2022, Folge 193–211

  • Folge 193
    Camping – ein deutsches Kulturgut. In Ost und West. In der DDR allerdings war der Zelturlaub wegen knapper Ressourcen oft auch Kompromiss. Aber die Zeiten haben sich geändert.
    Es tut sich was auf den Campingplätzen im Osten. Viele, die früher campen „mussten“, tun es heute bewusst und mit Leidenschaft. Die kalte Dusche, das Gemeinschaftsplumpsklo und das undichte Wackelzelt – Vergangenheit.
    Vom Stellplatz mit Meerblick und Strand bis zum Luxuszelt am Baggersee – fast alles ist möglich zwischen Oder und Ostsee. Die kleine Freiheit auf vier Rädern genießen auch Maria und Holger aus der Nähe von Wittenberg. „Wir leben normalerweise in einem Drei-Generationen-Haushalt, da ist es hier schön, Zeit ganz für uns als Paar zu haben und unabhängig zu sein.“ Vor drei Jahren haben sich die beiden für 8000 Euro ein gebrauchtes Wohnmobil gekauft. Seitdem fahren die Ostsee-Fans mindestens einmal im Jahr ans Meer. Diesmal besuchen sie Graal-Müritz, das schon in der DDR ein wahrer Camping-Hotspot war und für seine FKK-Strände berühmt ist – bis heute.
    Die Freikörperkultur als Ausdruck von Individualität – genau wie das Zelten. Ein Stück Abenteuer gegenüber dem reglementierten Kollektiv-Urlaub.
    Der Campingplatz war Rückzugsort, oft auch am Feierabend und am Wochenende. So erinnert sich Platzwart Marek Staginnus: „Ich habe quasi mein ganzes Leben auf dem Campingplatz verbracht.“ Der 47-Jährige betreibt den Campingplatz am Bergwitzsee in Sachsen-Anhalt. Als Kind machte er mit der Familie hier Dauercamping. Mit der Wiedervereinigung stand der Zeltplatz zeitweise vor dem Aus. Mareks Vater aber rettete das lieb gewonnene Fleckchen Erde, indem er ihn als Betreiber übernahm. Marek hat BWL studiert und will den Platz zukunftsfähig machen, denn die Branche ist im Wandel. „Die Leute erwarten heute deutlich mehr als in der DDR, als man mit Waschgelegenheiten unter freiem Himmel und Plumpsklos zufrieden war.“ Nachdem er im See schwimmende Häuser gebaut hat, soll bald ein Sanitärgebäude auf zwei Etagen nach neustem Standard fertig werden.
    Ein Trend ist das sogenannte Glamping. Das steht für glamouröses Camping und soll die Menschen anlocken, die mit Zelten und Wohnwagen eigentlich wenig anfangen können. Am Gräbendorfer See in Brandenburg locken Zelte auf Hotel-Niveau, ausgestattet mit Matratzen und Bettwäsche.
    Etwas bescheidener reisen Ina und Frank aus Regis-Breitingen. Der Klappfix sorgt trotzdem für Komfort. Mit wenigen Handgriffen lässt sich aus einem Anhänger kurzerhand ein komplettes Familienzelt mit Küche errichten – der Falt-Caravan „Made in GDR“ machts möglich. Auch heute noch hat er eine feste Fangemeinde und steht für unbeschwerte Kindertage. Für Ina der Grund, sich ein fast 50 Jahre altes Modell gebraucht zuzulegen: „Wir haben uns bewusst für etwas weniger Komfort entschieden und sind sehr glücklich damit.“ Seit fünf Jahren tourt sie mit ihrem Mann Frank und Hund wieder mit dem Klappfix über die Campingplätze.
    Eine „ZDF.reportage“ über Urlauber auf ostdeutschen Campingplätzen. (Text: ZDF)
    Deutsche TV-PremiereSo 10.07.2022ZDFDeutsche Online-PremiereFr 08.07.2022ZDFmediathek
  • Folge 194
    Mit dem Rhein startet die vierteilige „ZDF.reportage“-Reihe zu den großen europäischen Flüssen Rhein, Oder, Elbe, Donau. Auf dem Rhein als große Bundeswasserstraße herrscht meist reger Schifffahrtsverkehr. Binnenschiffer, Ausflugsboote und Freizeitkapitäne müssen sich den Platz teilen. Und auch an seinen Ufern gibt es viel zu entdecken. Direkt am Strom, 90 Meter hoch auf einem Felsen, liegt die Burg Rheinstein im Mittelrheintal. Hier wohnt Familie Hecher mit drei Generationen. Hechers haben die Burg in den 70er-Jahren erworben und vor dem Zerfall gerettet. Sohn Marco ist auf der Burg aufgewachsen und kann sich keinen anderen Lebensmittelpunkt vorstellen.
    Im Sommer ist die Burg auch für Besucher geöffnet. Dann empfangen die Burgherren Gäste für Besichtigungen, Familientreffen oder exklusiven Hochzeitsfeiern inklusive Rheinpanorama. Hawaii-Feeling auf dem Rhein. Das erleben Noël, Bine und Caro sozusagen direkt vor der Haustür bei Köln. Sie haben extra eine Firma gegründet, die damit begeistert, dass Wellenreiter auch auf Deutschlands Flüssen ihren Surf-Hobby nachgehen können. Wie beim Wasserskifahren werden die Surfer mit einer Leine aus dem Wasser gezogen und fahren sogar freihändig auf dem Rhein.
    Solche Freizeitsportler haben Jessica Braun und Timo Breusch von der Wasserschutzpolizei Mannheim aber besonders im Blick. Denn die beiden sind für die Sicherheit auf dem Rhein zuständig. Die Beamten von der Wasserschutzpolizei in Mannheim kontrollieren täglich große Frachtschiffe und kleine Sportboote, aber sie schauen auch in den Naturschutzgebieten entlang des Rheins nach, ob Umweltsünder wieder mal ihren Müll in und am Fluss entsorgen. Für viele Deutsche sind die Wasserstraßen Einkommensquelle, Freizeitmöglichkeit und Faszination zugleich. Eine „ZDF.reportage“ voller Flussgeschichten entlang des Rheins. (Text: ZDF)
    Deutsche TV-PremiereSo 17.07.2022ZDFDeutsche Online-PremiereFr 15.07.2022ZDFmediathek
  • Folge 195
    Von den großen deutschen Flüssen ist die Oder vielleicht der unbekannteste. Als Grenzfluss zum benachbarten Polen liegt er für die meisten Deutschen zu weit weg, um seine Ufer zu erkunden.
    Bei Ratzdorf mündet die Neiße in die Oder. Hier am Deich erscheinen die Ufer – gerade bei Hochwasser – unerreichbar weit entfernt. Ratzdorf mit seinem berühmten Pegelhäuschen fühlt sich an wie der letzte Zipfel Deutschlands.
    Einer der wenigen Gasthöfe in der dünn besiedelten Gegend ist die „Kajüte“ direkt hinterm Deich. Lange stand das Gebäude mit dem großen Tanzsaal leer. Dorothee Schmidt, eine Restauratorin aus der Gegend, die den „ollen Schwoof-Schuppen“ trockengelegt und behutsam wieder flottgemacht hat, lädt hin und wieder zum Tanze ein.
    20 Kilometer flussabwärts ragt plötzlich ein Wahrzeichen deutscher Industriegeschichte in den Himmel. Der Hochofen des Stahlwerkes Eisenhüttenstadt. Mitten durch die Anlagen führt eine der Trainingsrouten des Rudervereins Fürstenberg/​Oder. Einige der Stahlwerker powern nach der Schicht weiter – auf einem Einer, Zweier oder Achter. Eine der wenigen Frauen ist Kerstin Paulert. Sie erzählt, wie es heute um den Arbeiterstolz der Stahl- und Hüttenwerker bestellt ist und welche Rolle das Nachbarland Polen für sie spielt.
    Wohnen in Polen, studieren in Deutschland – dazwischen nur ein Fußweg über die Brücke. Dieses Modell gibt es ausschließlich in der Doppelstadt Frankfurt-Słubice. Im polnischen Studentenheim kosten die Zimmer nur etwa die Hälfte im Vergleich zu Frankfurt/​Oder. Einige deutsche Studenten wohnen in Polen und müssen die Grenze täglich mehrfach passieren. Zum Beispiel Niklas Rogge, der an der Viadrina Jura im ersten Semester studiert. Er zeigt das Studentenleben westlich und östlich der Oderufer. Was macht man zwischen den Vorlesungen, und wo werden die besten Partys gefeiert – auf der polnischen oder deutschen Seite?
    Das Dorf Hohenwutzen ist wegen seiner Lage an der Oder berühmt bis mindestens nach Berlin. Denn es verfügt über eine Brücke nach Polen. Und über diese Brücke geht es für manche direkt ins Paradies – zum riesigen, sogenannten Polenmarkt direkt am gegenüberliegenden Ufer der Oder. Er ist der größte seiner Art. Täglich fahren gut gebuchte Shuttlebusse für fünf Euro aus dem 75 Kilometer entfernten Berlin hierher. Seit dem Ölpreisschock hat auch das Tanken in Polen wieder kräftig zugelegt, weshalb die Besucherzahlen auf dem Markt gleich mit gestiegen sind. Erhältlich ist alles, was das Herz von Schnäppchenjägern höherschlagen lässt: Korbwaren, Gardinen, Porzellan, Lebensmittel, Gartenzwerge. Ein Paradies für Schnäppchensammler. (Text: ZDF)
    Deutsche TV-PremiereSo 24.07.2022ZDFDeutsche Online-PremiereFr 22.07.2022ZDFmediathek
  • Folge 196
    Kaum ein Fluss wurde durch die Wende so verändert wie die Elbe. Dabei war der Strom nur auf rund 100 Kilometern Grenzfluss.
    Es war die extrem starke Belastung besonders durch Schwermetalle, die zu DDR-Zeiten sprichwörtlich war und die mit dem Rückbau der chemischen Industrie aufhörte. Die einstigen Kloake ist heute ein Freizeitparadies. Aber viele Jobs sind weg.
    Sarah Schmied kann sich ein Leben ohne ihre geliebte Elbe nicht vorstellen. Gemeinsam mit Freundinnen macht die 35-jährige Dresdnerin regelmäßig Fahrradtouren entlang des Flusses – auf Deutschlands längstem und wohl schönstem Radwanderweg. Unterwegs wird gepicknickt, gezeltet und viel gelacht. Höhepunkt ist eine Schlauchbootfahrt entlang des malerischen Elbsandgebirges. Sarahs Fazit: „Wir wohnen da, wo andere Urlaub machen – wie traumhaft ist das denn bitte?“
    So traumhaft und paradiesisch war die Elbe dort aber viele Jahrzehnte lang nicht. Im Gegenteil: Vielerorts präsentierte sie sich als stinkende Kloake, in die man auf keinen Fall auch nur den großen Zeh stecken wollte. Schuld war die Großindustrie der DDR, die auf weiten Teilen der Elbe Abwasser, Chemikalien und Müll großflächig in den Fluss kippte. Torsten Fiedler kann sich noch sehr gut an diese Zeit erinnern. Als Student zu DDR-Zeiten ruderte er ab und zu mal auf der Elbe: „Der Gestank war kaum auszuhalten. Die Angst, hineinzufallen, riesengroß.“ Heute weiß Torsten Fiedler um die Sauberkeit seiner Elbe. Inzwischen geht er sogar regelmäßig in ihr schwimmen – und mit ihm viele andere. Die Elbschwimmer sind inzwischen bekannt in Sachsen.
    Georg Plenikowski war damals Direktor der Munitionsfabrik in Schönebeck an der Elbe. Die Fabrik – einst mitbeteiligt am Umweltfrevel. Noch immer finden sich giftige Stoffe im Boden. Heute engagiert sich Georg Plenikowski wie kein Zweiter für ein Stück Wiedergutmachung an seiner Heimatstadt. Er betreibt ein Industrie- und Kunstmuseum, ist dabei, wenn die einstige Industriestadt in neuem Glanz erstrahlt, kämpft um jeden jungen Menschen für die Region. Für den 76-Jährigen ist es eine Lebensaufgabe geworden, die Industriegeschichte von Schönebeck nicht zu vergessen – und die Stadt an der Elbe gleichzeitig wieder lebenswert zu machen.
    „Es kann doch nicht sein, dass immer alle wegziehen, weil sie meinen, woanders wäre es schöner“, sagt René Leue. Sagt es und schraubt an einem nackten Fahrradrahmen. Die Fahrräder, die hier gebaut werden, sind Maßanfertigungen für die Kunden. Keines wie das andere. Alles Handarbeit. Seine Firma heißt Weltrad. Es hat „Weltrad“ schon einmal gegeben, um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert. Damals eine riesige Fabrik – heute eine kleine Manufaktur.
    Dabei ist es nicht geblieben: Inzwischen hat der Schönebecker eine hochwertige Gaststätte ans Elbufer gebaut, einen Gästegarten, wie man ihn hier nicht vermuten würde, Elbpanorama inklusive. Auch Übernachtungen gibt es für die Radwanderer. Sein Tourismuskonzept wurde bereits prämiert. Leue sagt, „die Leute sollen bleiben, wenigstens ein paar Nächte, und sehen, wie sich Schönebeck gemausert hat vom verseuchten Industrieort zu einem liebenswerten Städtchen am Elbufer.“ (Text: ZDF)
    Deutsche TV-PremiereSo 31.07.2022ZDFDeutsche Online-PremiereFr 29.07.2022ZDFmediathek
  • Folge 197
    Beliebtes Touristenziel: Der Donaudurchbruch bei Weltenburg.
    Die Donau ist einer der ältesten und bedeutendsten Handelswege Europas. Dazu der einzige größere Fluss in Europa, der von Westen nach Osten fließt.
    663 Kilometer legt die Donau auf deutschem Gebiet zurück, gemessen von Donaueschingen bis nach Jochenstein. Auf dieser Strecke wächst sie von einem kleinen Flüsschen zu einem kräftigen Strom.
    „Was gibt es Schöneres, als ganz langsam die Donau runterzufahren?“ Voller Stolz sitzt Jürgen Dangl (82) im Bauch der frisch getauften „Ulma V“. Bereits seit dem Mittelalter gibt es die „Ulmer Schachteln“, einfach konstruierte Einweg-Boote, die nur stromabwärts fahren. Am Ziel angekommen wurden sie früher meist zu Nutzholz zerhackt. Jürgen Dangl hat die Tradition der Schachteln mit seinen beiden Brüdern neu aufleben lassen. Mithilfe des letzten Ulmer Schiffsbauers bauen die Männer die historischen Boote nach – und begeistern damit auch die junge Generation, die mittlerweile fleißig mit anpackt.
    Auf kaum etwas anderes sind die Regensburger so stolz wie auf ihre Wurst. Gleich neben der Steinernen Brücke, direkt am Ufer der Donau, steht seit über 500 Jahren die historische „Wurstkuchl“. Dort, wo sich schon im Mittelalter die Regensburger Steinmetze und Hafenarbeiter ihre Stärkung gönnten, ist bis heute vieles beim Alten geblieben: der offene Holzkohlengrill, die hausgemachten Würstl aus purem Hinterschinken vom Schwein und das Sauerkraut aus dem eigenen Gärkeller. Noch immer ist die „Wurstkuchl“ in Familienbesitz: In fünfter Generation führt Andreas Meier die besonders bei Amerikanern beliebte „Wurstkuchl“, seine Lieblingsbeschäftigung ist dabei die Herstellung des legendären, hauseigenen Senfes.
    Mehr als 1000 Jahre lang brauten Mönche im Kloster Weltenburg ihr Bier, seit einem Jahr steht nun der junge Braumeister Fabian Fischer (26) an den Sudkesseln – er gibt einen Einblick in die hohe Braukunst. Viele Besucher stärken sich dort vor einer Dampferfahrt durch den spektakulären Donaudurchbruch, dessen steile Felswände das ideale Terrain für Sportkletterer sind.
    In ihrem Verlauf verwandelt sich die Donau von einem lieblichen Bach zu einer europäischen Wasserstraße. Das Kraftwerk Jochenstein ist das größte Donau-Kraftwerk Deutschlands – die über sieben Meter großen Kaplan-Turbinen produzieren Strom für bis zu 220.000 Haushalte in der Region.
    Der Film blickt hinter die Kulissen der Maschinerie, begleitet die Betriebsmeister bei ihrer täglichen Arbeit und zeigt die Funktionsweise eines Laufwasserkraftwerkes.
    Die „ZDF.reportage“ reist zu den schönsten Orten an den Ufern der Donau und trifft Menschen, die von, auf und mit dem Fluss leben. Eine Reise entlang der vielen Gesichter eines Flusses – von Furtwangen mitten durch Ulm hindurch bis weit hinter Passau. (Text: ZDF)
    Deutsche TV-PremiereSo 07.08.2022ZDFDeutsche Online-PremiereFr 05.08.2022ZDFmediathek
  • Folge 198
    Wer im Sommer 2022 Urlaub macht, braucht starke Nerven. Flüge fallen aus, lange Schlangen am Check-in. Auch auf den Bahnhöfen herrscht Chaos. Züge in den Urlaub sind übervoll.
    Am Urlaubsort angekommen, ist die Lage oftmals auch anders als erwartet. Hotels bieten einen verkürzten Service an, es gibt lange Wartezeiten in der Gastronomie, geänderte Öffnungszeiten, und das Lieblingsgericht wurde auch von der Karte gestrichen.
    4000 Stellen wurden während der Coronakrise an den deutschen Flughäfen abgebaut. Weiteres Bodenpersonal ging verloren, da es sich während der Pandemie umorientiert hat. Das Ergebnis: kilometerlange Schlangen vor dem Check-in und vor der Sicherheitskontrolle.
    Juliana Weil und Konstantin Waldeck aus Ludwigshafen wollen nach Griechenland in den Urlaub fliegen. Eigentlich war geplant, mit der Bahn zum Flughafen zu fahren, doch Verspätungen und die überfüllten Züge schrecken ab. Die beiden gehen auf Nummer sicher und wollen sich fahren lassen, um frühzeitig dort zu sein. Dennoch werden sie sich am Flughafen auf lange Wartezeiten einstellen müssen und bis zum Schluss in Ungewissheit sein, ob ihr Flug nicht doch noch gestrichen wird.
    Sandra Saric und ihr Partner Benedikt Lowin reisen einmal quer durch Deutschland, und das mit Regionalzügen. Mit dem 9-Euro-Ticket sind sie kostengünstig unterwegs, dafür aber auch sehr lange: Neun Stunden dauert die Fahrt von Emden bis Waghäusel, viermal müssen sie umsteigen. Am Kölner Hauptbahnhof müssen sie den nächsten Zug erwischen. 17 Minuten Zeit zum Umsteigen. Schon kommt der erste Stress auf.
    Das 9-Euro-Ticket füllte die Bahnen bereits an den ersten Feiertagen ins Unermessliche, doch zur Hauptreisezeit geht es drunter und drüber. Es kam schon vor, dass Reisende nicht in einen übervollen Zug einsteigen konnten. Die Fahrt Richtung Feriengebiet wird für Sandra und Benedict also zur Geduldsprobe.
    Urlaubszeit ist für Gastwirt Karsten Rose eigentlich die beste Zeit des Jahres. Dann macht er den meisten Umsatz. Doch dieses Jahr fehlt ihm das Personal, um die vielen Gäste zu bedienen. 30 Stellen hat Karsten für seine Gastronomiebetriebe zuletzt ausgeschrieben – null Bewerbungen hat er bekommen. Eine schnelle Lösung ist nicht in Sicht, denn der Markt ist leer gefegt. In seinem Terrassencafé „Seestern“ musste er bereits das Angebot einschränken: Am Wochenende schließt er um 20:00 Uhr, unter der Woche sogar um 18:00 Uhr. Karsten würde seinen Gästen gern anbieten, länger zu bleiben, denn gerade in den warmen Sommerwochen würden diese gern bis 22:00 Uhr draußen sitzen.
    Eine „ZDF.reportage“ über mehr Urlaubsfrust als Urlaubslust. (Text: ZDF)
    Deutsche TV-PremiereSo 28.08.2022ZDFDeutsche Online-PremiereFr 26.08.2022ZDFmediathek
  • Folge 199
    Luxus-Insel Ibiza. Die Marina Botafoch ist einer der teuersten Yacht-Häfen der Welt.
    Ibiza lockt mit traumhaften Sandstränden, ausgelassenen Feten und lässig, elegantem Hippie-Flair. Bis zu drei Millionen Urlauber reisen jedes Jahr auf die Sonneninsel, Tendenz steigend.
    Gut für das Geschäft, denn der Großteil der rund 150.000 Inselbewohner lebt vom Tourismus. Auch bei vielen Deutschen ist die Insel sehr beliebt. Doch der Besucheransturm hat auch Schattenseiten: Das Wasser auf der Insel wird langsam knapp, sie droht zu versalzen.
    „Wenn dir nach tanzen zumute ist, tanze! Wenn du dir die Klamotten vom Leib reißen willst, dann mach’ das. Genieße das Leben, egal was alle anderen denken. Das ist Ibiza!“ So umschreibt Tina Brummer ihr Ibiza Gefühl. Auf einer traumhaften Bootsfahrt entlang der Küstenlinie knüpft die Alleinreisende sofort Kontakte, sie taucht ein in das Party-Leben und genießt den Glamour der Strandklubs:
    Denn Ibiza ist die Partyhochburg für Millionen Feierfreudige. Die Klub-Betreiber überbieten sich mit erstklassigen DJs, fulminanten Shows und exzentrischer Dekoration. Der deutsche DJ Defex alias Franz Hager tritt im „Ibiza Rocks Hotel“ auf – eine der hochkarätigen Party-Locations. Tausende Partygänger werden erwartet. Für den DJ ist klar: „Handbremse gibt’s keine!“
    An einem der teuersten Jachthäfen Europas bringt Jacht-Maklerin Claudia Hörath Luxusschiffe an die Schönen und Reichen. Leihweise – denn weil alle Liegeplätze bereits ausgebucht sind, lohnt der eigene Jacht-Besitz nicht. Trotzdem haben die Kunden von Claudia Hörath ganz bestimme Wünsche und Vorstellung – und es darf auch gerne mehr sein.
    Der Touristenansturm hat auch Schattenseiten. Die natürlichen unterirdischen Süßwasserspeicher sind dem Durst der Menschenmassen nicht gewachsen. Ihre Plünderung sorgt dafür, dass sie leerlaufen und die Becken versalzen. Mit findigen Ideen und großem Mut kämpft der deutsche Ingenieur Stefan Maier um Ibizas Grundwasser. Denn: „Wir müssen arbeiten, und zwar flott!“
    Die „ZDF.reportage“ begleitet Urlauber und Tourismus-Macher auf der Balearen-Insel Ibiza und zeigt den Umgang mit Problemen durch den Touristenansturm. (Text: ZDF)
    Deutsche TV-PremiereSo 04.09.2022ZDFDeutsche Online-PremiereFr 02.09.2022ZDFmediathek
  • Folge 200
    Der Schwarzwald ist eine der beliebtesten Regionen in Deutschland. Wanderwege, Natur und gute Küche ziehen jedes Jahr Millionen Touristen in den Süden der Republik. Doch der Touristentrubel hat auch Nachteile. Überall, wo es richtig voll ist, gibt’s Ärger, auch im sonst so beschaulichen Schwarzwald. Wanderer lassen Müll in den Wäldern zurück, auch Motorradfahrer werden immer mehr zum Problem in der Idylle. Anwohner Ferdinand Dalpiaz ist total genervt. Sein Haus liegt direkt an der Hauptrennstrecke der Biker, in der kleinen Gemeinde Todtnau. Durch die besondere Akustik, der Kesselform des Tals, hört man die Motorradfahrer praktisch im Dauerlärm.
    „Vor allem im Garten ist es schlimm, man kann einfach nicht draußen sitzen, der Lärm ist extrem.“ Bikerspaß und Wohnidylle – ein scheinbar unlösbarer Konflikt. Trekking im Schwarzwald ist voll im Trend. Familie Kriwan aus Möglingen freut sich auf eine Tour in der abgeschiedenen Natur. Christian und Stephanie sind begeisterte Sportler und wollen gemeinsam mit ihrem sechs Monate alten Sohn Lars von Freudenstadt bis ins Camp Loßburg wandern. In den vergangenen Jahren sind im Nationalparkgebiet Trekking-Camps entstanden, die von Mai bis Oktober geöffnet sind.
    Erreichbar sind sie nur zu Fuß, mit Etappen zwischen 10 und 20 Kilometern. Eine Herausforderung für Familie Kriwan. Kuckucksuhren und der Schwarzwald, das gehört einfach zusammen. Bei der Schonacher Manufaktur Rombach und Haas geht man dabei aber neue Wege: Sie will Tradition und Moderne verbinden. Selina und Andreas Kreyer sind mittlerweile die fünfte Generation, die den Traditionsbetrieb führt. Sie haben sich auf moderne Uhren spezialisiert. Neben traditionellen Kuckucksuhren bieten sie Modelle in grellen Farben und ungewohnten Formen an. Damals ein großes Risiko für das Traditionsunternehmen. Doch mittlerweile werden sie für ihren Mut, Tradition und Moderne zu vereinen, weltweit gefeiert.
    Kulinarik höchster Qualität gibt es im Restaurant „Hirschen“ im Badischen. Chefin Douce Steiner ist die einzige Zwei-Sterneköchin Deutschlands. Über die Jahre hat sie ihren eigenen Stil entwickelt. Eine leichte Küche, deren handwerklicher Ursprung in der klassischen französischen Küche liegt. Douce Steiner setzt vor allem auf Fisch, Gemüse, Kräuter und leichte Fonds. Auch ihr Mann ist Koch, und so geht es bei Steiners eigentlich immer irgendwie ums Essen und Trinken. Eine „ZDF.reportage“ aus dem Schwarzwald, wie die meisten Deutschen ihn kaum kennen (Text: ZDF)
    Deutsche TV-PremiereSo 11.09.2022ZDFDeutsche Online-PremiereFr 09.09.2022ZDFmediathek
  • Folge 201 (30 Min.)
    Überall in Deutschland fehlen Fachkräfte. Mehr als 1,7 Millionen Stellen sind im Sommer 2022 unbesetzt. Bewerbungen sind Mangelware, das verbliebene Personal arbeitet an der Belastungsgrenze. Es gibt mittlerweile kaum eine Branche, die nicht betroffen ist. Große Industrieunternehmen und Mittelständler klagen ebenso über fehlendes Personal wie Handwerksbetriebe, Kindertagesstätten, Gastronomen, Altenpflegedienste oder Speditionen. Die Leipziger Verkehrsbetriebe erleben zurzeit einen besorgniserregenden Fachkräftemangel.
    Freie Stellen können nicht besetzt werden. Der Sommerfahrplan, mit dem ohnehin schon Fahrten eingespart werden sollen, funktioniert vermutlich nur in der Theorie. Wie es in der Praxis verläuft, bleibt abzuwarten. Jens Stacklies ist Gastronom in Hamburg. Zu seinem kulinarischen Reich gehören zwei Restaurants, eine Privatbrauerei und eine Veranstaltungshalle. 80–100 Leute fehlen ihm derzeit. Deshalb muss er in seinen Gaststätten auch einen Ruhetag mehr als geplant einlegen.
    Auch Familie Hanisch aus Schwarzenbach in Bayern spürt den Fachkräftemangel. Sie bauen gerade ein neues Zuhause – für drei Generationen. Weil Handwerker schwer zu bekommen sind, müssen sie selbst mit anpacken. Für anfallende Arbeiten leihen sie sich Baumaschinen von Michael Fülle, der eine kleine Baufirma betreibt. Er hat volle Auftragsbücher und einen Anrufbeantworter, der jeden Tag neue Anfragen aufnimmt. Doch auch ihm fehlt der Nachwuchs beziehungsweise das Personal. Lehrlinge auszubilden, lohnt sich für ihn nicht, sagt er: „Die laufen mir nach der Ausbildung sofort weg, weil sie in München, Bayreuth oder Nürnberg mehr verdienen und dort mit Kusshand genommen werden.“ Er würde am liebsten noch mindestens zwei bis drei Handwerker einstellen, findet aber keine und muss seit Jahren mindestens zwei Aufträge pro Woche ablehnen.
    Eine „ZDF.reportage“, die zeigt, welches Ausmaß der Fachkräftemangel in Deutschland inzwischen angenommen hat und was das für die Betroffenen – Firmen und Kunden – bedeutet. (Text: ZDF)
    Deutsche TV-PremiereSo 18.09.2022ZDFDeutsche Online-PremiereFr 16.09.2022ZDFmediathek
  • Folge 202
    Das größte Volksfest der Welt, Millionen Besucher, Millionen Maß Bier. Für viele eine zünftige Gaudi. Für andere ein Massenexzess, aber für die meisten ist es einfach: das Oktoberfest. Das größte Zelt am Platz bietet Platz für 9800 Besucher aus München, Bayern und der ganzen Welt. „Die Krüge hoch!“, ruft der Kapellmeister, und die durstigen Gäste folgen brav. Tausendfach klackert die Maß beim Anstoßen: Wieder ist ein Hektoliter Bier weggetrunken. Mit dabei: Alina und Laura, 18 und 20 Jahre alt, zum ersten Mal als Erwachsene auf der Wiesn.
    Sie und ihre Clique wollen bis zur Sperrstunde Spaß haben. Ein klarer Plan nach mehr als zwei Jahren ohne Oktoberfest. Die Wirte hoffen, dass es so gut wie vor Corona läuft: Die Wiesn, das ist Gastronomie im XXL-Format. Wie am Fließband werden Hähnchen auf Drehspieße gesteckt und Schnitzel paniert. Das Bier kommt per Leitung direkt aus einem der Großtanks – das Holzfass in der Schenke ist meist nur noch Fassade. Nachts, wenn die letzten Gäste gegangen sind, füllen Tanklaster alles wieder auf.
    Tagsüber schleppen Hundertschaften an Bedienungen von früh bis spät Hendl, Bier und mehr für die Gäste. 500 Maß am Tag können es schon mal sein, wenn’s gut läuft. Der Lohn und die Trinkgelder sind gut. Nur das Gedränge und den Lärm muss man vertragen – diesmal 17 Tage am Stück. Der Job der „Brotverkäuferinnen“ ist reserviert für Geringverdiener. Nicht jeder Tag läuft gut, aber am Ende reicht es hoffentlich für einen kleinen Urlaub, trotz magerer Rente. Früher war mehr drin. Doch die Konkurrenz ist groß: Drinnen im Bierzelt gibt’s die Brezen inzwischen auch an den Platz gebracht – oder es steht gleich ein ganzes Brotzeitbrettl auf dem Tisch.
    Von früh bis spät buhlen Schausteller und Marktkaufleute um Kundschaft. Familie Kaiser hat fast so viele Fahrgeschäfte wie Familienmitglieder. Auf der Wiesn steht beinahe der gesamte Kaiser-Clan mit Hightech-Karussells und Achterbahnen vereint auf einem Platz – und gewährt einen Einblick ins Rauf und Runter einer Branche, die sich immer weiterentwickeln muss.
    Das Teufelsrad ist das Gegenmodell: Familie Polaczy hat das uralte Fahrgeschäft geerbt – die Schaustellerei ist für die drei Generationen nur ein Nebenjob. Die Idee dieses „Karussells“ ist genial einfach: Wer es am längsten schafft, sich auf einer drehenden Scheibe zu halten, den feiern sie – wer vorher abrutscht oder weggekegelt wird, füttert die Schadenfreude der Zuschauer. „Ein Leben ohne Wiesn“, sagt Elisabeth Polaczy und spricht damit vielen aus der Seele, „ist undenkbar.“ Eine „ZDF.reportage“ über das Oktoberfest in München, das nun endlich wieder stattfindet. (Text: ZDF)
    Deutsche TV-PremiereSo 25.09.2022ZDF
  • Folge 203
    Trotz eBay & Co.- der Trend zu Flohmärkten ist nach wie vor ungebrochen. Pro Jahr finden Zehntausende solcher Märkte in Deutschland statt. Im Schnitt liegen laut einer Umfrage in den Haushalten Gegenstände im Wert von durchschnittlich mehr als 1000 Euro herum. Bares Geld, das unter die Leute gebracht werden will. Und so findet manches Schätzchen aus dem Keller einen neuen Besitzer. Sandra ist seit ihrer Kindheit auf Flohmärkten unterwegs, auch ihre Kinder sind große Fans vom Trödeln. Kindersachen und Spielzeug, das nicht mehr gebraucht wird, wird sofort verkauft.
    Die Kinder freuen sich immer, wenn sie dafür etwas Neues kaufen können. Sie haben viel Krempel, bekommen vieles geschenkt und lagern alles in ihrer Trödelgarage. Sie gehen vor allem auf Märkte in Krefeld, Tönisvorst, Duisburg und Düsseldorf. Mit ihren Freunden hat Sandra außerdem eine Tauschbörse für Klamotten, bei der sie fröhlich mit Sekt und guten Gesprächen ihre Kleidungsstücke austauschen. Sandra ist ein Verkaufstalent. Mit Kaffee, Musik, fröhlicher Ausstrahlung und guten Preisen lässt sie ihre Kasse klingeln. Norbert Voest aus Kempen ist ein lustiger Mensch, der gern auf Flohmärkte geht.
    Früher war er im Handel tätig, hat also Erfahrung mit An- und Verkauf. Nun ist er in Rente und trödelt nur noch mit gebrauchten Waren. Da seine Rente nicht üppig ist, ist es für ihn das perfekte Zubrot, um die Rente etwas aufzustocken. In der Regel erzielt er beim Verkauf auf den Märkten um die 200 Euro Umsatz. Viele Sachen bekommt er geschenkt, oder er holt sie sich auf offenen Wohnungsauflösungen, wo er für kleines Geld Waren kaufen kann. Aber er schnappt zum Beispiel auch zu, wenn die Nonnen am Kloster Kempen ausmisten.
    Da sind oft sehr gute und alte Sachen dabei, die er gut wieder verkaufen kann. So bleibt Norbert seine Leidenschaft fürs Handeln treu. Stefan Schmidt betreibt die „Schatzkammer“ in Flintbek bei Kiel. Seit vielen Jahren handelt er, der sich selbst „Trödel-Baron“ nennt, mit ausrangiertem Hausrat und allem, was sich auch auf Flohmärkten wiederfindet. Das Entrümpeln und Trödeln wird seine Berufung, sagt Schmidt. Er ist ein „Klön-Schnacker“ wie er im Buche steht, hat immer einen guten Spruch auf Lager hat und redet ohne Unterlass.
    Seine Kunden lieben das. Er und sein Team entrümpeln regelmäßig Wohnungen und Häuser und schaffen so Nachschub für seine „Schatzkammer“ heran. Paulina und Gerrit aus Berlin teilen die Leidenschaft für Vintage-Wohnaccessoires, Kleidung und Möbel. Die beiden Freunde gehen gern in kleine Läden, auf Flohmärkte oder online auf Schatzsuche. Die Fundstücke bereiten sie aber nicht nur für sich selbst auf. Freunde und Familie werden so schon seit Jahren mit ihren Schnäppchen aus Glas, Marmor & Co.beglückt. Die Nachfrage nach ihrem guten Auge für schmucke Deko und Accessoires stieg, sodass ihnen 2018 die Idee zu dem Onlineshop „Dusty Crush Studio“ kam.
    In dem Shop von „Dusty Crush Studio“, und auch auf Instagram, findet man allerlei Vintage-Deko, die von den beiden aufpoliert und liebevoll in Szene gesetzt wird. „Wir glauben, dass die Menschen Individualität in ihren vier Wänden haben wollen. Und das möglichst nachhaltig. Secondhand ist da der beste Weg und vor allem in Städten wie Berlin total angesagt“, erzählt Gerrit. Die beiden Mittdreißiger erspüren Trends rund um den Secondhandkult. Eine „ZDF.reportage“ über die Trödel- und Flohmarktleidenschaft der Deutschen (Text: ZDF)
    Deutsche TV-PremiereSo 02.10.2022ZDFDeutsche Online-PremiereSa 01.10.2022ZDFmediathek
  • Folge 204
    Der Duisburger Hafen ist der größte Binnenhafen Europas. 36.000 Menschen arbeiten dort. Damit ist der Hafen einer der wichtigsten Arbeitgeber der Region. Das Areal umfasst 21 Hafenbecken, eine Fläche so groß wie 2170 Fußballfelder. Mehr als 100 Millionen Tonnen Fracht gehen jährlich rein und raus. Eine logistische Meisterleistung. Malvin Nelom ist Kranfahrer und im Hafen dafür verantwortlich, dass die bis zu 30 Tonnen schweren Container sicher verladen werden. Der 25-Jährige ist noch in der Ausbildung, trägt aber bereits eine große Verantwortung: „Man muss immer hoch konzentriert sein.
    Insbesondere wenn man Gefahrgut verlädt, kann jeder Fehler schwere Folgen haben.“ 20.000 Schiffe befahren jährlich das Hafengebiet. Detlef Bours kennt die meisten davon. Seit 1983 arbeitet er im Hafen, seit 2008 als Hafenmeister. Mit seinen Kollegen überwacht er alle 21 Hafenbecken, ist zuständig für die Schiffserfassung und die Sicherheit im Hafengebiet. Er kennt dort jeden Stein und hat den Strukturwandel der letzten Jahrzehnte hautnah miterlebt. Genau wie Dirk Hübertz, den alle nur „Hübi“ nennen. Der geborene Duisburger ist Wirt der Hafenkneipe an der Horst-Schimanski-Gasse.
    Früher gab es dort Dutzende Gaststätten, heute ist „Zum Hübi“ die letzte im Hafen. Svenja Bade ist gerade einmal 27 Jahre alt und sitzt am Steuer des 110 Meter langen Frachtschiffs „SCHWELGERN“. Voll beladen sind es 2500 Tonnen, die sie von Duisburg aus bis nach Basel und Rotterdam schippert. Das Hauptzollamt Ruhrort hat bei seinen Kontrollen schon die seltsamsten Entdeckungen gemacht. Selbst lebendige Pferde haben die Kollegen bereits gefunden. Meist sind es aber Drogen, Waffen, Plagiate und Antiquitäten, nach denen sie Ausschau halten.
    Jeden Tag suchen sie im Hafen nach der kriminellen Stecknadel im Heuhaufen. Birgit Steinich und Sascha Rösler haben sich im Hafen ihren Lebenstraum erfüllt. 2020 haben sie ihre Wohnung gekündigt und leben seitdem auf einer 22-Meter-Jacht im Duisburger Innenhafen. „Hier am Wasser fühlen wir uns frei. In unser altes Leben wollen wir nie wieder zurück“, sagt Birgit. Die „ZDF.reportage“ zeigt den Wandel des Duisburger Hafens vom Kohleumschlagplatz hin zu einem modernen Logistikdrehkreuz und erzählt die Geschichten von Menschen, die dort leben und arbeiten. (Text: ZDF)
    Deutsche TV-PremiereSo 16.10.2022ZDFDeutsche Online-PremiereFr 14.10.2022ZDFmediathek
  • Folge 205
    Im Autoland Deutschland ändern sich die Zeiten. Wurden früher die Kunden beim Kauf umworben, lassen sich heute die Anbieter bitten. Lieferzeiten von über einem Jahr sind keine Seltenheit. Viele aber können nicht warten, bis der Markt sich entspannt, sie müssen jetzt von A nach B kommen. Die Folge: Gebrauchte Autos sind immer begehrter. Allein im Jahr 2021 sind die Preise um 30 Prozent gestiegen. Aber: Gebrauchtwagenkauf ist immer auch ein Risiko. Chris und Laura M. haben einen Neuwagen bestellt. Nun erfahren sie: Der Liefertermin verzögert sich immer weiter. Zum Überbrücken der Wartezeit brauchen sie unbedingt einen günstigen fahrbaren Untersatz.
    Seit Wochen versuchen die zweifachen Eltern per Onlinebörse, eine Übergangslösung zu finden. Bisher ohne Erfolg. Ihre letzte Hoffnung: der Automarkt Essen. Dort werden jeden Samstag bis zu 1000 Autos zum Verkauf angeboten. Werden sie endlich einen geeigneten Wagen finden? Die „ZDF.reportage“ begleitet die Suche. Mit dabei: ein professioneller Gutachter, der mit ihnen die Autos anschaut – und erklärt, worauf man beim Gebrauchtwagenkauf achten sollte. Andreas Daub ist Autohändler in zweiter Generation. 2019 hat der Schwabe den Betrieb von seinem Vater übernommen.
    Und schlittert seither von einer Krise in die nächste: „Der Automarkt steht kopf, so was habe ich überhaupt noch nie erlebt. Auch mein Vater nicht. Absoluter Wahnsinn.“ Die Folge der Neuwagenknappheit: Die Gebrauchten sind heiß umkämpft, der Verkaufsparkplatz der Firma weist immer öfter Lücken auf. „Der Markt verändert sich – und wir müssen uns anpassen. Denn die Menschen brauchen Autos, das bleibt“, sagt Andreas Daub. Ludger und Martha B. aus dem Umland von Berlin haben eine dreijährige Tochter. Sie haben ein Auto, einen Hybrid-Kombi. Denn Vater Ludger muss pendeln. Sein Arbeitsweg hin und zurück sind 280 Kilometer, täglich.
    Jetzt soll weiterer Familienzuwachs kommen. Daher braucht auch Mutter Martha – ebenfalls berufstätig – einen eigenen Wagen oder Pkw. Zu umständlich, zu langwierig und beschwerlich sind die Wege per Bus und Bahn. Die Idee: Er fährt mit dem Neuen – und Mutter Martha behält den Alten. Aber welcher Wagen ist der richtige? Und wann sind die Modelle lieferbar? Lohnt sich ein Elektroauto? Die „ZDF.reportage“ begleitet die Familie bei der Entscheidungsfindung, bei Probefahrt und Auswahl. Wann werden sie einen neuen Wagen bekommen? Die „ZDF.reportage“ zeigt Kosten, Risiken sowie Tricks und Kniffe. (Text: ZDF)
    Deutsche TV-PremiereSo 23.10.2022ZDFDeutsche Online-PremiereFr 21.10.2022ZDFmediathek
  • Folge 206
    Die Energiekrise ist im Alltag angekommen. Schon jetzt sparen viele, wo es geht, um über die Runden zu kommen. Und keiner weiß, wie hoch die Heizkosten im Winter noch steigen werden. Die meisten deutschen Haushalte heizen mit Gas, gefolgt von Öl. Aber auch wer mit Holz heizt oder eine strombetriebene Wärmepumpe hat, muss mit höheren Kosten rechnen. Denn Strom- und Holzpreise sind ebenfalls gestiegen. Die Münchner Rentnerin Anni E. hat Angst vor dem Winter. Denn mehr Geld fürs Heizen kann sie von ihrer Rente nicht zahlen. „Ich sehe mich schon im Wintermantel im Wohnzimmer sitzen“, so die 69-Jährige.
    Rund 200 Euro musste sie in diesem Jahr schon allein für Strom nachzahlen. Für Anni E. ist das viel Geld: „Ich habe 100 Euro pro Woche für alles, was man so zum Leben braucht.“ Von ihrer Rente kann sie sich schon bisher nur das Nötigste leisten: Essen, Körperpflege, Fahrkarte für den öffentlichen Nahverkehr und ab und zu ein günstiges Kleidungsstück. So wie ihr geht es vielen Rentnerinnen und Rentnern, heißt es beim Verein „Ein Herz für Rentner“: „Wir bekommen immer mehr Hilferufe, weil viele schon jetzt mit den Nachforderungen für die Nebenkosten überfordert sind.“ Viele wollen jetzt auf Gas und Öl beim Heizen verzichten.
    Bis zu 80 Anrufe am Tag bekommt Holzhändler Nico Reths zurzeit. „So einen Ansturm auf Brennholz habe ich noch nie erlebt.“ Den meisten Anrufern muss er absagen, beliefern kann er nur noch seine Stammkunden. „Der Kamin wird in diesem Jahr wohl noch stärker als sonst zum Heizen genutzt. Auch von denjenigen, die ihn bisher eher für die Gemütlichkeit angemacht haben“, so Nico Reths.
    Doch auch Brennholz ist teurer geworden. „Das liegt auch an den hohen Dieselpreisen. Dadurch steigen die Kosten vom Einschlag bis hin zu Transport und Brennholzproduktion“, erklärt der Holzhändler. Auch die Heizkosten von Frank F. sind gestiegen. Hinzu kommt für ihn aber vor allem noch die Preissteigerung an der Tankstelle. Denn er fährt jeden Tag rund 120 Kilometer von Berlin aus zu seinem Arbeitsplatz in Mecklenburg-Vorpommern. „Meine Tankkosten haben sich nahezu verdoppelt. Das sind jetzt mehrere Hundert Euro jeden Monat“, so der Pendler.
    Deshalb spart er an anderer Stelle: „Ich gehe zum Beispiel seltener essen, fahre nicht in den Urlaub, gebe weniger für Geburtstagsgeschenke aus.“ Auf Dauer aber wird die finanzielle Belastung zu hoch. Dann bleibt nur noch der Umzug. Frank F. hofft, dass die Spritpreise bald wieder sinken und es so weit nicht kommt: „Ich habe viele Freunde in Berlin. Bei einem Umzug müsste ich mein komplettes soziales Umfeld aufgeben.“ Die „ZDF.reportage“ zeigt, wie sich die hohen Energiepreise im alltäglichen Leben auswirken und wie viel Verzicht notwendig ist, damit die Energierechnung noch bezahlt werden kann. (Text: ZDF)
    Deutsche TV-PremiereSo 30.10.2022ZDF
  • Folge 207
    Das Dreifache für Gas und Strom, Obst und Gemüse nahezu unerschwinglich, Alltägliches wird zum Luxusgut. Menschen, die bisher einigermaßen über die Runden kamen, müssen nun jeden Euro umdrehen. Ein Haushaltsbuch zu führen ist plötzlich nicht mehr altmodisch, sondern notwendig. Aber es steigt auch die Kreativität, wie man sich trotz der gestiegenen Preise die Lebensfreude erhält. Auf den Jahrmarkt freut sich Maja schon seit Wochen: Karussell und Riesenrad, Zuckerwatte, gebrannte Mandeln. Auch für ihre Eltern Nicole und Enrico ist die Herbst-Kirmes traditionell ein Highlight, aber in diesem Jahr mischt sich in die Vorfreude Unsicherheit: so viel Geld für Fahrgeschäfte und Snacks ausgeben, wenn im Hintergrund schon die nächste Strompreiserhöhung lauert? Weihnachten ist schließlich auch nicht mehr fern.
    Doch da sich die Kleine so darauf freut, hat sich die Familie auf einen Kompromiss geeinigt: Maja darf zwar mit ihren Lieblingskarussells fahren, aber gegessen wird vorher zu Hause. Und mit Blick auf Weihnachten stöbern alle durch die Schränke, um Ungenutztes vorher zu verkaufen. „Einschränken müssen wir uns aktuell schon, aber wir versuchen gerade deshalb, die Kleinigkeiten, die wir uns leisten, besonders zu genießen“, resümiert Enrico.
    Um nicht den Überblick über das verfügbare Budget zu verlieren, führt Nicole seit dem Sommer eine Art Haushaltsbuch, wo sie die Einkäufe einträgt. Und dies zum ersten Mal im Leben. Barbara Kösters erinnert sich noch gut an ihre Kindheit, als man Lebensmittel nur über Bezugsscheine erhielt. Heute braucht die Rentnerin wieder Gutscheine, um über die Runden zu kommen. Einmal pro Woche erhält sie diese beim Seniorenverein „Lichtblick“ für Lebensmittel, Drogerieartikel, Tierfutter, Kleidung.
    „Alles wird rasend schnell teurer. Als Rentnerin habe ich wenig Möglichkeiten, mein Einkommen deutlich zu erhöhen. Also bleibt mir nur der Verzicht.“ Am leichtesten fällt ihr der bei neuer Kleidung, am schwersten bei den Leckerlis für ihren Hund. „Vielen meiner Bekannten geht es ähnlich. Bei unseren Treffen sitzen wir zusammen, spielen Brettspiele, und keiner muss sich schämen.“ Das Thema Verzicht und Scham beschäftigt auch Heike F. Die Alleinverdienende hat nach Abzug der Fixkosten jeden Monat 536 Euro für sich und ihren Sohn zur Verfügung. „Vor der Preisexplosion war es schwer, aber machbar.
    Jetzt weiß ich wirklich nicht mehr, wie wir finanziell über die Runden kommen sollen.“ Einschränken muss sich die kleine Familie in allen Bereichen: Lebensmittel gibt’s nur vom Discounter – vorzugsweise Angebotsartikel, ebenso Kleidung und andere Bedarfsartikel. „Secondhandläden sind natürlich immer eine Option, aber wenn du in der Schule niemals was Neues hast, wirst du schnell abgestempelt“, weiß Heike. Diese Erfahrung von Ausgrenzung möchte sie ihrem Sohn gern ersparen. Deshalb geht sie so oft wie möglich zur Blutplasma-Spende. 22 Euro extra, die sie jetzt schon zurücklegt für Weihnachtsgeschenke. (Text: ZDF)
    Deutsche TV-PremiereSo 06.11.2022ZDFDeutsche Online-PremiereSo 30.10.2022ZDFmediathek
  • Folge 208
    Die Inflation spürt man nicht nur an der Ladenkasse oder der Zapfsäule. Auch bei den Wohnkosten stoßen viele Deutsche inzwischen an ihre Grenzen. Nebenkosten fast so hoch wie die Miete. Wer jetzt eine Wohnung sucht, braucht einen langen Atem oder ein pralles Portemonnaie. Wohnraum ist nicht nur Mangelware, sondern auch noch teuer. Besonders schwer ist die Wohnungssuche für Menschen mit begrenztem Einkommen: Studierende, Rentner, Familien. Kathrin und Patrik S. suchen seit einem Jahr in Duisburg und Umgebung nach einer Vierzimmerwohnung.
    Mit ihren fünfjährigen Zwillingen möchten sie noch vor deren Einschulung umziehen, damit die Kinder vor Ort Freunde finden können. Doch bisher war alles Bemühen vergeblich. „Große Wohnungen werden selten zur Miete angeboten. Und häufig sagen mir die Vermieter bereits am Telefon, die Wohnung sei nur für zwei Personen geeignet“, erzählt Kathrin traurig. Zum Frust über die ständige Ablehnung kommt jetzt noch die Sorge um steigende Preise und Nebenkosten.
    Patrik hat extra einen neuen, besser bezahlten Job in der Industrie angenommen, obwohl er in seinem früheren Beruf als Verkäufer sehr glücklich war. Doch trotz festen Einkommens hat es die Familie auf dem Wohnungsmarkt schwer. Als Studentin und Auszubildender sind Tamika und Samuel nicht gerade „Vermieters Lieblinge“. Das Paar aus Bremerhaven sucht in Osnabrück eine Zweizimmerwohnung, gern mit fertig eingebauter Küche. „Wir können 800 Euro warm ausgeben. Weil die Nebenkosten immer weiter steigen, mussten wir unsere Wohnwünsche schon deutlich reduzieren“, erzählt Tamika.
    Die Anonymität bei den Massenbesichtigungen sorgt für zusätzlichen Frust. Aber die Zeit drängt – Tamikas Semesterbeginn steht kurz bevor, und Samuel muss schon seit ein paar Wochen zu seinem Ausbildungsplatz mit dem Zug pendeln. Ralf B. hatte nicht geglaubt, dass er sich noch mal einreihen müsste in die lange Schlange von Mietinteressenten. Viele Jahre lebte der Rentner mit seiner Lebensgefährtin in einer geräumigen Dreizimmerwohnung in Köln-Mülheim.
    Doch seit der Trennung ist diese für ihn alleine nicht mehr finanzierbar. Durch seine Arbeit beim Sozialhilfeverein „Oase“ war Ralf bewusst, dass es nicht einfach werden würde. Aber die Suche nach einer neuen Bleibe geht dem 67-Jährigen unter die Haut: „Es ist schrecklich, wenn man jahrzehntelang in der Wohnungslosenhilfe gearbeitet hat, und plötzlich denkt man: Mit ein bisschen Pech wirst du selbst bald zum Klienten.“ Letzte Wiederholungsfolge „ZDF.reportage: Wenn das Geld nicht reicht“ (Text: ZDF)
    Deutsche TV-PremiereDo 10.11.2022ZDFinfoDeutsche Online-PremiereDo 27.10.2022ZDFmediathek
  • Folge 209
    Nach aktuellen Zahlen des Bundesamtes für Statistik sind rund 13 Millionen Menschen in Deutschland armutsbedroht. Seit Jahren verharrt die Zahl auf einem ähnlich hohen Niveau. Aber was heißt armutsbedroht, wie wirkt sich die ständige finanzielle Mangellage auf das Leben, die Ernährung, die psychische Gesundheit aus? Der Andrang in der Dortmunder Suppenküche Kana hat zugenommen. Eine warme Mahlzeit, Obst, Kaffee, Kuchen in einer Plastiktüte: Für dieses Essen steht neben Obdachlosen und Drogenabhängigen auch Alexander in der Schlange.
    Der 30-Jährige geht auf eine Schule für Tontechnik. BAföG gibt es dafür nicht. Monatlich 190 Euro kostet ihn die Schule, das Geld zwackt er von Hartz IV ab. Trotz Minijob, den er nebenher macht, reicht sein Geld meist nur bis Mitte des Monats. Dass in Deutschland niemand Hunger hat, sei ein Irrtum, meint er, selbst steht er immer wieder vor dem leeren Kühlschrank. Alexander hat den Hauptschulabschluss. Jetzt hat er ein Ziel: Eine gute Ausbildung machen. Auch Stefanie (30) und ihr Partner Patrick (36) haben Probleme, über die Runden zu kommen, seit alles teurer geworden ist.
    Stefanie ist schwanger. Sobald wie möglich will das Paar aus der Stadt raus. Ihr Kind soll an einem Ort aufwachsen, wo traditionelle Werte noch eine Rolle spielen. Im Sozialkaufhaus finden sie eine gebrauchte Wiege, auch ein Babyshirt für einen Euro. Beide würden gern arbeiten gehen, aber nicht wieder für Jobs weit unter dem Mindestlohn, die ihnen als Langzeitarbeitslose angeboten werden. Alex geht in Berlin in die zehnte Klasse, er möchte Abitur machen, Bildung ist für ihn der Weg aus der Armutsfalle.
    In einer karitativen Jugendeinrichtung findet er Unterstützung bei den Hausaufgaben. Nur wenige, die hier herkommen, streben einen höheren Bildungsabschluss an. Die Vorbilder in den Familien fehlen. Alex ist da eine Ausnahme, meint die Sozialarbeiterin, er hat Ziele. In der Kleiderkammer kann er sich gebrauchte Sachen aussuchen. Lieber hätte er auch Neue, aber das geht eben nicht, er nimmt es hin, wie es ist.
    Alex konzentriert sich auf die Schule und sein Hobby, den Sport. Gabi in Bochum ist als Rentnerin auf Lebensmittel von der Tafel angewiesen. Sie hat als Altenpflegerin gearbeitet, ihre Rente würde ganz knapp reichen, aber zusammen mit ihrem Mann, der Hartz IV erhält, bildet sie eine Bedarfsgemeinschaft, jetzt sind beide auf dem Hartz-IV-Niveau. Die Zahl derer, die zur Tafel drängen, nimmt beständig zu, sagen die Betreiber der Bochumer Tafel, aber sie können keine neuen Kunden mehr aufnehmen.
    Unter dem Hashtag #ichbinarmutsbetroffen, versuchen Menschen, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt sind, sich Gehör zu verschaffen. Alexander aus Dortmund ist bei der ersten Demonstration der Betroffenen in Berlin dabei. Es sind nicht sehr viele, die vor dem Kanzleramt demonstrieren, aber Alexander ist überzeugt: „Wer nicht sichtbar ist, auf den wird auch nicht geachtet.“ Die ZDF.reportage beleuchtet Lebenswege von Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen in der Armut angekommen sind, aber nicht dortbleiben wollen. (Text: ZDF)
    Deutsche TV-PremiereMi 07.12.2022ZDFDeutsche Online-PremiereFr 02.12.2022ZDFmediathek
  • Folge 210
    Armut ist in Deutschland längst nicht mehr nur ein Problem von Arbeitslosen und älteren Menschen mit kleiner Rente. Immer mehr Geringverdiener kommen trotz Vollzeitjob nicht über die Runden. Über 16 Prozent der Bevölkerung werden 2021 zu den Armen gerechnet. Diese Entwicklung wird sich wohl noch weiter verschärfen. Die rasant steigenden Preise der letzten Monate machen immer mehr Arbeitnehmer zu „armen Leuten“. Corinna und Dominik sind „Multijobber“. Dominik arbeitet Vollzeit als Busfahrer, Corinna arbeitet auf 25-Stundenbasis bei einem Drogeriemarkt.
    Um mit ihren beiden kleinen Kindern in Köln über die Runden zu kommen, müssen beide aber noch zusätzlich Essen für einen Lieferservice ausfahren. Hohe Miete und Inflation setzen den jungen Eltern so zu, dass sie von morgen bis abends durch den Tag hetzen, um Jobs und Kinderbetreuung unter eine Hut zu bekommen. Trotz der enormen Anstrengungen kaufen die beiden fast nur noch im Angebot und sparen, wo sie können. David arbeitet in einem Call-Center.
    Seit der Pandemie macht er diesen Job allerdings im Homeoffice – er sitzt dann den ganzen Tag in seiner 30-Quadratmeter-Wohnung in Dortmund und nimmt bis zu 150 Anrufe am Tag entgegen – er arbeitet als eine Art Telefon-Rezeptionist für viele kleinere Unternehmen. „Das Schlimmste ist die permanente Überwachung!“ Die Telefon-Software diene nicht nur der Verwaltung der Anrufe, sie registriere auch alles, was er mache. „Da überlegst du dir schon, ob du dir noch mal einen Kaffee machst.
    Wenn du mehr als 20 Minuten am Tag kleine Pausen machst, brummt dir das System Strafzeit auf.“ David bekommt 12 Euro Mindestlohn. Julia arbeitet seit 5 Jahren bei einer großen deutschen Airline in der Kabine. Sie ist eigentlich sehr gerne Flugbegleiterin. Aber die Bezahlung ist schlecht. Im Schnitt hat sie knapp 1400 Euro netto im Monat. Fast alle Flugbeleiterinnen und Flugbegleiter, die sie kennt, machen noch Nebenjobs, damit sie überleben können. Auch Melanie macht im Homeoffice noch einen Bürojob auf 450 Euro-Basis für eine Hausverwaltung.
    Sie hat eine 7-jährige Tochter und lebt getrennt vom Kindsvater. Vor der Trennung ging es ihr dank des guten Verdienstes ihres Expartners recht gut. Jetzt aber hat sie Angst vor sozialem Abstieg. Ab 1. Oktober 2022 stieg der Mindestlohn zwar auf 12 Euro die Stunde. Die erhoffte Verbesserung des Lebensstandards wurde aber für viele durch die Inflation zunichte gemacht. Die „ZDF.reportage“ bei Menschen, bei denen trotz harter Arbeit der Lohn nicht zum Leben reicht. (Text: ZDF)
    Deutsche TV-PremiereMi 07.12.2022ZDFDeutsche Online-PremiereFr 02.12.2022ZDFmediathek
  • Folge 211
    Die rund zwei Millionen Soloselbstständigen in Deutschland bekommen die Auswirkungen der Rezession und der Energiekrise ganz unmittelbar zu spüren und müssen sie allein tragen. Die Stimmung in diesem Herbst, sie ist so schlecht wie seit Jahren nicht mehr. Denn nicht nur die steigenden Kosten für Rohstoffe und Energie bereiten ihnen Sorge, viele wissen nicht mehr, ob und wie lange noch genug Kunden kommen, um die laufenden Kosten zu decken. Endlich auf eigenen Füßen stehen, die eigenen Ideen umsetzen, das war für Zuhra Visnjic immer das große Ziel.
    Mit damals 44 hat sich die Remscheiderin diesen Traum erfüllt und ihren Friseurmeister gemacht. Seit acht Jahren steht die dreifache Mutter zusammen mit ihren Aushilfen im Zukis Style. Frisuren stylen, kreativ Menschen verschönern, das war schon immer ihr Ding. Heute weiß die 52-Jährige nicht mal mehr, ob sie im nächsten Monat ihre Krankenversicherung bezahlen kann: „Wenn ich nichts verdiene, kann ich die nicht zahlen.“ Seitdem es täglich Berichte über Preiserhöhungen und Sparmaßnahmen gibt, gehen die Kundenzahlen stark zurück.
    Vor allem am Monatsende gibt es viele freie Spalten im Terminbuch der Friseurin. „Die Leute sparen meistens am Friseur, viele buchen nur noch Trockenhaarschnitte, oder ich stehe hier ganz allein und warte.“ Viel Puffer hat Zuhra Visnjic nicht, ihre Ersparnisse hat sie alle in den Laden investiert. Jetzt drücken neben hohen Energiekosten auch noch die Rückzahlung der Coronahilfen. Die Angst vor der Verschuldung ist bei der Soloselbstständigen groß. Eigentlich hatte sich Julia Krumm den Weg in die Selbstständigkeit einfacher vorgestellt.
    Vor fünf Jahren kündigte sie ihren sicheren Job als Beamtin bei der Bundeswehr und eröffnete ihren eigenen Laden. Mittlerweile bietet die studierte BWLerin Tattoos und Piercings auf 220 Quadratmetern Fläche an. Steigende Kosten überall, dazu die Kranken- und Sozialversicherungen und nicht zuletzt die Verantwortung für ihre zwei fest angestellten Mitarbeiterinnen lassen Julia gerade schlecht schlafen. Seit Januar sind die Farben dreimal so teuer, der 100er Pack Desinfektionshandschuhe kostet 15 Euro statt vorher 5 Euro.
    „Die Konsequenz? Wir setzen uns nächste Woche zusammen und erhöhen die Preise um die 10 Prozent. Mehr gehen die Leute nicht mit!“ Schon jetzt merkt sie, dass sich das Einkaufsverhalten der Leute auch in ihrer Stadt verändert hat. „Tattoos sind nicht überlebenswichtig, ein Luxusgut, das man nicht unbedingt zum Leben braucht.“ „Wenn die Preise noch weiter steigen, muss ich schließen, das macht kein Kunde mehr mit!“ Auch das Geschäft des vierfachen Vaters Thomas Rose aus Essen läuft extrem schlecht.
    Seine Betriebskosten und Einkaufspreise haben sich im letzten Jahr verdoppelt, auch die Miete für Wohnung und Laden hat sich erhöht, um monatlich 100 Euro. Gleichzeitig sind die Umsätze dramatisch rückläufig, in seinem Kiosk mit Blumenladen. Teilweise verdient Thomas nur noch die Hälfte von dem, was er früher am Tagesende in der Kasse hatte. „Das Geld sitzt nicht mehr so locker: Das fängt bei der Süßigkeiten-Tüte an und endet beim Blumenstrauß für die Frau am Freitagnachmittag.“ Viele Sorgen für Thomas, der mit dem Shop auch seine vier Kinder ernähren muss.
    Besorgt sind vor allem Unternehmer in strukturschwachen Regionen, wo die Leute eh schon weniger zum Leben haben. Nora Seitz aus Chemnitz hat Existenznot. Die Traditionsmetzgerei der Familie ist die letzte von einst einem Dutzend im Viertel. Und seit einem halben Jahr spürt die Fleischermeisterin, dass auch bei ihr die Kundschaft wegbleibt. Und wer überhaupt noch kommt, der kauft weniger. „Es gibt zwei Extreme bei den Kunden: Die einen, die abwarten, bis die nächste Stromrechnung kommt, und die anderen, die kaufen direkt die Billigwurst vom ALDI oder gar keine Wurst mehr.
    Weil sie einfach auch kein Geld mehr haben.“ Auch die Nachfrage nach dem Mittagstisch sinkt. „Meiner Mutter, der sieht man die Angst richtig an“, erzählt uns Nora, „und, ich habe schlaflose Nächte.“ Wie lange sie hier in der Metzgerei noch durchhalten, weiß niemand: „Wenn es so weitergeht, ist bald das Licht aus! Meine Mutter hat schon jetzt schlaflose Nächte, und das dicke Ende kommt ja erst noch!“ Ein „ZDF.reportage“ über die Angst vieler Kleinunternehmer um ihre Existenz. (Text: ZDF)
    Deutsche TV-PremiereMi 07.12.2022ZDFDeutsche Online-PremiereFr 02.12.2022ZDFmediathek

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