„Parlament“: One-Serie als unterhaltsame Odyssee durch die EU-Bürokratie – Review

Internationale Koproduktion kann trotz vieler Stereotype überzeugen

Marcus Kirzynowski
Rezension von Marcus Kirzynowski – 19.10.2020, 18:00 Uhr

„Parlament“ – Bild: WDR/Joe Vets/France.tv
„Parlament“

Gesetze sind wie Würste, man sollte besser nicht dabei sein, wenn sie gemacht werden. Dieses Zitat, das angeblich von Otto von Bismarck stammt, könnte als Motto über der ersten Staffel von „Parlament“ stehen, der neuen Comedy-Serie über das Europäische Parlament. Denn durch alle zehn knapp halbstündigen Folgen der französisch-belgisch-deutschen Koproduktion, die bei uns auf One läuft, ziehen sich die Versuche verschiedenster Akteure, eine Gesetzesvorlage zu verändern, zu verwässern oder die Abstimmung darüber gleich ganz zu verhindern. Der Gegenstand der Vorlage ist dabei fast egal. Auch wenn es immerhin um die Rettung einer Tierart geht, wie der naive Neuling Samy immer wieder betont. Nur eben der des Hais, der sich leider keiner großen Beliebtheit unter den Wählern erfreut.

Aber der Reihe nach: Wir erkunden die verwirrende Welt des EU-Parlaments mit den Augen des jungen Samy (Xavier Lacaille), der eine Stelle als Assistent des französischen Abgeordneten Michel Specklin (Philippe Duquesne) antritt. Dabei stellt sich schnell heraus, dass Samy keine Ahnung von der Arbeitsweise der EU-Institutionen hat. Gleich an seinem ersten Arbeitstag wird ihm durch seine Naivität das Erstellen eines Änderungsantrags zu einer Verordnung aufs Auge gedrückt, die demnächst zur Abstimmung ansteht. Sein Chef wiederum entpuppt sich als ebenso fauler wie inkompetenter Abgeordneter, der sich bevorzugt in seinem Büro versteckt oder gleich die Flucht ergreift, sobald irgendjemand etwas von ihm will. So bleibt die Arbeit an Samy hängen, der mit Hilfe einiger junger Assistenten anderer Abgeordneter versucht, die Rituale und Tricks der Brüsseler Gesetzgebung zu durchdringen – und dabei ein ums andere Mal auf die Schnauze fällt. Doch er gibt nicht auf, hat er es sich doch schließlich zum Ziel gemacht, zumindest eine positive Änderung als Anhang der Fischereiverordnung durchzubringen: das Verbot, Haien die Rückenflossen abzuschneiden (das sogenannte Finning). Darin sieht er seine Chance, auch als kleiner Fisch im großen Parlamentstümpel einen Unterschied zu machen.

Samy (Xavier Lacaille, l.) und Michel (Philippe Duquesne) mit Besuchern des Europa Parlaments WDR/​Jo Voets

Auf dem Weg zur Abstimmung lauern jedoch immer wieder Hindernisse, die für Außenstehende kaum zu verstehen sind. Vor allem Lobbyisten und politische Berater, die durch warme Worte und das Verschleiern ihrer eigentlichen Interessen den naiven Samy beeinflussen. Als härteste Gegnerin erweist sich die deutsche Beraterin Ingeborg (Christiane Paul), eine ebenso emotions- wie skrupellose Powerfrau, die zudem die entstehende Freundschaft ihres Assistenten Torsten (Lucas Englander) mit Samy ausnutzt, um Letzteren von seinem Weg abzubringen, bis hin zu billigsten Tricks. Eine andere zentrale Beziehung ist die von Samy zu Rose (Liz Kingsman), die für die britische Pro-Brexit-Abgeordnete Sharon (Jane Turner) arbeitet. Rose ist eine typische Britin, sarkastisch und distanziert, entwickelt aber im Laufe der Folgen doch eine Zuneigung für den schnell verliebten tollpatschigen Samy. Aus den unterschiedlichen Temperamenten der Figuren aus verschiedenen Kulturen bezieht die Serie einen Großteil ihres Charmes. Insbesondere die Beziehung zwischen „Rose & Samy“ (der auch eine komplette Episode mit diesem Titel gewidmet ist), die immer einen Schritt vor, zwei Schritte zurück macht, sorgt in bester Screwball-Komödientradition für viel Spaß.

Samy (Xavier Lacaille, l.) und Toto (Lucas Englander) am Buffet WDR/​Jo Voets

Die Serie braucht allerdings einige Zeit, um richtig in Gang zu kommen. Wirken die ersten beiden Folgen noch reichlich klischeebeladen, wird die Charakterisierung der Hauptfiguren später differenzierter. Nationale Stereotype werden aber weiterhin reichlich bedient, manchmal mehr (die ständig zerstrittenen Katalanen und Rest-Spanier), manchmal weniger (die Besessenheit der Deutschen, sobald es Wurst gibt) gelungen. Für Lacher sorgt regelmäßig die britische Abgeordnete Sharon, die im Laufe ihrer Karriere von der gemäßigten Tory-Abgeordneten zum Brexiteer geworden ist und erst nach der gewonnenen Brexit-Abstimmung realisiert, dass sie sich damit selbst um Mandat und Zukunft gebracht hat. Die Zeit, bis der Austritt vollzogen wird, verbringt die überdrehte Britin hauptsächlich damit, wiederholt nach London zu fliegen und sich dort Aufführungen von „Cats“ anzusehen. Währenddessen weiß die orientierungslose Rose nicht, ob sie wirklich ins zerstrittene England zurückkehren und dort einen Job bei Facebook annehmen oder doch lieber in Brüssel bleiben soll.

Auf dem langen Weg von Samys Verordnungsvorlage durch die Mühlen der Parlamentsbürokratie wirkt die Europäische Union wie eine Mischung aus Kafkas „Schloss“ und einer deutschen Stadtverwaltung am Freitagnachmittag. Während den gewählten Politikern meist nur an ihren nationalen Interessen (und damit ihrer Wiederwahl) gelegen ist, Berater und Lobbyisten ihre eigenen Spiele spielen, versuchen die Beamten wie Eamon (William Nadylam), der Sekretär des Fischereiausschusses, als graue Eminenzen im Hintergrund die Regeln zu bewahren – und zwar deren Buchstaben und deren Geist, wie er einmal erklärt. Es sind Momente wie dieser, in denen die eigentliche, positive Haltung der Autoren um Noé Debré deutlich durchschimmert. Denn trotz aller Defizite der EU, den abstrus wirkenden Verfahren, der Kompromisssuche bis zur Verwässerung, ist dieses manchmal wie ein vielköpfiges Monstrum erscheinende Konstrukt doch immer noch viel besser, als wenn die Mitgliedsstaaten sich weiterhin mit Waffen bekriegen würden, wie in den Jahrhunderten davor.

Samy (Xavier Lacaille) vor dem Ausschuss WDR/​Jo Voets

Das gelingt der an Originalschauplätzen in den Brüsseler und Straßburger Parlamentsgebäuden gedrehten Serie, trotz einiger inhaltlicher Schwächen überzeugend und unterhaltsam zu vermitteln. Dabei sollte man sich unbedingt in der Mediathek die mehrsprachige Originalversion ansehen, in der hauptsächlich Französisch und Englisch mit den unterschiedlichsten Akzenten und nur ganz wenig Deutsch gesprochen wird. Denn auch dieses Sprachchaos macht die EU ja irgendwie aus, hat aber auch seinen eigenen Charme.

Dieser Text basiert auf Sichtung der kompletten ersten Staffel von „Parlament“.

Meine Wertung: 3,5/​5

Seit dem 6. Oktober wird die zehnteilige erste Staffel immer dienstags um 20:15 Uhr in Doppelfolgen bei One ausgestrahlt. Die komplette Staffel liegt bereits in der ARD Mediathek zum Abruf bereit.

Über den Autor

Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit „Ein Colt für alle Fälle“, „Dallas“ und „L.A. Law“ auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für fernsehserien.de und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.

Lieblingsserien: Six Feet Under, Emergency Room, The West Wing

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • (geb. 1962) am

    Meine aktuelle favorite-Serie, obwohl ich eigentlich gar keine Serienguckerin bin. Schade dass die 10 Folgen schon vorbei sind, es lohnt sich aber, sie auf Mediathek ein zweites Mal anzuschauen, die Staccato-Folge an Wortwitz, Situationskomik und Anspielungen kann man beim ersten Mal ohnehin nicht vollständig erfassen. Samy kommt als Assistent nach Brüssel ins Europäische Parlament. Er findet sich in einer vollkommen absurden, desorganisierten undurchschaubaren Welt wieder, konfrontiert mit unlösbaren Aufgaben und offenbar intriganten Mitmenschen. Und TROTZDEM inmitten dieser verrückten welt entstehen doch langsam Pflänzchen wie Freundschaft, Zuneigung, Zielorientierung und sogar Gelingen. Es ist zum Piepen komisch, voller intereuropäischer Klischees Wir Deutschen werden durch Ingeborg verkörpert, Inbegriff einer kompromisslos zielstrebigen und machtorientierten Manipulatorin, super gespielt von Christiane Paul, aber auch alle anderen kriegen ihr Fett weg. Wenn ich Abstand zum Alltags-Chaos brauche und Versöhnung damit, schaue ich immer eine Folge Parlament, halbes Stündchen. Zum Schlapplachen! Danach geht's mir besser...
    😊🍂🌤️
    • (geb. 1978) am

      Ich habe 5 Minuten von dieser Serie gesehen und fand sie sowohl unlustig als auch kulturell äußert fragwürdig. Ich zitiere mal aus dem Gedächtnis "Da drüben sitzen die Rechtsradikalen. Die sehen aus, als kämen sie von einem Jagdausflug in Bayern". Wie bitte? So einen Spruch sollten wir uns mal gegenüber anderen Nationen erlauben!
      • am

        Nicht jeder versteht die div.EU Amtssprachen und man sollte darauf hinweisen, dass es nur deutsche Untertitel gibt, die von Seiten der Sendeanstalt damit argumentiert werden, dass man die Charakterisierung der Sprachenvielfalt und der damit einhergehenden Missverständnisse unterstreichen wollte. Leider ist das völlig misslungen, denn die Untertitel sind wie meistens zu klein, werden viel zu rasch wieder ausgeblendet und vor allem wird übersehen, dass bei der Verwendung von Untertiteln die man als Zuseher lesen muss, die nonverbale Kommunikation durch die Mimik und Gestik leider mehr oder weniger verloren geht. Man kann lesen oder sehen, aber nicht beides gleichzeitig. Es ist sehr anstrengend ständig mitlesen zu müssen auch wenn die einzelne Folge nur knapp 30 Minuten dauert und verfehlt völlig die Vorgabe des barrierefreien Sehens.
        Für mich ein typischer Fall von gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht.

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