Kleine Vera

Wenn der Vater, ein LKW-Fahrer, nach Hause kommt, greift er zur Flasche. Die Mutter, immer schwadronierend, putzt und kocht pausenlos. Tochter Vera aber lackiert sich die Nägel, färbt die Haare, trägt aufreizende Klamotten. Vera, 17 Jahre alt und mit Abitur, hat dieses Zuhause, diese enge Neubauwohnung unendlich satt. Sie will tanzen, lieben, glücklich sein. Tagsüber genießt sie ihr Nichtstun, abends zieht sie in die Disco. Eines Tages lernt sie den Studenten Sergej kennen. Er ist für sie mehr als ein kurzes erotisches Abenteuer. Sie nimmt ihn mit nach Hause und gibt ihn als ihren Verlobten aus. Doch der Vater kann mit dem aufmüpfigen Schwiegersohn in spe wenig anfangen. Die Spannungen eskalieren – und der betrunkene Vater jagt Sergej ein Messer in den Bauch. Aus Mitleid mit dem Vater lügt Vera vor der Miliz und vor Gericht – eine Lüge, an der sie zu zerbrechen droht. (Text: hr)

Das Erstlingswerk von Wassili Pitschul, das in dichten wirkungsvollen Bildern schonungslos die Tristesse und Perspektivlosigkeit des Alltagslebens in der Sowjetunion offen legt, stieß 1988 trotz Glasnost und Perestroika noch auf erhebliche Widerstände. Als er dann doch in die Kinos kam, gehörte er zu den meistgesehenen, aber auch umstrittensten Filmen jener Zeit. Kein Wunder, denn er thematisiert auch die Kluft zwischen abgearbeiteten Eltern der Nachkriegsgeneration und ihren Null-Bock-Kindern. Weder die einen noch die anderen wissen Sinnvolles mit ihrem Leben anzufangen, Gewalt wird zur Normalität. „Kleine Vera“ wurde mit Preisen regelrecht überschüttet, unter anderem erhielt der Film den Spezialpreis auf den Filmfestspielen in Montreál, den FIPRESCI-Preis in Venedig, den Grand Prix in Chicago und den Europäischen Filmpreis für das beste Drehbuch. (Text: hr)