„Babylon Berlin“: Prestigeprojekt mit überzeugender Inszenierung bleibt doch „typisch deutsch“ – Review
38-Millionen-Projekt überzeugt technisch, Handlung kommt nur schwer in Fahrt
Rezension von Marcus Kirzynowski – 12.10.2017, 17:00 Uhr
1929. Berlin tanzt auf dem Vulkan. Während sich kommunistische Arbeiter am 1. Mai Straßenschlachten mit der Polizei liefern und ein gewisser Adolf Hitler an seinen Plänen arbeitet, an die Macht zu kommen, erreicht die Arbeitslosigkeit ungeahnte Höhen und die Weltwirtschaftskrise steht kurz bevor. Trotzdem – oder gerade deswegen – trifft sich die Jugend der Stadt nachts in undergroundigen Clubs und Tanzlokalen, die heute Friedrichshain oder dem Prenzlauer Berg alle Ehre machen würden. Dort zucken und zappeln die jungen Leute zur Live-Performance einer russischen Sängerin („Zu Asche, zu Staub, aber noch nicht jetzt“), die als Mann verkleidet ist und von einem Ensemble halbnackter Tänzerinnen in Bananenröckchen begleitet wird – der neueste Szenetanz erinnert eher an einen epileptischen Anfall als an die braven Gesellschaftstänze der Eltern.
In dieser langen Szene im letzten Drittel der zweiten Folge findet „Babylon Berlin“ erstmals zu sich selbst und aus dem Mittelmaß deutscher Serienunterhaltung hinaus. Da die ersten beiden Episoden eigentlich eine Doppelfolge bilden, sind zu diesem Zeitpunkt allerdings schon 75 Minuten vergangen. Und die sind dann leider doch behäbiger ausgefallen, als man es sich bei einem mit solch großen Vorschusslorbeeren bedachten Werk gewünscht hätte.
„Babylon Berlin“ ist vielleicht das größte Prestigeprojekt des deutschen Fernsehens im fiktionalen Bereich seit „Das Boot“. Zum ersten Mal haben sich ein Bezahlsender (Sky) und ein öffentlich-rechtliches Programm (DasErste) zusammengetan, um gemeinsam das höchste Budget zu stemmen, das es bislang für eine deutsche Serie gegeben hat: rund 38 Millionen Euro. Dafür sind 16 Folgen à 45 Minuten entstanden, die in zwei Staffeln zuerst bei Sky und jeweils ein Jahr später dann im Free-TV der ARD zu sehen sein sollen. Als Serienschöpfer, gemeinsame Drehbuchautoren (nach der Romanvorlage „Der nasse Fisch“ von Volker Kutscher) und Regisseure aller Episoden fungieren Tom Tykwer – einer der wohl auch international bekanntesten deutschen Kinoregisseure der Gegenwart – und seine etwa gleichalten Kollegen Henk Handloegten („Liegen lernen“) und Achim von Borries („Was nützt die Liebe in Gedanken“). Insgesamt 4 ½ Jahre dauerte die Arbeit an diesem Mammutprojekt, von dem sich nicht wenige TV-Macher und -Kritiker im Vorfeld die Rettung der deutschen Serie erwarteten.
Auf inhaltlicher Ebene dauert es wie gesagt bis 15 Minuten vor Schluss der ersten Doppelfolge, bis sich das angestrebte Sittenbild und Gesellschaftspanorama dieser aufregenden Zeit zu entfalten beginnt. Nach der Gesangs- und Tanzszene in dem Nachtclub folgt noch eine großartige Parallelmontage, die zum einen in die Kellergewölbe führt, in denen reiche Berliner ihre sadomasochistischen Neigungen ausleben. Zum anderen wird das brutale Vorgehen des sowjetischen Geheimdienstes gegen eine trotzkistische Untergrundgruppe gegengeschnitten, die daran arbeitet, den verbannten kommunistischen Führer aus Istanbul zurückzuholen. Diese lange Montagesequenz erinnert an die Staffelfinale vieler großer US-Serien und verdeutlicht, ganz ohne Worte, den Wahnsinn dieser Zeit. Davon möchte man gerne mehr sehen.
Der ganz große Wurf ist Babylon Berlin zumindest in den ersten vier Folgen noch nicht. Vieles daran ist typisch deutsch: der historische Hintergrund (immerhin ist die Weimarer Republik bisher wesentlich weniger abgefilmt worden als das Dritte Reich oder die DDR), die Protagonisten von der Kriminalpolizei, die bekannten TV-Gesichter. In handwerklicher Hinsicht braucht sich die Produktion nicht hinter internationalen Serien zu verstecken. Die Handlung erzeugt nach zu behäbigem Start zumindest teilweise den angestrebten Sog, insbesondere die Hauptfigur bleibt aber noch zu farblos. Mit etwas mehr Mut, auch in inszenatorischer Hinsicht, könnte aus dieser Serie noch der herbeigeredete Hoffnungsträger werden.
Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten vier Episoden der Serie „Babylon Berlin“.
Marcus Kirzynowski
© Alle Bilder: Sky
„Babylon Berlin“ wird ab dem 13. Oktober 2017 bei Sky 1 immer freitags ab 20:15 Uhr in Doppelfolgen ausgestrahlt. Nach der jeweiligen Ausstrahlung stehen die folgenden beiden Episoden über die Digital-Dienste Sky on Demand, Sky Go sowie Sky Ticket zum Abruf bereit (fernsehserien.de berichtete). Eine Ausstrahlung beim Produktionsparter ARD soll im Spätjahr 2018 erfolgen.
Über den Autor
Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit „Ein Colt für alle Fälle“, „Dallas“ und „L.A. Law“ auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für fernsehserien.de und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.
Lieblingsserien: Six Feet Under, Emergency Room, The West Wing
Kommentare zu dieser Newsmeldung
faxe61 am via tvforen.de
Im November soll es schon die 2. Staffel geben.
Mein Kenntnisstand.Thinkerbelle am via tvforen.de
faxe61 schrieb:
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> Im November soll es schon die 2. Staffel geben.
> Mein Kenntnisstand.
Dein Kenntnisstand ist korrekt. Die ersten beiden Folgen der 2. Staffel sind bei Sky Ticket schon online.
faxe61 am via tvforen.de
Nur mal wieder eine Frage zur kompletten Kritik, Marcus.
Was ist "Stuntcasting"?seventy am via tvforen.de
In den Babelsberger Studios entstand die "Berliner Strasse", die teilweise schon zB. für "Babylon Berlin" herhalten musste.
Hier gibt es interessante Details:
[url]http://www.studiobabelsberg.com/services/filmstudios-aussenkulissen/metropolitan-backlot/[/url]Ornella (geb. 1947) am
Wenn mann die "Weimarer-Zeit" - nicht in "Pappmaché" - sehen will,- sollte man sich die DVD`s von "Rote Erde" (Emmerich), "Der Eiserne Gustav" (Staudte) und "Parole Chicago" (Schwabenizky) zulegen,- und nicht Sky "abonieren"...Styxx am via tvforen.de
Die ersten beiden Folgen gestern Abend waren richtig gut. Ich bin angenehm überrascht von 'Babylon Berlin'.Thinkerbelle am via tvforen.de
Styxx schrieb:
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> Die ersten beiden Folgen gestern Abend waren
> richtig gut. Ich bin angenehm überrascht von
> 'Babylon Berlin'.
Ich hab eben auch die erste Folge auf Sky Ticket gesehen, und finde sie auch hervorragend.
Ich werde mir gleich mal die 2. Folge anschauen.
Ich fand die wilden 20er schon immer faszinierend, und die Serie schafft es wirklich gut ein 20er Jahre Gefühl zu erzeugen. So wie es gewesen sein könnte.
tiramisusi am via tvforen.de
bin auch eher skeptisch, denn ich habe alle Bücher . in denen Kommisar Rath die Hauptperson war, verschlungen und fürchte, dass am Ende doch nur Fragmente bleiben .. gespannt bin ich auf die Darstellung des damaligen Chefs der berliner Mordkommission, den Kriminalrat Ernst Gennat, auch "Buddha" genannt, den es real gegeben hat und der einen weltweiten Meilenstein in der Ermittlung und Spurensicherung am Tatort gelegt hat.
Wer ein paar Infos haben möchte zu der literarischen Vorlage, den Figuren usw - voila
http://www.gereonrath.de/faxe61 am via tvforen.de
Ich kenne die Bücher nicht.
Manche historische Sachen muste ich (nach)googlen.
Ich war erstaunt in der Serie, dass es, die 4. Internationale schon 1928 gab;
sie wurde erst 1938 gegründet in Paris.
Ist das in den Romanen auch so?
Ach so, ich finde sie gut.Hausmeister70 am via tvforen.de
Die Geschmäcker sind ja verschieden, vielleicht sind TV Kritiker mit der Serie zufrieden aber ich persönlich finde die Serie einfach langweilig. Habe 8 Folgen gesehen und werde nicht weiter schauen, die Serie ist kalt, glatt und ohne Stimmung. Wenn es in der ARD läuft dann nehme ich gerne Wetten an das es ein Quoten-Fiasko gibt.faxe61 am via tvforen.de
Hausmeister70 schrieb:
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> Die Geschmäcker sind ja verschieden, vielleicht
> sind TV Kritiker mit der Serie zufrieden aber ich
> persönlich finde die Serie einfach langweilig.
> Habe 8 Folgen gesehen und werde nicht weiter
> schauen, die Serie ist kalt, glatt und ohne
> Stimmung. Wenn es in der ARD läuft dann nehme ich
> gerne Wetten an das es ein Quoten-Fiasko gibt.
Ich bin auch bei Staffel 2 dabei; die Story braucht ein wenig bis in Fahrt kommt.
ttdriver am via tvforen.de
Bei Projekten mit soviel Vorschusslorbeeren bin ich grundsätzlich mal skeptisch. Werde der Serie aber dennoch eine Chance geben. Mach ich so wie immer, wenn ich nach 3-4 Folgen nicht in die Serie "reinkomme" und sich keine Lust aufs Weiterguggen entwickelt war's das. Da fallen dann auch mal so hochgehandelte Sachen wie Lost oder Game Of Thrones runter.Mr_Chance (geb. 1960) am
'Schwer in Fahrt' kommen mir auch die meisten Produktionen, die mich letztendlich bei Netflix völlig umgehauen haben; und was das typisch Deutsch angeht: vor lauter US-Milljöh flüchte ich mittlerweile begeistert in die europäichen Produktionen aus Skandinavien, GB oder Frankreich. Dank ZDF-Neo haben wir da ja ein schöne Portofolio...
Bin sehr neugierig auf den Start in den ÖR. Denn dem Murdockimperium werfe ich kein Geld nach!burchi am via tvforen.de
Ich bin schon sehr gespannt und freue mich darauf - auch wenn ich es erst in der ARD sehen werde...