„Das Buch von Boba Fett“: Ein Haudegen im Heilbad – Review

Auftakt zu neuer „Star Wars“-Serie ist ordentlich, erreicht aber (noch) kein „Mandalorian“-Niveau

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 30.12.2021, 00:27 Uhr

Der Kopfgeldjäger und seine Killerin: Boba Fett (Temuera Morrison) und Fennec Shand (Ming-Na Wen) auf Tatooine. – Bild: Disney+
Der Kopfgeldjäger und seine Killerin: Boba Fett (Temuera Morrison) und Fennec Shand (Ming-Na Wen) auf Tatooine.

In der zweiten Staffel des Space-Westerns „The Mandalorian“ kehrte er letztes Jahr zurück, jetzt hat der Lieblingskopfgeldjäger aller „Star Wars“-Fans endlich seine eigene Serie auf Disney+. Die nur 38 Minuten kurze Auftaktfolge von „Star Wars: Das Buch von Boba Fett“ lässt noch nicht allzu tief blicken in das, was da womöglich noch kommen mag, sie verspricht allerdings ein mindestens solides Abenteuer – mit dem für derlei Franchise-Expansionskost mittlerweile üblichen Maß an Fanservice.

Boba Fett, der Kopfgeldjäger mit dem ikonischen Helm und dem olivgrünen Brustpanzer, durch nur wenige Szenen in „Das Imperium schlägt zurück“ (1980) und „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ (1983) zur Kultfigur geworden, sollte schon lange mit einem eigenen Projekt gewürdigt werden. Ursprünglich war ein Solo-Film als „A Star Wars Story“ à la „Rogue One“ angedacht, nach dem Flop von „Solo“ schwenkte Disney dann aber auf Serie um. Geradezu heimlich wurde „Das Buch von Boba Fett“ schließlich produziert, selbst Mitwirkende dachten zunächst noch, sich in der Produktion der dritten Staffel von „The Mandalorian“ zu befinden.

In „The Mandalorian“, der rundum geglückten ersten nicht-animierten „Star Wars“-Serie auf dem Disney-eigenen Streamingdienst, war Boba Fett zunächst mehrfach angeteasert worden, ehe er dann in den letzten drei Folgen der zweiten Staffel so richtig mitmischen durfte. Verkörpert wurde er vom Maori-Schauspieler Temuera Morrison, der bereits 2002, in „Angriff der Klonkrieger“ aus George Lucas’ Prequel-Trilogie, Jango Fett spielte, jenen Kopfgeldjäger, der sein Äußeres als Kopiervorlage für die Klon-Soldaten der Galaktischen Republik hergegeben hatte und einen dieser Klone wie seinen eigenen Sohn aufzog: Boba. Es ist eines der wenigen Dinge, die über Boba Fett bis dato bekannt waren. Später in jenem Film musste Boba, immer noch Kind, den Tod seines „Vaters“ mitansehen. Psychologisierend wurde dieses Trauma später in diversen Episoden der Animationsserie „Star Wars: The Clone Wars“ verhandelt, eine leicht monokausale origin story der Sorte Wie er zu dem wurde, was er ist.

Ein traditionell finsterer Ort: Fennec und Boba auf dem Thron von Jabba dem Hutten. Disney+

Für „Star Wars“-Fans wurde Boba Fett 1983 im Kino vor allem ein Fraß des gigantischen Tentakelwesens Sarlacc, in dessen Schlund der wortkarge Kopfgeldjäger nach einem Schuss von Han Solo stürzte. Gestorben auf Tatooine also? Offenbar nicht. Wie er nun in „The Mandalorian“ wieder auftauchen konnte, vernarbt zwar und etwas ältlich, das wurde in jener Serie bereits erklärt. In „Das Buch von Boba Fett“ bekommt man es nun auch zu sehen.

Denn auch diese neue „Star Wars“-Lieferung spielt mal wieder auf dem Wüstenplaneten Tatooine, auf dem einst Obi-Wan Kenobi sein Eremitendasein fristete und Luke Skywalker seine Kindheit verlebte. Die Galaxis ist zwar unendlich groß, doch das Wesentliche spielt sich eben doch, und sei’s aus Nostalgiegründen, meist immer am gleichen Ort ab. Die erste Folge (wie die ganze Serie konzipiert von „Mandalorian“-Erfinder Jon Favreau) fährt konsequent zweigleisig: Im Jetzt der Erzählzeit knüpft sie an die finale Szene aus dem letzten Staffelfinale von „The Mandalorian“ an, in der Boba Fett zusammen mit der Söldnerin Fennec Shand den Thron von Jabba dem Hutten nahe der Kraterstadt Mos Espa bestieg.

In wenigen Szenen erfährt man nun, wie Boba als neuer „Daimyo“ lieber durch Respekt als durch Angsterzeugung regieren möchte. In den Rückblenden der zweiten Erzählebene wird währenddessen die Leerstelle gefüllt, die die Filme gelassen hatten: wie Boba dem Sarlacc entkommen konnte, wie er von den Jawa ausgeraubt und vom Sandvolk der Tusken-Räuber gefangengenommen wird, wie er schließlich nach zwischenzeitlicher Flucht deren Respekt erobern konnte.

Temuera Morrison („Die letzte Kriegerin“) und Ming-Na Wen („Agents of S.H.I.E.L.D.“, „Street Fighter“) nehmen ihre Rollen aus „The Mandalorian“ wieder auf, und es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass mit dem Neuseeländer Morrison und der aus Macau stammenden Wen nicht nur ein Maori und eine Asiatin das zentrale Duo einer „Star Wars“-Produktion bilden, bemerkenswert genug, sondern dass hier zudem, in den Hauptrollen wohlgemerkt, eine nicht nur für Disney ungewöhnliche Abkehr vom Primat der Jugend zu besichtigen ist: Morrison ist 61, Wen 58 Jahre alt. Im deutschen Fernsehen beispielsweise bevölkert diese Alterskohorte längst Forsthaus-Schnulzen und Schwiegervati-Possen. Auch wenn man derzeit noch nicht allzu viel sagen kann über diese Serie und zudem die beiden Stars noch nicht viel gemeinsame screen time hatten, so ist schon klar ersichtlich, dass die Chemie stimmt und man sich die zwei sofort als Protagonistenduo vorstellen kann. In „The Mandalorian“ wurde schon erwähnt, wie Boba und Fennec zusammengefunden hatten; zu erwarten ist, dass das hier via Flashback szenisch nachgeliefert wird.

Zahlt Schutzgeld für ihre Cantina: Garsa Fwip (Jennifer Beals). Disney+

Generell bleiben in der ersten Episode die Flashback-Szenen mehr in Erinnerung als die Jetztzeit-Sequenzen. Das liegt vielleicht daran, dass sie (Archivaufnahmen aus „Angriff der Klonkrieger“ inklusive) besonders viel „Star Wars“-Nostalgie aufkommen lassen und dann auch noch mit einem einigermaßen depperten, dennoch liebevoll gemachten Actionhöhepunkt aufwarten: Gegen Schluss der knappen Pilotfolge erhebt sich ein digital animiertes, trotzdem irritierend nach Mann im Gummikostüm aussehendes Sandmonster aus der „Dune“-haften Wüste, um von Boba kühn besprungen und zu Tode gewürgt zu werden. Puppenstube trifft Blockbuster: Würde Morrison das nur minimal weniger von seiner Figur überzeugt spielen, fiele das Ganze sofort als komplett lächerlich auseinander. So aber wird es all jene erfreuen, die Lust auf den alten „Star Wars“-Zauber haben, ohne sich um so etwas Schnödes wie Logik und vergleichbare Lästigkeiten kümmern zu wollen. Wie Boba da zeitweise mit einem glubschgesichtigen Rodianer und einem Massiff (fieses Hundereptil) durch die Sandweite strolcht, das atmet durchaus den alten George-Lucas-Geist.

In der Jetztzeit geben sich derweil prominente Gastdarsteller die Klinke in die Hand: Jennifer Beals („Flashdance“, „The L Word“) gibt mit schön fleischigen Twi’lek-Hörnern die Wirtin einer Space Cantina, David Pasquesi („Lodge 49“) den öligen Majordomus des Bürgermeisters, der den Antrittsbesuch bei Jabba-Nachfolger Boba verweigert, und niemand Geringerer als „What We Do in the Shadows“-Vampir Matt Berry leiht Bobas Folter-Roboter die Stimme, der es sehr bedauert, dass Boba ausgerechnet vom Foltern nicht so viel hält.

Ist Boba also ein korrekter Typ? Könnte man fast meinen nach dieser ersten Episode, in der Boba Fett als zwar mit allen Wassern gewaschener, in Notsituationen findiger Haudegen rüberkommt, aber immer vor allem Respekt erringen möchte – den Respekt der Tusken-Räuber, den Respekt der Bürger von Mos Espa. Vom gnadenlosen Kopfgeldjäger, der damals gegen die „Guten“ um Han Solo, Luke und Leia kämpfte, ist in dieser Version wenig zu sehen. Aber vielleicht geht es Favreau gerade darum in seinem „Buch von Boba Fett“: um die zugrunde liegende Menschlichkeit dieses als so brutal und rachsüchtig bekannten Kult-Klons? Nicht umsonst sehen wir ihn zunächst in einem heilenden Bacta-Bad liegen, in das er nach jedem Kampf sofort zurückkehren muss. Boba Fett, ein Fall für die Reha? Er ist ein Versehrter, so viel steht fest, am Körper und an der Seele. Diese Träume sind wieder da, sagt er später einmal zu Fennec. Sein Blick spricht Bände.

Spielte 2002 noch Jango Fett, jetzt seinen Klon-Sohn Boba: Temuera Morrison. Disney+

Worauf das am Ende hinauslaufen wird, ist nach diesem kurzen Auftakt logischerweise nicht absehbar. Für die Pilotepisode, deren Abspann bereits nach 35 Minuten beginnt, kann einstweilen festgehalten werden: Das Tempo ist trotz der kurzen Spieldauer gemächlich, neben der erwähnten Sandmonsternummer gibt es nur eine weitere Actionszene, in der Boba und Fennec gegen eine Horde bordeauxroter Ninja-Assassinen kämpfen müssen, die sie auf den Straßen von Mos Espa attackiert. Eine ordentliche, aber auch nicht übermäßig aufsehenerregende Sequenz. Überhaupt erkennt man die Handschrift von „From Dusk Till Dawn“-Regisseur Robert Rodriguez, der auch noch weitere Episoden inszeniert hat, nicht wirklich wieder. Er stellt sich ganz in den Dienst der Sache, beschwört „Star Wars“-Atmo herauf, liefert Fanservice, indem er lauter bekannte Details der Saga (wie die Band in der Cantina) wiederaufnimmt und kanonisierte Alien-Spezies wie die schweinegleichen Gamorreaner oder Tiere wie die pelzig-mammutgleichen Banthas aufmarschieren lässt.

Das ist alles sehr nett, sorgt allerdings bei all jenen, die mehr erwartet haben als das wohlig-safe Suhlen im Altbekannten, durchaus für Sorgenfalten. „The Mandalorian“ nutzte vor zwei Jahren die Pilotepisode dazu, das Space-Western-Motiv eigenständig zu besetzen und dabei nicht nur eine völlig neue Hauptfigur zu etablieren, sondern – in einem Twist am Schluss – noch eine Instant-Ikone in die Popkultur zu zimmern: Baby-Yoda alias Grogu. Davon ist „Das Buch von Boba Fett“ ein ziemlich großes Stück entfernt: Es gibt keinen Twist, keine große Enthüllung, nichts, was man großartig spoilern könnte und auch sonst nichts, was einem irgendwie außergewöhnlich vorkommen würde. Vielleicht kommt das noch. Vielleicht auch nicht. Bisher jedenfalls ist das, was man sieht, vor allem eines: okay. Was angesichts der Erwartungshaltung sicher zu wenig wäre. Dennoch: Die Wertung unter diesem Text ist unbedingt als vorläufig zu verstehen.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der Pilotepisode der Serie „Das Buch von Boba Fett“.

Meine Wertung: 3/​5

Disney+ veröffentlicht die siebenteilige erste Staffel von „Das Buch von Boba Fett“ seit dem 29. Dezember mit wöchentlichen Episoden.

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am

    Mir gefiel der Auftakt ganz gut.
    Sicher ist da noch viel Potenzial nach oben aber schon ganz gut.
    Knackpunkt ist aber die Folgenanzahl und die reine Netto Folgen Länge von 30 Min.
    Das ist echt ein Graus.

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