„Marie Antoinette“: Nichts für „Bridgerton“-Fans! – Review

Historisches Drama mit einigen Schwächen und wenig Biss

Rezension von R.L. Bonin – 26.06.2023, 17:30 Uhr

Emilia Schüle in der Titelrolle von „Marie Antoinette“ – Bild: Canal+
Emilia Schüle in der Titelrolle von „Marie Antoinette“

„Marie Antoinette“ – ein Name, den jeder zumindest einmal gehört hat. Für manche schwingt auch ein gewisses, kontroverses Bild mit oder gar ein berühmter Satz um Brot und Kuchen. Unter Historikern scheiden sich die Geister über die „letzte Königin Frankreichs“, die für ihre verschwenderische Lebensweise bekannt war. Nun ist seit dem 21. Juni 2023 eine neue Interpretation ihrer Lebensgeschichte auf Disney+ zu sehen. Wird die britisch-französische Koproduktion einer so umstrittenen und bedeutsamen historischen Figur gerecht?

Marie Antoinette wurde 1755 als Tochter von Kaiser Franz I. von Lothringen und Maria Theresia von Österreich geboren. Mit nur vierzehn Jahren heiratete sie den späteren französischen König Ludwig XVI. – selbst nur fünfzehn Jahre jung. 1793 wurde Marie Antoinette schließlich während der Französischen Revolution hingerichtet. Schon während ihrer Zeit am Hof von Versailles standen ihr Auftreten und ihr Verhalten als Königin stark in Kritik. Historiker streiten sich, ob es an den schweren Bedingungen lag oder an ihrem Charakter. Für Film- und Serienmacher natürlich ein gefundenes Fressen: Wie wurde Marie Antoinette zur wohl berühmt-berüchtigtsten Königin Frankreichs?

Eine Antwort bietet möglicherweise das historische Drama „Marie Antoinette“, eine Koproduktion von Canal+ und BBC, in der zu Beginn vor allem die jungen Jahre der Dauphine porträtiert werden, der designierten Königin. So beschäftigt sich der Großteil der Pilotfolge mit der Ankunft der österreichischen Erzherzogin (Emilia Schüle) in Versailles und ihrer darauffolgenden Hochzeit mit dem Dauphinfranzösischer Erbprinz – Louis (Louis Cunningham). 2023 eine Serie über das Leben einer Frau im 18. Jahrhundert zu schreiben, ist tatsächlich keine einfache Unternehmung. Wer hier eine heitere, wenn auch kitschige, romantische Story à la „Bridgerton“ erwartet, ist definitiv falsch. Die Figur Marie Antoinette mag zwar als zartes, unschuldiges Gemüt herüberkommen, doch die Serie ist nichts für schwache Nerven.

Emilia Schüle als „Marie Antoinette“ Caroline Dubois/​Banijay Studios France

Es ist herzzerreißend, zuzusehen, wie der Hof und die Königsfamilie mit der jungen Österreicherin umgehen: Sie ist nicht nur ein Objekt, sondern schlimmer noch, ein Instrument, eine Puppe, die als Spielfigur in einem politischen Machtspiel missbraucht wird. Dies wird vor allem in Szenen deutlich, die handlungstechnisch zwar keine Relevanz haben, aber dafür umso plakativer Marie Antoinettes Leiden offenlegen: Zum Beispiel als die Bettlaken so fest um sie gespannt werden, dass sie keinerlei Bewegungsfreiheit mehr hat.

Interessant ist, dass dies wohl nicht nur auf Marie Antoinette zutrifft: Auch der Dauphin wird alles andere als königlich behandelt, um ihn auf die Eheschließung vorzubereiten. Wie ein Tier wird er gejagt und durch die Gegend gerissen, wie ein Teller grob sauber geschrubbt. Dennoch wird bei ihm vor der Hochzeitsnacht laut herumgespaßt, während in Marie Antoinettes Quartier lediglich Angst und Schrecken herrschen. Diese beziehen sich aber offensichtlich nicht auf den anstehenden, eigentlichen Geschlechtsakt – im Gegenteil, Schüles Mimik ist eher als Vorfreude zu verstehen. Auch dass sie kurz davor den Rat bei der erfahrenen Maîtresse des Königs (Gaia Weiss) zur Kunst der Verführung sucht, unterstreicht die moderne Darstellung von Marie Antoinette als junge Frau, die sich trotz ihres Unwissens nicht vor Sex schämt oder ihn fürchtet.

Stattdessen ist es vielmehr die damit einhergehende Verantwortung, die Marie Antoinette bis ins Mark erschüttert, denn: Der einzige Grund für diese Ehe, überhaupt ihre ganze Existenzberechtigung, besteht darin, einen Erben zu „produzieren“. Dies wird vor allem in der schrecklichen Hochzeitsnacht klar, als die Mitglieder des Hofs zusehen, wie sich die frisch Vermählten ausziehen, um nackt ins Ehebett zu steigen – nur um sich daraufhin hinter jeder Tür und jedem Schlüsselloch zu verstecken und den „Produktionsprozess“ zu bezeugen. Die Ehe, und vor allem die „Produktion“ eines Erben, ist hier ganz klar ein Geschäft, eine Klausel in einem politischen Vertrag, der Frankreich und Österreichs Allianz stärken soll.

So droht die politische Lage auch schnell zu eskalieren, als eben diese Klausel nicht zur Erfüllung kommt. Zum einen ist Marie Antoinette zum Zeitpunkt der Eheschließung gar nicht gebärfähig, zum anderen rennt ihr Gatte wie ein verängstigtes Kind jedes Mal davon, sobald sich nur ihre Blicke kreuzen. Kein Wunder, schließlich sind sie beide auch quasi noch Kinder, was Emilia Schüle mit ihrer jugendlichen Verspieltheit und Louis Cunningham mit seiner ernsten Schüchternheit hervorragend vermitteln.

Louis XVI (Louis Cunningham, l.) mit Marie Antoinette (Emilia Schüle) in „Marie Antoinette“ Caroline Dubois/​Banijay Studios France

Leider lassen die Schwächen der Serie die Stärken rasch verblassen. Einerseits beeindrucken die pompösen Kostüme und die versaillesesquen Schauplätze. Andererseits passen viele (Kraft-)Ausdrücke à la „Oopsie“, „Bitch“, „Fuck“ und Co. oder gar Gesten (Mittelfinger) überhaupt nicht ins Bild. Wer die Serie in ihrer Originalsprache sehen möchte, sollte sich auf einen irritierenden Mischmasch der Sprachen gefasst machen. So spricht die französische Königsfamilie akzentfreies, britisches Englisch und – zumindest in den ersten zwei Folgen – bis auf lächerliche Begrifflichkeiten wie „Papa Roi“ und „Monsieur“ kein Wort Französisch! Für eine Serie, die in Frankreich spielt, von französischer Geschichte handelt und darüber hinaus von Canal+ koproduziert wurde, ist das absolut unverständlich.

Wer nun hofft, dass zumindest die Machart beeindruckt, wird enttäuscht. Nur wenige, einzelne Szenen stechen visuell heraus, so auch die Nahaufnahme der zittrigen Hände bei der Eheschließung. Ansonsten hebt sich „Marie Antoinette“ nicht sonderlich von der Masse ab. Auch die musikalischen Akzente wirken oft überdramatisiert und fehl am Platz – einige Momente hätten sicher an Tragweite und emotionaler Relevanz gewonnen, hätte man den Verzicht der Übertreibung vorgezogen.

Dies scheint auch insgesamt auf die Serie zuzutreffen: Anstatt manches im Subtext oder schlichtweg unausgesprochen zu lassen, wird es teilweise zu explizit – und dadurch höchst unangenehm. So auch die äußerst geschmacklose Szene zum Fremdschämen, in der „Papa Roi“ (James Purefoy) einen demütigenden Vergleich zwischen einer Tomate und weiblichen Geschlechtsorganen zieht. Ganz davon abgesehen, dass sein Interesse daran, den „Job“ der Erbenproduktion anstelle seines Sohns zu erledigen, pädophilen Neigungen entspricht, die nicht sonderlich reflektiert werden.

„Papa Roi“ (James Purefoy, r.) mit seiner Maîtresse Madame du Barry (Gaia Weiss) in „Marie Antoinette“ Caroline Dubois/​Banijay Studios France

Darüber hinaus ist auch die Figur der Maîtresse, Madame du Barry, hervorzuheben. Die Macht, die sie vor allem in der zweiten Folge demonstriert, mag auf den ersten Blick modern, gar feministisch wirken. Doch das Bild trügt, wenn man bedenkt, dass diese lediglich ihrer Rolle als sexuelle Befriedigungsmaschine des Königs entspringt. So dreht sich schnell alles nur noch um Sex und Macht am Hof von Versailles: Was als historische Darstellung Marie Antoinettes junger, prägender Jahre beginnt, wird zu einem Zickenkrieg à la High School-Drama, in der sich das prüde Mädchen und das „It“-Girl um den ersten Platz in der Beliebtheitsskala streiten.

So entsteht nach den ersten beiden Folgen ein ernüchterndes Gesamtbild. Deborah Davis’ Serie gelingt es zwar, Marie Antoinette als Jugendliche zu porträtieren, die gezwungenermaßen in die gefährlichen Machtspielchen der Königsfamilie hineingerät – vor allem dank Emilia Schüles großartiger Darstellung. Doch das Prinzip „Will they, won’t they zwischen dem Teenager-Ehepaar, das „Bridgerton“-Fans bekannt sein sollte, geht nicht auf: Dafür fehlt es an Humor und Leichtigkeit. Genauso wie Marie Antoinette und Prinzessin Lamballe (Jasmine Blackborow) in einer Szene gelangweilt Fliegen am Fenster beobachten, bietet auch „Marie Antoinette“ keinen wirklichen Unterhaltungs-, und dadurch Mehrwert, nicht zuletzt aufgrund der doch auch spärlichen Originalität. Hierzu lässt sich wohl nur sagen: Quel dommage!

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden Episoden der Serie „Marie Antoinette“.

Meine Wertung: 2/​5

Die englisch-französische Serie „Marie Antoinette“ wurde Ende 2022 sowohl in Frankreich als auch in Großbritannien erstausgestrahlt. Die Deutschlandpremiere fand am 21. Juni 2023 auf Disney+ statt. Dort ist die erste Staffel mit insgesamt acht Folgen zum Streaming verfügbar. Eine zweite Staffel wurde bereits bestellt.

Über die Autorin

Originalität – das macht für R.L. Bonin eine Serie zu einem unvergesslichen Erlebnis. Schon als Kind entdeckte die Autorin ihre Leidenschaft für das Fernsehen. Über die Jahre eroberten unzählige Serien unterschiedlichster Genres Folge für Folge, Staffel für Staffel ihr Herz. Sie würde keine Sekunde zögern, mit Dr. Dr. Sheldon Cooper über den besten Superhelden im MCU zu diskutieren, an der Seite von Barry Allen um die Welt zu rennen oder in Hawkins Monster zu bekämpfen. Das inspirierte sie wohl auch, beruflich den Weg in Richtung Drehbuch und Text einzuschlagen. Seit 2023 unterstützt sie die Redaktion mit der Erstellung von Serienkritiken. Besonders Wert legt sie auf ausgeklügelte Dialoge, zeitgemäße Diversity und unvorhersehbare Charaktere.

Lieblingsserien: Lost in Space, Supergirl, Moon Knight

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • (geb. 1978) am

    Danke RLB für die erfrischende Erwartungshaltung an ein halbwegs korrektes Geschichtsdrama. Diese Hoffnung habe ich nach Serien wie "The Serpent" oder " The Great" längst aufgegeben. Gott bewahre, dass man aus einer historischen Serie etwas lernen könnte!
    Wenn man eine wenig beleuchtete Periode ihres Lebens hätte betrachten wollen, hätte man die ersten Jahre ihrer Mutterschaft wählen können. Der Tod ihres erstgeborenen Sohnes, die Sehnsucht nach einer Art Privatsspähre, wie sie sie von zu Hause kannte. In Versailles waren selbst Geburten öffentlich. Die "Jugendjahre" hat Sophia Coppola schon weidlich ausgeschlachtet, ohne etwas Überraschendes zutage gefördert zu haben.
    Wer Freude an bissigen Kritiken hat, kann mal bei Frock Flicks reinschauen. Die analysieren Kosteüme und Frisuren bis ins Kleinste: https://www.frockflicks.com/?s=Marie+antoinette
    James Purefoy hin oder her. Reingucken kommt nicht in Frage.
    • am

      Gähn, werten wir diesen Kommentar mal eher als einen Sack Reis, als den Flügelschlag eines Schmetterlings.
      Wer eine U-Serie schaut, darf keine Doku erwarten, soviel sollte jeder im aktuellen Unterhaltungssektor wandelnde User heutzutage halbwegs hinbekommen.
      Anyway, Ramsch scheint die Serie dennoch zu sein, aber wer sowas mag…

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