Pharmafirma droht WDR mit Ordnungsgeld (Update)
Einstweilige Verfügung gegen Contergan-Spielfilm
Jutta Zniva – 15.03.2006
Die internationale Pharmafirma Grünenthal mit Stammsitz in Aachen hat eine einstweilige Verfügung gegen den fiktionalen WDR-Zweiteiler „Eine einzige Tablette“ (Arbeitstitel) erwirkt. Thema der bereits im Januar abgedrehten Produktion ist der größte Arzneimittelskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte: der „Contergan-Skandal“.
Das von der Firma Grünenthal 1957 entwickelte Schlafmittel Contergan war in den 1960er Jahren auch gegen Schwangerschaftsübelkeit verschrieben worden. Tausende Kinder kamen schwerst missgebildet zur Welt. Heute hat Grünenthal dem WDR und der Produktionsfirma Zeitsprung Film + TV ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro angedroht, wenn eine der insgesamt 15 beanstandeten Passagen ausgestrahlt wird. Änderungen des Drehbuchs, die frühzeitig gefordert wurden, seien abgelehnt worden.
Sebastian Wirtz, geschäftsführender Gesellschafter von Grünenthal: „Die Aufarbeitung dieses tragischen und sensiblen Themas ‚Contergan‘ ist für das Genre eines Unterhaltungsfilms nicht geeignet. Eine Aufarbeitung muss historisch einwandfrei und nachvollziehbar sein. Oder aber es muss unmissverständlich klar sein, dass es sich hier um eine reine Fiktion handelt“.
Falsch dargestellt sei beispielsweise, dass das Medikament behördlich verboten worden war, als die Pharmafirma es ein Jahr und drei Monate nach dem ersten Verdacht auf die Nebenwirkungen noch immer nicht aus dem Handel genommen habe. Tatsächlich habe Grünenthal Contergan zwölf Tage nach dem ersten Verdachtsmoment aus dem Handel zurückgezogen. Ein behördliches Verbot sei nie ergangen.
Im Mittelpunkt des TV-Zweiteilers, dessen Ausstrahlung für Herbst vorgesehen ist, steht ein Anwalt (Benjamin Sadler), der selbst Vater eines contergangeschädigten Kindes ist und einen Prozess gegen das verantwortliche Pharmaunternehmen anstrengt. Regie führte Adolf Winkelmann.
Wie am 16.3 bekannt wurde, will der WDR vor dem Landgericht Hamburg Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung einlegen. Gebhard Henke, Fernsehfilmchef des Senders erklärte, dass „Eine einzige Tablette“ die wesentlichen historischen Begebenheiten korrekt wiedergeben werde.
Produzent Michael Souvignier von der Zeitsprung Film + TV sagte, die künstlerische Aufarbeitung brisanter Themen deutscher Geschichte müsse mit Mitteln des Fernsehfilms möglich sein und bleiben. Der Forderung des Pharmakonzerns, die Namen „Grünenthal“ und „Contergan“ im Zweiteiler nicht zu nennen, könne angesichts der Tragweite der historischen Ereignisse nicht entsprochen werden.
Kommentare zu dieser Newsmeldung
Fewmaster am via tvforen.de
Hhhm, bei Rohtenburg waren es die Übereinstimmungen, die beanstandet wurden, hier liegt die Produktion nicht auf der offiziellen Linie eines Pharma-Unternehmens. Wie man's macht, macht man's falsch.
Erinnert mich an den Catch 22.Sir Hilary am via tvforen.de
mein Bauchgefühl ist auch Contra Günenthal eingestelllt, doch sollte man erst die Fakten kennen, bevor man sich ein Urteil bildet.
ich jedenfalls weis nicht ob das nun stimmt oder nicht.
gruß Sir HilaryFewmaster am via tvforen.de
Sir Hilary schrieb:
>
> mein Bauchgefühl ist auch Contra Günenthal eingestelllt, doch
> sollte man erst die Fakten kennen, bevor man sich ein Urteil
> bildet.
>
Wenn der WDR schlampig recherchiert, dann soll er dafür auch gern eine Klage an den Hals bekommen. Aber es kann ja wohl nicht sein, dass Drehbücher über ein historisches Ereignis irgendwelchen beteiligten Firmen oder Personen zur Korrektur vorgelegt werden müssen und Drearbeiten dann, je nach Finanzkraft des Klägers, schon im Vorfeld auf Jahre hinaus gerichtlich unterbunden werden können.
Wenn das Schule macht, dann können wir Dokumentationen, Doku-Dramen und Spielfilme mit aktuellem Bezug nur noch als Fabeln mit Isegrimm & Co. verfilmen.
Ist ja wie im Minority Report - geplanter Rufmord wird schon vor der Ausstrahlung, also dem Zustandekommen, verhindert. Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an den Journalisten, der die Korruptionsaffäre bei der Bavaria per Verfügung monatelang nicht öffentlich machen durfte, obwohl er stichhaltige Beweise hatte.
Das gleiche Prinzip wie bei den Abmahnungen: Erst mal mit Kanonen auf Spatzen schießen und hoffen, dass die possierlichen Tierchen sich nicht auf ein Verfahren mit ungewissem Ausgang einlassen.Sir Hilary am via tvforen.de
da gebe ich Dir recht - kommt ja in letzter zeit öffter vor !
gruß Sir Hilary
Dustin am via tvforen.de
wunschliste.de schrieb:
>
> Falsch dargestellt sei beispielsweise, dass das Medikament
> behördlich verboten worden war, als die Pharmafirma es ein
> Jahr und drei Monate nach dem ersten Verdacht auf die
> Nebenwirkungen noch immer nicht aus dem Handel genommen habe.
> Tatsächlich habe Grünenthal Contergan zwölf Tage nach dem
> ersten Verdachtsmoment aus dem Handel zurückgezogen. Ein
> behördliches Verbot sei nie ergangen.
Wenn das tatsächlich so ist finde ich die einstweiluge Verfügung vollkommen okay, der WDR kann nicht einen echten Fall nehmen und dann die Fakten verdrehen.chn am via tvforen.de
Und überhaupt, wie ich schon öfter erwähnt habe, finde ich Unterhaltungsfilme, deren Inhalt schreckliche Tatsachen sind, eh nicht prickelnd. Wobei ich gegen Reportagen nichts habe.experte am via tvforen.de
chn schrieb:
>
> Und überhaupt, wie ich schon öfter erwähnt habe, finde ich
> Unterhaltungsfilme, deren Inhalt schreckliche Tatsachen sind,
> eh nicht prickelnd. Wobei ich gegen Reportagen nichts habe.
Nur Reportagen erreichen weniger Menschen. Was Grünenthal angeht, die wollen doch nur ihr Image schützen.kaktus am via tvforen.de
Zu dem Thema gibt es eine ganz hervorragende und sehr berührende Reportage namens "Contergan: Die Eltern". Es ist sehr beklemmend, wie die Mütter und Väter zunächst von der Freude über die Schwangerschaft berichten, dann die Angst angesichts erster Contergan-Babys im Umfeld, und schließlich die schlimmen ersten Momente im Kreißsaal und Krankenhaus. Lief erst vor ein paar Wochen wieder auf arte oder einem der Dritten.Dustin am via tvforen.de
experte schrieb:
>
> Nur Reportagen erreichen weniger Menschen. Was Grünenthal
> angeht, die wollen doch nur ihr Image schützen.
Was ich aber gerechtfertigt finde, wenn der Film ihnen Dinge unterstellt, die einfach unwahr sind.experte am via tvforen.de
Dustin schrieb:
>
> Was ich aber gerechtfertigt finde, wenn der Film ihnen Dinge
> unterstellt, die einfach unwahr sind.
Grünenthal dürfte einiges vertuschen wollen, davon kann man in der Branche fast schon ausgehen.Kippei am via tvforen.de
>Was ich aber gerechtfertigt finde, wenn der Film ihnen Dinge unterstellt, die einfach unwahr sind.
Laut eines Berichtes, den ich vor einiger Zeit bei den öffis gesehen habe, sind sie aber wahr. Die versuchen, wie Experte schon sagt, ihr Image zu schützen. Mit allen Mitteln Dementieren (auch mit ausweglosen Klagen), damit die Menschen (so wie du) zweifeln und denken "könnte so gewesen sein, könnte aber auch nicht".
Die Pharmakonzerne haben schon sehr viel unmenschliches getan. Siehe "Der ewige Gärtner", gegen diesen Film wurde auch (vergebens) geklagt.Andromeda20001 am via tvforen.de
Solange in dem Film nicht der richtige Name der Firma und entsprechender Personen genannt wird, dürfte jegliche Änderung der Tatsachen der freien Schöpfungskraft des oder der Autoren unterliegen und der Film dütrfte nicht verboten werden.
Ich hoffe, das sehen die Richter in einem evtl. Prozeß auch so.
Gfgfls. es wäre nicht so, dürfte jegliche Produktion über Filme, die sich an wahre Vorfälle anlehnen, unmöglich werden, denn dann könnten Beteiligte oder deren Nachkommen immer dagegen vorgehen, mit dem Argument, das sein so nicht gewesen, denn es sei niemand der Filmbeteiligten dabei gewesen.
Dann könnten selbst Nazi-Ehemalige gegen Filme über das 3. Reich vorgehen, denn auch fast alle Spiel-Filme darüber beruhen auf etlichen Spekulationen und freien Erfindungen.e_fetch am via tvforen.de
So ist es:
Überall versucht (nicht nur die Pharma-) Industrie, die Menschen zu verblöden, üble Dinge unter den Teppich zu kehren und "Wahrheitsfinder" einzuschüchtern.experte am via tvforen.de
e_fetch schrieb:
>
> So ist es:
> Überall versucht (nicht nur die Pharma-) Industrie, die
> Menschen zu verblöden, üble Dinge unter den Teppich zu kehren
> und "Wahrheitsfinder" einzuschüchtern.
Frei nach dem Motto: Wir haben ein tolles Medikament, jetzt brauchen wir nur noch die passende Krankheit dazu.