Pumuckl-Comeback, „Wetten, dass..?“-Abschied, Sparkurs und Ende der Retrowelle: Das deutsche Fernsehjahr 2023 im Rückblick

Trends, Ereignisse, Aufreger, Jubiläen und Abschiede des TV-Jahres

Glenn Riedmeier
Glenn Riedmeier – 25.12.2023, 09:00 Uhr

Aufreger des Jahres: Von Fakes und Warnhinweisen

In Zeiten von Desinformation und der Verbreitung alternativer Fakten sollten etablierte Fernsehsender im Sinne der Glaubwürdigkeit noch mehr darauf sensibilisiert sein, nur hieb- und stichfeste Informationen zu vermelden. In diesem Jahr gab es jedoch gleich mehrere unschöne Fälle, die auf unsaubere Arbeit zurückzuführen sind.

Nach Vorwürfen gegen Maurice Gajda: RTL beendet Zusammenarbeit mit „Explosiv“-Reporter

Maurice Gajda RTL/​Screenshot

Ein Beitrag in der „Explosiv Weekend“-Sendung vom 5. August hatte für RTL-Reporter Maurice Gajda schwerwiegende Folgen. Gezeigt wurde ein Gespräch mit dem Sänger Trong, dessen Eltern aus Vietnam stammen und der am deutschen Vorentscheid zum Eurovision Song Contest teilnahm. Gajda zitierte einen angeblichen Tweet der früheren AfD-Vorsitzenden Frauke Petry, den ihm ein Freund geschickt hätte und er daraufhin den Text abgetippt habe. Ich glaube kein normaler Deutscher will einen rosa gefärbten Asiaten beim ESC sehen, soll Petry geschrieben und inzwischen wieder gelöscht haben. Gezeigt wurde eine grafische Einblendung des angeblichen Tweets. Das Problem an der Sache: Frauke Petry bezeichnete diesen rassistischen Tweet als Fake:

Laut Petry wurde der Tweet nie gepostet. Die Aktion sei schlicht rechtswidrig und eine Abmahnung sei unterwegs, schrieb sie auf X. Nachdem RTL sich zunächst noch hinter Maurice Gajda stellte und in einem Statement auf X betonte, dass dieser sich für den Wahrheitsgehalt verbürge, änderte sich die Lage schon am nächsten Tag. Die Zusammenarbeit mit dem Reporter wurde zunächst ausgesetzt, bis die im Raum stehenden Vorwürfe geklärt seien. Doch es stellte sich bald heraus, dass die in Gajdas Statement verlinkte URL nicht zu dem zwischenzeitlich angeblich gelöschten Tweet führt – was noch mehr die Frage aufwarf, ob es diesen jemals gab. Zwei Tage nach dem Vorfall und einer intensiven Prüfung hat RTL schließlich die Zusammenarbeit mit Gajda fristlos beendet.

Wir entschuldigen uns bei Frau Dr. Petry. Wir haben Maurice Gajda als engagierten und leidenschaftlichen Reporter kennengelernt. In diesem Fall gibt es aber zahlreiche eklatante Verstöße gegen die journalistische Sorgfaltspflicht. Sie schaden der wichtigen und verantwortungsvollen Arbeit unserer rund 1.300 Journalistinnen und Journalisten. Die RTL NEWS stehen mit ihren Nachrichten und Magazinen tagtäglich für journalistische Glaubwürdigkeit, Wahrhaftigkeit und Sorgfalt, lautete das Statement von Martin Gradl, Co-Geschäftsführer RTL NEWS.

„Saublöder Fehler“: Discounter-Kundin war WDR-Mitarbeiterin

In einem Ende Juli gesendeten „Tagesschau“-Beitrag wurden Kunden befragt, was sie von einer ungewöhnlichen Preis-Aktion des Discounters Penny halten. Dieser erhöhte die Preise für Lebensmittel um bis zu 94 Prozent, um Verbrauchern zu verdeutlichen, wie teuer beispielsweise Würstchen tatsächlich sein müssten. Unter anderem gab eine angebliche Kundin zu Protokoll, dass sie die Preisaufschläge befürworte.

Die angebliche Penny-Kundin Hanna Mertens ARD/​Screenshot

Das Problem an der Sache: Es handelte sich hierbei um eine Mitarbeiterin des WDR – was den Zuschauern verschwiegen wurde, aber einem findigen User bei Twitter aufgefallen war. Versehen wurde die Frau mit dem Namen „Hanna Mertens“ – doch in Wahrheit handelte es sich um Hannah Mertens, die Produktionsassistentin beim Hörfunksender WDR 5 ist.

Der Vorfall verbreitete sich wie ein Lauffeuer und die Medien sprangen darauf auf. Gegenüber der BILD räumte der WDR ein: Die gezeigte O-Ton-Sequenz im von uns produzierten Beitrag hätte so nicht gesendet werden dürfen. Kolleginnen oder Kollegen zu interviewen entspricht nicht den journalistischen Standards. Der „Tagesschau“-Beitrag wurde kurz darauf gelöscht.

Auch WDR-Chefredakteur Stefan Brandenburg meldete sich via X zu Wort. Er räumte den Fehler ein – jedoch nicht ohne eine spöttische Bemerkung: Glaubt ernsthaft jemand, gestern hätte kein Penny-Kunde die ‚Wahre Preise‘ Aktion gut gefunden, so dass wir eine Mitarbeiterin als Schauspielerin hätten einsetzen müssen? Passiert ist ein saublöder Fehler, so Brandenburg. Er erläuterte auch, wie es zu dem Vorfall gekommen sei: Die Kollegin ist zufällig nach ihrer Frühschicht in der Umfrage angesprochen worden. Sie hat dem Reporter, der sie nicht kannte, sinngemäß gesagt: ‚ich komme gerade vom WDR-Radio‘. Der hat das in der Situation im Supermarkt mit vielen Nebengeräuschen falsch verstanden als ‚ich habe es im WDR Radio mitgekriegt‘. So banal, so ärgerlich und peinlich für uns. [ …] Hätte der Reporter verstanden, dass er eine Kollegin vor sich hat, hätte er ihre kurze und spontane Reaktion niemals in den Beitrag aufgenommen. Ich bitte darum, das zu respektieren. Fehler passieren, zumal unter Zeitdruck in der aktuellen Berichterstattung.

Warnhinweise vor Wiederholungen von „Die Otto-Show“ und „Schmidteinander“

Im Sommerprogramm hat das WDR Fernsehen am späten Montagabend mehrere Folgen der Comedy-Klassiker „Die Otto-Show“ und „Schmidteinander“ wiederholt. Beide Formate wurden vom WDR mit einem vorangestellten Warnhinweis versehen: „Das folgenden Programm wird, als Bestandteil der Fernsehgeschichte, in seiner ursprünglichen Form gezeigt. Es enthält Passagen, die heute als diskriminierend betrachtet werden“, wurde vor den Sendungen eingeblendet.

WDR/​Screenshot

Um welche Passagen genau es sich dabei handeln soll, ließ der WDR völlig offen. Doch allein die Tatsache, dass es der Sender für nötig erachtet, diesen Hinweis vor die beiden jahrzehntealten Comedyhows zu setzen, erhitzte die Gemüter. Viele Menschen sehen darin eine Bevormundung und Belehrung des Publikums. Ad absurdum geführt wurde dies im Falle der „Otto-Show“ noch dadurch, dass parallel in der Beschreibung in der Mediathek damit geworben wurde, dass man die Sendung „ungekürzt und friesisch-derb“ zeige.

Gegenüber der BILD gab Otto Waalkes dieses Statement ab: Das ist nun ein halbes Jahrhundert her. Die Moralvorstellungen haben sich seit 1970 gewandelt, jede Zeit hat ihre eigenen Tabus. Komik habe immer etwas Anstößiges, weil sie alltägliche Regeln verletze. Ich war damals Student und habe Scherze gemacht, von denen sich vor allem Autoritäten verletzt fühlten. Andere Leute haben gelacht, ungefähr 30 oder 40 Millionen Zuschauer, so der Komiker, der in diesem Jahr seinen 75. Geburtstag gefeiert hat. Einen Seitenhieb konnte sich Waalkes aber nicht verkneifen: Vor Komik kann also gar nicht genug gewarnt werden. Vor allem die ‚Otto-Show‘ kann bei Konsumenten zu unkontrollierbaren Heiterkeitsausbrüchen und Lachmuskelkater führen. Er schloss mit den Worten: Als ob es keine anderen Probleme gäbe als alte Otto-Scherze.

„Die Otto-Show“ und „Schmidteinander“ WDR/​Harald Kratzer

Auch Harald Schmidt erläuterte gegenüber der BILD, was er von den Warnhinweisen vor den „Schmidteinander“-Wiederholungen hält. In der für den ehemaligen Late-Night-Host typischen Weise brachte er es satirisch auf den Punkt: Weltklasse! Ein echter Schmidteinander-Gag. Nur schade, dass der selige Feuerstein das nicht mehr erlebt hat.

Der WDR selbst äußerte sich auf Anfrage der BILD nur recht allgemein und sprach von Passagen, die heute als diskriminierend betrachtet werden. Mit der Einblendung zu Beginn machen wir das deutlich und ordnen das Format dementsprechend ein. Offen blieb, ob der Sender damit den Zuschauern ins Gewissen reden und sie dazu anregen wollte, zu hinterfragen, worüber sie da eigentlich lachen – oder ob es sich vielmehr um eine Vorsichtsmaßnahme handelte, um einem eventuellen Shitstorm vorzubeugen, falls sich tatsächlich Leute finden, die sich von den Inhalten diskriminiert fühlen und dies lautstark bei Twitter bzw. X kundtun könnten.

Im Detail nahm der WDR übrigens nach der Aufregung eine kleine, aber nicht unbedeutende Veränderung im Text vor. War anfangs zu lesen, dass manche Passagen aufgrund von Sprache und Haltung aus heutiger Sicht als diskriminierend betrachtet werden, wurde dies in den Folgewochen in diskriminierend wirken können umformuliert.

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