TV-Kritik: „Little Big Stars“: Gottschalk gegen das Schnipselwerk aus der Postproduktionshölle
Dilettantische Schnitte zerstören neue Sat.1-Kinder-Talentshow
Rezension von Glenn Riedmeier – 23.04.2017, 22:30 Uhr
Mit bis zu 15 Millionen Zuschauern war „Little Big Shots“ im vergangenen Jahr der erfolgreichste Show-Neustart in den Vereinigten Staaten. Klar, dass es angesichts dieses überragenden Durchbruchs nicht lange gedauert hat, bis andere Länder Interesse an dem Format bekundeten. In Deutschland hat sich Sat.1 die Rechte gesichert und mit Thomas Gottschalk noch dazu einen der beliebtesten Showmaster verpflichtet. Heute Abend (23. April) lief die erste von insgesamt drei Ausgaben von „Little Big Stars“.
Doch was die deutschen Fernsehzuschauer am Sonntagabend zu sehen bekamen, war ein nahezu unerträgliches Schnipselwerk, das kaum noch etwas mit der tatsächlichen Aufzeichnung zu tun hatte. Vor dem eigentlichen Beginn der Show wird – wie heutzutage leider üblich – eine zweiminütige Vorschau mit Highlight-Szenen gezeigt. Damit will Sat.1 natürlich erreichen, dass die Neugier der Zuschauer geweckt wird, doch im Grunde wird das Gegenteil erzielt, weil es dadurch keinen Überraschungseffekt mehr gibt.
Konzeptuell ist das Format eine Mischung aus „Kinderquatsch mit Michael“ und „Das Supertalent“. Im Mittelpunkt stehen Kinder, die besonders gut singen oder tanzen können, ein Instrument tadellos beherrschen oder auch akrobatische Meisterleistungen vollführen können. Anders als in vergleichbaren Formaten steht allerdings nicht der Wettbewerb, sondern der Spaß im Vordergrund. Deshalb gibt es auch keine Jury, keine Bewertung und keine Konkurrenz.
Stattdessen soll es zu einem unterhaltsamen Zusammenspiel zwischen den Kindern und Thomas Gottschalk kommen, der die Kandidaten erst in der Show kennenlernt und von den Talenten genauso überrascht wird wie die Zuschauer. An der Leistung von Gottschalk gibt es nichts auszusetzen. Der ehemalige „Wetten, dass..?“-Moderator beherrscht die Rolle des sympathischen Quatsch-Onkels perfekt. Und auch die – teilweise etwas zu selbstbewussten – Kinder überzeugen mit ihren Talenten: Ceyda vollführt eine Kunstradperformance, Angelina singt „I Put A Spell On You“, Tibo kocht Insekten, Malaika tritt als Cheerleaderin auf und Jonas stellt seine Rechenkünste unter Beweis.
So weit, so gut – doch aufgrund der erschreckend stümperhaften Postproduktion fällt es schwer, sich auf die Show einzulassen, geschweige denn Spaß daran zu haben. Selbst Laien erkennen, dass sich kaum etwas genau so vor Ort bei der Aufzeichnung ereignet hat, wie es das zurechtgeschnittene Produkt suggeriert. An völlig unpassenden Stellen werden Lacher eingestreut und Publikumsappläuse reingeschnitten.
Wer in jüngerer Vergangenheit bei TV-Shows im Publikum saß, weiß, dass das sogenannte Warmup inzwischen weitestgehend zu einer Applaus-Aufzeichnungsorgie mutiert ist. Der Anheizer fordert die Zuschauer auf, in allen erdenklichen Variationen zu klatschen und zu johlen. Bei Comedyshows werden zusätzlich Lacher im Voraus aufgezeichnet, gerne mit Hilfe einer Sammlung an Pannenclips à la „Upps! Die Pannenshow“, die ohne Ton abgespielt werden, um das pure Gelächter des Publikums im Kasten zu haben. Bei Castingshows wie dem „Supertalent“ soll das Publikum auch noch Standing Ovations „üben“ oder schockiert gucken. All diese Szenen werden in der Postproduktion nach Lust und Laune an den gewünschten Stellen reingeschnitten – denn nichts ist für die Macher wichtiger, als bei den Zuschauern vor den TV-Bildschirm EMOTIONEN zu erzeugen, sei es auf noch so künstliche Art und Weise.
„Little Big Stars“ aus dem Hause Warner Bros. International Television Production Deutschland GmbH stellt diesbezüglich keine Ausnahme dar, sondern statuiert ein Exempel für komplett unauthentisches Fernsehen. Auf ähnliche Weise verhunzte die Produktionsfirma bereits „Tiere wie wir“ mit Jürgen von der Lippe vor zwei Jahren. Doch diese Unsitte ist firmen- und länderübergreifend. Das US-Vorbild „Little Big Shots“ mit Steve Harvey ist in dieser Hinsicht kaum besser. Dort fallen die Schnitte dank des ohnehin mehr zum Johlen neigenden US-Publikums nur etwas weniger auf.
Zu schade, dass ausgerechnet ein Live-TV-Profi wie Thomas Gottschalk hier zum Opfer eines besonders amateurhaften Schnitt-Machwerks wurde. Bedauerlicherweise geht der Trend allgemein weg von Live-Shows und immer mehr hin zu voraufgezeichneten Sendungen. Das wäre nicht weiter schlimm, wenn sich die Verantwortlichen wieder darauf besinnen würden, ehrliches Fernsehen zu machen und darauf verzichteten, Shows im Nachhinein bis zur Unkenntlichkeit „nachzubessern“.
Über den Autor
Glenn Riedmeier ist Jahrgang ’85 und gehört zu der Generation, die in ihrer Kindheit am Wochenende früh aufgestanden ist, um stundenlang die Cartoonblöcke der Privatsender zu gucken. „Bim Bam Bino“, „Vampy“ und der „Li-La-Launebär“ waren ständige Begleiter zwischen den „Schlümpfen“, „Familie Feuerstein“ und „Bugs Bunny“. Die Leidenschaft für animierte Serien ist bis heute erhalten geblieben, zusätzlich begeistert er sich für Gameshows wie z.B. „Ruck Zuck“ oder „Kaum zu glauben!“. Auch für Realityshows wie den Klassiker „Big Brother“ hat er eine Ader, doch am meisten schlägt sein Herz für Comedyformate wie „Die Harald Schmidt Show“ und „PussyTerror TV“, hält diesbezüglich aber auch die Augen in Österreich, Großbritannien und den Vereinigten Staaten offen. Im Serienbereich begeistern ihn Sitcomklassiker wie „Eine schrecklich nette Familie“ und „Roseanne“, aber auch schräge Mysteryserien wie „Twin Peaks“ und „Orphan Black“. Seit Anfang 2013 ist er bei fernsehserien.de vorrangig für den nationalen Bereich zuständig und schreibt News und TV-Kritiken, führt Interviews und veröffentlicht Specials.
Lieblingsserien: Twin Peaks, Roseanne, Gargoyles – Auf den Schwingen der Gerechtigkeit
Kommentare zu dieser Newsmeldung
Sveta am via tvforen.de
Habe mir die Show teilweise in der nächtlichen Wiederholung angeschaut und fand es nun nicht soooo schlecht, klar wirkte manches bei den Kindern auswendig gelernt und aufgesagt aber nicht störend viel und Thomas Gottschalk hat mir auch sehr gut gefallen.
Highlight war für mich die kleine Drummerin am Schluß!
Das in der Postprodukltion (Zitat:) "Publikumsappläuse reingeschnitten" (Zitat Ende) wurden habe ich erst jetzt gelesen... nun ja, manches war schon merkwürdig: Extrem störend und nicht nachvollziehbar war für mich z.B. das mehrmalige Klatschen während die beiden Kinder Piano spielten. Allerdings habe ich das dem verblödeten deutschen Publikum angelastet... man brauch' ja nur dreimal auf eine Trommel zu schlagen und schon fängt das Volk an rythmisch zu klatschen. Einige harte Schnitte gabs auch noch und hier und da eine Ungereimtheit (die Kinder fuhren nach dem Gespräch mit der Drehbühne nach hinten und tauchten sofort wieder umgezogen auf). Na ja.. und die "Appläuse" hätte man wie gesagt auch besser "reinschneiden" können ;-)BlackOak am via tvforen.de
Das mit dem Konservenapplaus ist mittlerweile die Regel...Wenn man mal drauf achtet, dauert dieser Applaus überwiegend zw. 13-15 Sekunden. Auch wenn der Applaus echt ist, leuchtet das Schild in dieser zeit auf. Nervend und störend...
DerKelte am via tvforen.de
Schon wieder ein neuer Thread und schon wieder wurden einige Sätze erneut hineinkopiert, damit wir es alle zum 3. Mal lesen können, dass die Sendung "eine Mischung aus 'Kinderquatsch mit Michael' und 'Das Supertalent'" sei... Herzlichen Glückwunsch zu dieser völlig ungeschnittenen, aber zusammengeschusterten Rezension, Herr Riedmeier;-)
Da hier so viel kopiert wird, tu ich es jetzt auch:
Ich finde die Sendung super! Keine Konkurrenz, keine Jury - einfach Kinder, die zeigen, was sie gerne tun und woran sie Spaß haben.
Die Sendung ist perfekt für Thomas Gottschalk. Die Kinder kamen neben ihm ausreichend zur Geltung - wahrscheinlich daher die vielen Schnitte;-)
Im Ernst:
Manche der Kinder waren erstaunlich forsch und zeigten Eigeninitiative in den Gesprächen auf dem Sofa. Das gab es bei den Kinderwetten in "Wetten, dass..?" zuletzt kaum. Wahrscheinlich, weil Gottschalk wegen der Live-Situation quasseln musste, wenn nicht sofort was von den Kindern kam.
So kommt die Aufzeichnung mit der Möglichkeit des Schnitts den "Little Big Stars" zugute: Man kann sich Zeit lassen, bis die Kinder auftauen, sie dann einfach reden lassen.
Gottschalk hat mit dieser Sendung bewiesen, dass er es noch kann!
Ich hoffe, das wird lange laufen.
Kelte