos ausgelöschten Lebewesen plötzlich wieder zum Leben erwachten. Seiner Aufgabe bei S.H.I.E.L.D. beraubt, macht er einen ausgelaugten Eindruck. Andererseits heißt es nicht umsonst: Angeschlagene Boxer sind die gefährlichsten Boxer.

Die Verfassung des Protagonisten von „Secret Invasion“ kommt in einem Gespräch mit James „Rhodey“ Rhodes (Don Cheadle) deutlich zum Ausdruck. Auf Augenhöhe begegnet er dem Abgesandten des US-Präsidenten Ritson (Dermot Mulroney) eigentlich nicht mehr. Gleichzeitig blitzt aber seine Kämpfernatur und sein altes Selbstverständnis auf. „I’m Nick Fury, even when I’m out, I’m in“, versichert der Ex-S.H.I.E.L.D.-Leiter seinem Gegenüber mit Nachdruck. Solche markig vorgebrachten Sprüche ist man von Samuel L. Jackson gewohnt. Hier darf der 2022 mit einem Ehrenoscar bedachte Darsteller allerdings auch eher unbekannte Seiten seiner Figur erforschen, Verletzlichkeit und Schmerz zeigen. Vor allem das Ende der zweiten Folge weckt Neugier auf den Fortgang. Immerhin sieht es so aus, als wäre Furys Mission, sein Kampf gegen den keineswegs als 08/​15-Bösewicht gezeichneten Gravik von wahrlich persönlicher Natur.

Was führt MI6-Agentin Sonya Falsworth (Olivia Colman) im Schilde? Disney+

In puncto Spannung sollte die neue Marvel-Serie noch etwas zulegen, auch wenn das Finale der Einstiegsepisode durchaus den Puls nach oben zu treiben weiß. Die Paranoia-Stimmung, die gleich in den ersten Minuten erzeugt wird und unsere von Verschwörungserzählungen sowie Informationskriegen durchtränkte Realität spiegelt, dürfte bis zum Ende fester Bestandteil von „Secret Invasion“ sein. Schließlich spielen die Macher ständig mit der besonderen Eigenschaft der Skrulls. Hinter jedem Menschen könnte sich ein Mitglied aus Graviks Fraktion verbergen – Don Siegels „Die Dämonischen“ und Philip Kaufmans „Die Körperfresser kommen“ lassen grüßen. Klar ist aber auch, dass der Kniff in ständiger Wiederholung an Wirkung verliert.

Was die Actioneinlagen betrifft, liefert der für alle sechs Kapitel verantwortliche Regisseur Ali Selim („In Treatment – Der Therapeut“) zusammen mit seinem Team ordentliche Arbeit ab. Atemberaubend-ausgeklügelte Verfolgungsjagden und Choreografien, wie sie die James-Bond-Reihe oder das Mission-Impossible-Franchise zu bieten haben, gibt es in den ersten zwei Folgen jedoch nicht. Eine besondere Erwähnung verdient sich Oscar-Preisträgerin Olivia Colman („The Favourite – Intrigen und Irrsinn“), die als britische MI6-Agentin Sonya Falsworth bei ihren (bislang noch sehr kurzen) Auftritten begeistert. Wie sie Sarkasmus und gnadenlosen Pragmatismus verbindet, ist einfach sensationell. Hoffentlich bekommen wir ihre Figur in den verbleibenden vier Serienteilen noch häufiger zu Gesicht.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden Folgen der insgesamt sechs Kapitel umfassenden Miniserie „Secret Invasion“.

Meine Wertung: 3,5/​5

Die erste Episode der Miniserie „Secret Invasion“ ist ab dem 21. Juni bei Disney+ verfügbar. Die weiteren Folgen werden im wöchentlichen Rhythmus veröffentlicht.

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