„The Walking Dead: Daryl Dixon“: Das bislang beste Spin-Off der Kultserie! – Review

Beliebteste Figur ringt im Schatten des Eiffelturms mit Zombies

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 19.09.2023, 17:30 Uhr

Wie ist er hier nur hingekommen? Daryl Dixon (Norman Reedus) kämpft sich durch die französische Provinz. – Bild: AMC
Wie ist er hier nur hingekommen? Daryl Dixon (Norman Reedus) kämpft sich durch die französische Provinz.

Angeschwemmt an fremde Gestade: Im Sechsteiler „Daryl Dixon“ wird eine der beliebtesten Figuren aus „The Walking Dead“ in eine völlig neue Umgebung versetzt. Im zweiten „nachgelieferten“ Spin-Off zur eingestellten Mutterserie verschlägt es den wortkargen Jäger ausgerechnet nach Frankreich. Dort bekommt es Norman Reedus, der seine ikonische Rolle wiederaufnimmt, mit Nonnen, wortwörtlich ätzenden Untoten und einer mysteriösen Organisation zu tun. Zudem muss er einen möglicherweise erlösungsbegabten Knaben quer durch Gallien eskortieren, ganz so, als wäre er the last of us. Die ersten beiden Folgen sind bei AMC schon gelaufen, und tatsächlich schaffen sie es, Fans den zuletzt etwas ins Wanken geratenen Glauben an das Walking-Dead-Franchise zurückzugeben.

Als Norman Reedus die Rolle des Daryl Dixon zu spielen begann, war er vierzig Jahre alt. Ab der zweiten Staffel von „The Walking Dead“ (TWD) gehörte er zum Kern-Cast im Zombie-Flaggschiff des Pay-TV-Kanals AMC. Der große, zentrale Star war er aber nie, selbst am Ende nicht, als Andrew Lincoln (Rick) schon ausgestiegen war. In Umfragen allerdings entpuppte sich Daryl Dixon regelmäßig als eine der beliebtesten Figuren der Serie. Inzwischen ist Reedus 54, doch seinen Daryl hat er natürlich immer noch drauf, samt Zottelhaar, zugekniffenen Augen und grummelig hervorgedrückten Dialogzeilen. Auch in einem ganz neuen Setting ändert sich daran nichts.

Nach Negan und Maggie, die es zuletzt in der ersten und leider etwas einfallslosen Post-TWD-Spin-Off-Serie „Dead City“ ins abgeriegelte und zünftig durchzombifizierte Manhattan verschlug (und noch bevor Rick und Michonne 2024 in „The Ones Who Live“ ihr eigenes Comeback feiern dürfen) hat nun also Reedus als Daryl Dixon sechs Episoden lang Zeit, endlich mal die erste Geige zu spielen. Allerdings stimmt selbst das nur teilweise, denn eigentlich war es geplant, ihm in der Serie seine beste Freundin Carol an die Seite zu stellen. Aus terminlich-organisatorischen Gründen, so heißt es offiziell, habe deren Darstellerin Melissa McBride aber absagen müssen, zumindest für die erste Staffel. Eine zweite Staffel wird derzeit schon gedreht – weshalb sie also später noch hinzustoßen könnte. Ersatzweise bekommt es Daryl nun jedoch erst einmal mit einem anderen weiblichen Sidekick zu tun: mit der Ordensschwester Isabelle, die ihm als Reisegefährtin die Last von den Schultern nimmt, seine eigene Serie allein tragen zu müssen. Klar: Ein Daryl Dixon drängt sich eben nicht vor.

Hofft auf Erlösung: Schwester Isabelle (Clémence Poésy) hat Schreckliches erlebt. AMC

Ganz zu Beginn der Serie, die Robert Kirkman, Autor der TWD-Comicvorlagen, mitproduziert hat, wird Daryl auf einem gekenterten Ruderboot in Südfrankreich an den Strand gespült, in Marseille. Europa, das stellt er schnell fest, hat kein gnädigeres Schicksal erlitten als die USA: überall Ruinen und menschenleere Straßen, hie und da Zombies. Wie genau es ihn aus der „Commonwealth“ in Ohio, wo er in der Mutterserie zuletzt lebte, ausgerechnet ins Mittelmeer verschlug, in post-apokalyptischen Zeiten ohne organisierte Seefahrt, das bleibt zumindest dem Publikum noch unbekannt – und dass der Schiffbrüchige auf seiner Irrfahrt irgendwie durch die Straße von Gibraltar gepaddelt sein muss, nehmen wir mal so hin. Von Marseille wandert er dann grob westwärts (und erkennbar ohne Navi) an Toulouse vorbei in Richtung Pyrenäen, nicht ohne zuvor noch einen pittoresken (und geografisch absurden) Schlenker nordwärts zu machen, zum berühmten Pont du Gard, den ebenfalls diverse Untote überschlurfen.

Irgendwann kommt Daryl in einem verfallenen Dorf an, wo er zwei Betrügern dabei helfen muss, mehrere Soldaten umzulegen – was sich später rächen wird. Er landet im nahegelegenen Kloster, wo ihn die erwähnte Nonne gesund pflegt. Gespielt wird Schwester Isabelle von Clémence Poésy, die den meisten wohl als Fleur Delacour aus „Harry Potter und der Feuerkelch“ bekannt sein dürfte, anderen eventuell aus „The Tunnel“ oder „Brügge sehen … und sterben?“. Spätestens in der zweiten Episode, in der in die Zeit des Virusausbruchs in Frankreich zurückgeblendet wird, zeigt sich, was für ein Glücksfall Poésy für die Serie ist: In nur wenigen Szenen, mit nuanciertem Spiel, zeigt sie Isabelle sowohl als depressives Partygirl im Paris anno 2010 als auch als energische Nonne der erzählten Jetztzeit. (Nach Betty Gilpin in „Mrs. Davis“ trumpft hier schon die zweite taffe Ordensfrau groß auf in diesem Serienjahr.)

Im Kloster kristallisiert sich schnell heraus, dass Isabelle und die anderen Schwestern Teil eines geistlich ausgerichteten Widerstandsnetzes sind, das sich „Union d’Espoir“ (Union der Hoffnung) nennt, den Wiederaufbau der durch die Zombieviruspandemie zerstörten menschlichen Welt plant und als Zentralgestalt dafür einen etwa zwölfjährigen Jungen ausgemacht hat. Dieser Laurent (Louis Puech Scigliuzzi) lebt derzeit noch im Kloster, soll aber baldmöglichst ins sogenannte „Nest“ überführt werden, eine Art Geheimzentrale der Union, in der der Junge in Sicherheit gebracht und zum Erlöser heranreifen soll. Am Ende der Pilotepisode hat Daryl Dixon also einen Auftrag, den er widerwillig zu erfüllen bereit ist: Er soll Isabelle und Laurent als Bodyguard gen Norden begleiten um im Gegenzug dann, sobald der Knabe abgeliefert ist, zum einzig noch funktionsfähigen Hafen der Normandie, in Le Havre, geleitet zu werden. Denn sein eigentliches Ziel bleibt natürlich die Rückkehr in die USA. Doch könnte er womöglich wirklich jener aus dem Meer sich erhebende „Botschafter“ sein, den Laurent vorhergesagt hatte und Isabelle in ihm erkannt haben will? Für Daryl Dixon, der mit Religion, Schicksal und Prophetentum nichts am Hut hat, ist das eine absurde Vorstellung. Den Job nimmt er trotzdem an.

Der kommende Heiland und sein Bodyguard: Laurent (Louis Puech Scigliuzzi, r.) wird von Daryl durch Frankreich eskortiert. AMC

Bevor sich die Reisegruppe auf den Weg machen kann, müssen noch die Antagonisten eingeführt werden. Das ist zunächst der knallharte Codron, ein kantschädeliger Militär, den Romain Levi so spielt wie aus einem Achtzigerjahre-Söldnerfilm importiert. Fälschlicherweise vermutet Codron als Mörder seines Bruders den Fremden Daryl, weshalb er seinen Trupp einen blutigen Angriff auf das Kloster verüben lässt. Daraus entsteht eine erste Actionsequenz, in der Daryl zeigen kann, dass er mit dem überwiegend altertümlichen Waffenarsenal des Klosters (Morgenstern, Schrotlinten, Flegel, auch eine antike Armbrust) umzugehen weiß. Im Epilog der ersten Folge tritt dann, in Le Havre, eine eiskalte Frau namens Genet (Anne Charrier) ins Bild, die ein erstes Licht ins Dunkel von Daryls Schiffsfahrt bringt – und fortan nach dem US-Amerikaner suchen lässt.

Das Eskortieren einer messianischen Gestalt quer durch ein von Zombies überlaufenes Land, das erinnert natürlich deutlich an einen anderen Stoff, der es als Videospielverfilmung Anfang dieses Jahres auf Anhieb auf die Pole Position des Postapokalypse-Genres geschafft hatte: „The Last of Us“, produziert von der Konkurrenz HBO, hat „The Walking Dead“ bei vielen als Goldstandard im Zombieserienwesen abgelöst. Inwiefern sich „Daryl Dixon“-Autor und -Showrunner David Zabel („Mercy Street“) davon tatsächlich hat inspirieren lassen, darüber kann man natürlich nur spekulieren, doch in den ersten beiden Episoden gibt es weitere Parallelen, darunter eine (von Daniel Percival stark inszenierte) Rückblende zum Abend des Pandemieausbruchs, an dem Isabelle durchs nächtliche Paris streift, wo sich das Chaos graduell steigert; oder auch die Geburt eines Babys durch eine Frau, die während der Niederkunft zur Untoten wird.

Zu vermuten steht aber, dass sich die Reise von Isabelle, Daryl, Laurent und der mitreisenden Schwester Sylvie (Laïka Blanc-Francard) nicht über die kompletten sechs Episoden erstrecken wird, dass das Road-Movie-hafte also nur einen Teil der Staffel in Anspruch nehmen wird. Bislang allerdings gestaltet sich genau diese Reise sehr unterhaltsam – wenn die Reisegruppe etwa auf eine abgeschottet lebende Kolonie von Kindern trifft, für die Daryl eine „Side Mission“ absolviert, bei der es aus einer nahen Schlossruine Medikamente zu entwenden und ein Burggraben voller Zombies zu überwinden gilt. Eine neue Variante von Zombie gibt es übrigens auch: Die heißen „Burner“ und haben ein derart säurehaltiges Blut, dass die Berührung damit zu sofortiger Verätzung führt.

Richtet selbst im heiligen Kloster ein Gemetzel an: Kantschädel Codron (Romain Levi) AMC

Insgesamt ist es eine schöne Abwechslung, die altbekannten TWD-Motive mal in einem gänzlich anderen Umfeld ausgespielt zu sehen, an Spielorten zumal, die tatsächlich auch nach dem aussehen, was sie zu zeigen vorgeben. Dies ist kein aseptisches Studio-Frankreich, sondern ein „echtes“ Frankreich, das gespenstisch entvölkert und verheert inszeniert wurde. Spätere Episoden sollen sich dann im zerstörten Paris abspielen, wo auch Adam Nagaitis (mutmaßlich als Unions-Kontaktmann) größere Auftritte haben dürfte. Bislang kam der Mann aus „The Terror“ und „Chernobyl“ nur in einem Flashback vor.

Zusammengehalten wird das alles durch die nicht nur eingefleischten Fans liebgewonnene Figur des Daryl Dixon, der das mit ihm an den europäischen Schauplatz verpflanzte Publikum als eine Art mies gelaunter Reiseleiter durch diese (TWD-)fremde Welt führt. Weil er in jeder Situation erst einmal feststellt, dass er ja kein Französisch könne, entpuppen sich alle französischen Charaktere stets als bestens des Englischen mächtig. Das Ausmaß des untertitelten Französisch hält sich also praktischerweise in Grenzen.

In einer der bislang schönsten Szenen nehmen die beiden Nonnen mit Daryl an einem Videoabend in der Kinder-Kolonie teil. Gezeigt wird dort – „Nano-nano!“ – eine Folge von „Mork vom Ork“. Während die Kinder die Dialoge, die sie offensichtlich auswendig können, weil sie gar keine anderen Videos zur Verfügung haben, im Kollektiv mitsprechen, fängt Daryl Dixon langsam an zu grinsen. Fast sieht der grimmige Mann mit der Armbrust in dieser Situation sogar glücklich aus. Mit ihm zusammen dürfte nun auch das Publikum grinsen – weil spätestens hier klar wird, dass sich das TWD-Franchise schon etwas länger nicht mehr so frisch anfühlte.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden Episoden von „The Walking Dead: Daryl Dixon“.

Meine Wertung: 3,5/​5

Die sechsteilige Auftaktstaffel von „The Walking Dead: Daryl DIxon“ wird aktuell in den USA bei AMC und dem Streamingdienst AMC+ veröffentlicht. Die Deutschlandpremiere wird beim Streaminganbieter MagentaTV stattfinden, der als Veröffentlichungstermin vage Ende 2023 in Aussicht gestellt hat.

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am

    Grausige Serie...nerviger Bengel, alle erkennen "den Amerikaner", alle sprechen seine Sprache..und er kommt er zuvor an die Südküste mit kleinem Boot, bei der Strömung in der Strasse von Gibraltar. 4 Folgen geschaut..und abgehakt.
    • am via tvforen.de

      Vorschusslorbeeren gab es schon oft, erstmal abwarten was am Ende wirklich daraus wird!
      • am

        Bei TWD bin ich nach Staffel 6 oder so ausgestiegen. Es war immer nur noch more of the same. Das hier sieht aus, als könnte man wieder einsteigen.
        • (geb. 1967) am

          Melissa McBride könnte dazu stoßen?? Nee, Sie ist ja inzwischen mit dabei! Auf Instagram gibt es schon zahlreiche Bilder, dass Sie inzwischen mittendrin ist bei den Dreharbeiten! Laut einiger Fans soll Sie wohl sogar zum Ende von Staffel 1 kurz auftauchen, eventuell schon in Folge 6?

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