Informationsoffensive scheitert: ProSieben und RTL senden an ihrem Publikum vorbei

„Zervakis & Opdenhövel. Live.“ und „RTL Direkt“ bleiben weit hinter den Erwartungen zurück

Glenn Riedmeier
Glenn Riedmeier – 23.10.2021, 11:55 Uhr

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Zwei Problemkinder: „Zervakis & Opdenhövel. Live.“ und „RTL Direkt“ mit Jan Hofer – Bild: RTL/Jörg Carstensen/ProSieben/Benedikt Müller
Zwei Problemkinder: „Zervakis & Opdenhövel. Live.“ und „RTL Direkt“ mit Jan Hofer

Die neue TV-Saison ist inzwischen fast zwei Monate alt. Wie üblich schicken die Privatsender im Herbst zahlreiche neue Formate an den Start, in der Hoffnung, bei den Zuschauern damit zu punkten. In diesem Jahr gibt es allerdings einen besonderen Trend zu beobachten: RTL und ProSieben haben sich parallel auf die Fahne geschrieben, ihr Programm und Senderverständnis neu auszurichten. Informativer, relevanter und familienfreundlicher wollte man werden. Nachdem nun einige Wochen ins Land gezogen sind, lässt sich eine erste Bilanz ziehen: Sie fällt ernüchternd aus.

Als großer Personal-Coup von ProSieben galt die Abwerbung von Linda Zervakis von der ARD. Zwei Tage nach ihrem Abschied als „Tagesschau“-Sprecherin wurde bekannt, dass die Journalistin zu ProSieben wechseln wird, um dort gemeinsam mit Matthias Opdenhövel ein neues Journal zu präsentieren. „Zervakis & Opdenhövel. Live.“ lautet der Name der Sendung, die seit dem 13. September wöchentlich zwei Stunden lang live ab 20:15 Uhr ausgestrahlt wird – und dort händeringend um jeden einzelnen Zuschauer kämpft. Bereits bei der Premierenausgabe war nicht mal ein Neugier-Effekt zu vernehmen: Mit nur 470.000 Zuschauern und einem desaströsen Marktanteil von 4,6 Prozent in der jungen Zielgruppe legte die Sendung einen veritablen Fehlstart hin. In den darauffolgenden Wochen ging das Trauerspiel weiter und #ZOL verlor immer weiter an Boden. Die sechste und jüngste Ausgabe sahen am Montag nur noch 390.000 Menschen. Beim jungen Publikum wurden katastrophale 3,7 Prozent gemessen.

Linda Zervakis und Matthias Opdenhövel ProSieben/​Michael de Boer

Für ProSieben ist das zweifelsohne ein Desaster. „Zervakis & Opdenhövel. Live.“ stellt ein Prestigeprojekt dar, mit dem der Münchner Sender seinen eingeschlagenen Weg, „Unterhaltung mit Haltung“ zu bieten, betonen will. Inhaltlich hat die Sendung durchaus ihren Reiz, wie Kollege Ralf Döbele in seiner Kritik zur Premierenfolge beschrieb, doch sie ist offenbar einfach nicht massentauglich. Trotz der verheerenden Zahlen hat ProSieben gegenüber DWDL versprochen, die Sendung im Programm zu behalten und einen langen Atem zu beweisen – ausdrücklich sogar über das Jahr 2021 hinaus in der Primetime. Es brauche Zeit, um ein solches Format zu entwickeln. Ein löbliches und insgesamt in der aktuellen TV-Branche viel zu selten angewandtes Credo. Üblicherweise wird mittlerweile mit quotenschwachen Formaten kurzer Prozess gemacht – wie etwa jüngst geschehen mit der Kuppelshow „How Fake Is Your Love?“, die auf ProSieben am Dienstagabend nach nur einer Folge ins Nachtprogramm abgeschoben wurde – und das, obwohl sie sogar leicht bessere Quoten hatte als #ZOL.

Man muss den Tatsachen ins Auge sehen: Mit „Zervakis & Opdenhövel. Live.“ sendet ProSieben derzeit völlig am Geschmack seiner Zielgruppe vorbei, die am Montagabend offenbar keine Lust auf ernste Themen wie Diskriminierung, Rassismus oder Abtreibung hat, sondern lieber mit Sheldon Cooper lachen würde. Dass ProSieben mit vier alten Folgen von „The Big Bang Theory“ deutlich bessere Quoten einfahren würde, ist kein Geheimnis und macht die Situation noch bitterer. Völlig überschätzt hat der Sender offenbar auch die Strahlkraft und Starpower der Namen Zervakis und Opdenhövel. Nur weil Linda Zervakis eine beliebte „Tagesschau“-Sprecherin war und Matthias Opdenhövel als Moderator von „The Masked Singer“ Topquoten einfährt, bedeutet dies allem Anschein nach nicht, dass sie mit einer eigenen Personalityshow Zuschauermagneten sind.

Gesprächsrunde bei #ZOL mit Gil Ofarim, Emilia Roig und Michel Abdollahi ProSieben

Mit der Einführung von „Zervakis & Opdenhövel. Live.“ hat ProSieben zum Frust vieler Fans außerdem seinen traditionellen Comedy-Montag beerdigt, um fortan stattdessen durchgängig auf Infotainment zu setzen. Im Anschluss an #ZOL läuft die Dokureihe „10 Fakten“, ebenfalls mit unterirdischen Quoten. Die Serien „Young Sheldon“ und „Die Simpsons“ wurden im Gegenzug auf den Mittwochabend verlegt – mit der Konsequenz, dass die ohnehin schon schwächelnden Comedys auf dem neuen Sendetag quotentechnisch noch mehr eingebrochen sind. Vielleicht sollte ProSieben über einen erneuten Sendeplatz-Tausch nachdenken – #ZOL am Mittwochabend versuchen und die Comedyserien zurück auf den Montag holen. Viel zu verlieren hat der Sender ohnehin nicht mehr.

ProSieben ist mit der Enttäuschung über mangelndes Interesse der Zuschauer allerdings nicht alleine – auch „RTL Direkt“ mit Jan Hofer konnte bislang nur selten überzeugen:

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