2017, Folge 134–148

Aufgrund von fehlenden Programminformationen können doppelte Einträge in der Zeit vor dem 08.11.2012 nicht ausgeschlossen werden.
  • Folge 134
    Die neue Staffel „Kulturpalast“ beginnt mit dem endgültigsten aller Themen: dem Tod. Zu Gast ist Ärzte-Schlagzeuger und Sänger Bela B. Der Vampirfan beschäftigt sich gern mit tödlichen Dingen. Ob in Songs wie „Letzter Tag“ oder im aktuellen Westernspektakel „SARTANA Noch warm und schon Sand drauf“. Mit ihm schaut Nina „Fiva“ Sonnenberg, wie es um unseren Umgang mit dem Tod bestellt ist. Leichen pflastern unseren Weg: Eben noch bei „Grand Theft Auto 5“ ein paar Passanten umgenietet, dann kommt die Portion Krieg in den Abendnachrichten und danach der ausufernde Body-Count im „Tatort“.
    Wir sind es gewohnt, den Tod medial vermittelt zu bekommen. Aber der wirkliche Tod? Gar der eigene? Der ist in unseren Köpfen meistens ein Tabu. Gestorben wird hinter verschlossenen Türen, weggesperrt in Krankenhäusern und Hospizen. Aber wo ein Tabu ist, da dauert es nicht lang, bis sich die Kunst darum kümmert. Der Künstler und „Goldener Löwe“-Preisträger Gregor Schneider hat versucht, dieses Tabu mit künstlerischen Mitteln anzukratzen. 2008 wollte er einen Sterbenden als Kunstwerk ausstellen, um damit auf die Schönheit des Todes aufmerksam zu machen. Wütender Protest war die Folge. Heute ist aus der Idee immerhin ein leeres „Sterbezimmer“ geworden Herzstück der aktuellen Ausstellung „Wand vor Wand“ in der Bundeskunsthalle.
    Auch die Gruppe „Rimini Protokoll“ hat sich wiederholt damit auseinandergesetzt, wie man Sterben und Erinnern zeitgemäß inszenieren kann. Statt Grabreden mit den immer gleichen Phrasen haben sie nun eine Reihe von begehbaren Mausoleen geschaffen. Sie baten acht vom Tod bedrohte Menschen, je einen Raum zu gestalten, in dem sie sich so darstellen, wie sie erinnert werden möchten. Die Installation „Nachlass“ ist – wie viele Kunstwerke über den Tod vor allem ein Kunstwerk darüber, wie wunderbar das Leben ist. (Text: 3sat)
    Deutsche TV-PremiereSa 28.01.20173sat
  • Folge 135
    Er ist ein unermüdlicher Kritiker des Systems. Er spricht die Sprache des Volkes, scheut aber auch nicht davor zurück, Hass auf Minderheiten zu schüren: Martin Luther. Im Lutherjahr 2017 widmen wir uns dem Buch, das er ins Deutsche übersetzte und dem er einen unnachahmlichen Sound verlieh: Der Bibel. Als Gast im Studio war eigentlich Gott geplant, aber der war nicht aufzufinden. Dafür seine Synchronstimme: Ben Becker. Der begnadete Bühnen-Wüstling Ben Becker hat aus einer Bibel-Lesung eine bombastische Performance gemacht und ist derzeit mit seinem Programm „Ich, Judas“ auf Tour. Martin Luther hat er natürlich auch schon gespielt, und die Tonsur stand ihm besser als dem Original – soweit man Lucas Cranachs Bildern Glauben schenken darf. Ben Becker wird daher sicher auch beantworten können, warum dieser teilweise ziemlich verrückte Text heutzutage immer noch unsere Kultur prägt. Und warum es zunehmend mehr Menschen gibt, die die Bibel wieder wortgetreu auslegen. (Text: 3sat)
    Deutsche TV-PremiereSa 04.02.20173sat
  • Folge 136
    Wenn Künstler sich die Zukunft ausmalen ist sie manchmal rosa und oft schwarz. Unterhaltsam aber ist sie immer. Und vor allem: inspirierend! Auch für die Wissenschaft. Jahrzehnte, bevor der erste Hubschrauber abhob, knatterte er durch die Romane von Jules Vernes. Den Countdown beim Raketenstart hat lange vor der ersten Mondrakete Regisseur Fritz Lang erfunden. Das erste Klapphandy kannte man längst als „Star Trek Communicator“. Science Fiction ist mehr als eine unterhaltsame Spinnerei: Es ist extrapolierte Gegenwart. Und sagt viel über unsere Ängste und Hoffnungen aus. So sind die Fiktionen von einst oft ein Spiegel aktueller Diskurse.
    Das zeigt sich auch bei der bildgewaltigen Retrospektive der diesjährigen Berlinale: Düstere Zukunftsvisionen wie die Öko-Katastrophe (in „Soylent Green“), der Überwachungsstaat ( in „1984“) und die Überbevölkerung (in „Blade Runner“) sind aktueller denn je. Und die Angst vor der Zukunft scheint eher noch zuzunehmen. Doch es gibt auch Künstler, die an eine bessere Zukunft glauben. Zu Gast im „Kulturpalast“ ist der Konzeptkünstler und utopische Architekt Tomás Saraceno. Der Argentinier plant Luftschlösser, sogenannte „Cloud Cities“ schwebende Städte, die neuen Wohnraum schaffen sollen, ohne fossile Energien zu verbrauchen.
    Bisher hat er schon gigantische Drachen und Ballons steigen lassen und begehbare Spinnennetze in die Höhe gehängt doch das sind nur Etappen auf dem Weg zur Utopie. Auch andere sind bereits dabei, die Zukunft herbeizuführen: „Cyborgs“ sind Menschen, die sich nicht mit den Unzulänglichkeiten des menschlichen Körpers abfinden wollen und ihn mit Technik ergänzen. „Robocop“ lässt grüßen. So hat sich der irische Cyborg-Guru Neil Harbisson eine Antenne am Kopf befestigen lassen, mit der er seine Farbenblindheit austricksen kann: Er hört nun Farben. Wie sagte doch der Science-Fiction-Autor William Gibson: „Die Zukunft ist schon da, sie ist nur ungerecht verteilt“. (Text: 3sat)
    Deutsche TV-PremiereSa 11.02.20173sat
  • Folge 137
    „Die vergessenen Männer und Frauen unseres Landes werden nicht mehr vergessen sein“, sagt Trump. Aber wer sind die wirklich „Vergessenen“? Und wurden sie auch von der Kunst vergessen? Als Gast auf dem Kulturpalast-Sofa erklärt der österreichische Schauspieler und Comedian Josef Hader, warum er sich schon immer für Verlierertypen interessiert hat und wieso die Hauptfigur in seinem neuen Kinofilm immer weiter in eine Abwärtsspirale gerät. Josef Haders Regie-Debut „Wilde Maus“ läuft im diesjährigen Wettbewerb der Berlinale und die Hauptrolle spielt – natürlich – er selbst.
    Ist ja schließlich eine typische Hader-Figur: Ein Musikkritiker, der ohnehin schon glaubt, zu kurz zu kommen und dann auch noch seinen Job verliert. Daraufhin startet er einen irrsinnigen Rachefeldzug gegen seine Peiniger und stellt damit seine gesamte Existenz in Frage. Das scheint Methode zu haben: Irgendwann arbeitet der „Verlierer“ nicht mehr daran, selber zum Gewinner zu werden, sondern nur noch daran, es „denen da oben“ zu zeigen. Wie in der Realität also? Worin unterscheidet sich ein „Abgehängter“ und „Verlierer“ vom Rest der Bevölkerung? Klar, in der Tendenz ist er eher arm, eher männlich, eher weiß und eher alt.
    Aber das Hauptkriterium liegt seltsamerweise nicht im Konto-Auszug, im Geburtsdatum oder dem Y-Chromosom, sondern im subjektiven Gefühl: Ein Vergessener ist, wer sich als Vergessener fühlt. Wer denkt, dass er zu kurz kommt und dass niemand auf seine Ängste hört. Insofern können auch gutsituierte Mittelständler im „Fly-over-Country“ mit einer diffusen Angst vor Verlust zu den „Abgehängten“ gehören. Während ein nicht-weißer Gender-Studies-Student, der sich mit prekären Nebenjobs irgendwie über Wasser hält, zur verhassten „Elite“ gehört.
    2017 ist kompliziert. Aber gut, dass wir Josef Hader haben, der sich so auf die Wirrungen der menschlichen Psyche versteht! Außerdem in der Sendung: Die britischen Elektro-Rap-Punker „Sleaford Mods“, die mit wütendem Arbeiterklassenslang den herrschenden Verhältnissen ins Gesicht spucken. Und Theatermacher Falk Richter, der in seinen Stücken das Verhältnis des linksliberalen Bürgertums zur politischen Rechten thematisiert – also zu denjenigen, die für sich beanspruchen, die „Abgehängten“ und zu kurz Gekommenen zu vertreten. (Text: 3sat)
    Deutsche TV-PremiereSa 25.02.20173sat
  • Folge 138
    Braucht es einen neuen Feminismus? Und was hat es mit dem Irrsinn der „Toxic Masculinity“ auf sich? Der „Kulturpalast“ sucht nach Antworten in der Kunst. Im Studio begrüßt Moderatorin Nina Fiva Sonnenberg die Queer-Feministische Rapperin Sookee, deren neues Album „Mortem and Makeup“ Mitte Februar erscheint. In Toronto trifft der „Kulturpalast“ Jack Urwin, dessen autobiografisches Buch „Boys don’t cry“ ein flammendes Plädoyer für ein modernes Männerbild ist. Und in Wuppertal zeigt die einzige Baritonistin der Welt, die gefeierte Opernsängerin Lucia Lucas, wie man mit Transgender die Opernwelt in Erstaunen versetzt. (Text: 3sat)
    Deutsche TV-PremiereSa 04.03.20173sat
  • Folge 139
    Die demokratische Welt gerät zunehmend aus den Fugen. Und was macht die Kunst? Dieser Frage geht Moderatorin Pegah Ferydoni in in der ersten „Kulturpalast“-Ausgabe der neuen Staffel nach. Vielerorts lauert die Gefahr, dass Menschen ganz freiwillig und demokratisch die Demokratie und ihre eigene Freiheit abwählen. Da kommt der Kino-Blockbuster „The Circle“ scheinbar zum richtigen Moment. In der Verfilmung von Dave Eggers gleichnamigem Erfolgsroman von 2013 spielen Tom Hanks und Emma Watson die Hauptrollen in einer Geschichte über eine riesige Internetfirma, in der sich alle freiwillig für Transparenz entscheiden. Aber wann schlägt Liberalität um in Faschismus? Und wie viel Faschismusgefahr birgt die Faszination für freiwillige Transparenz in den sozialen Medien? Fragen, die sich auch Regisseur Ersan Mondtag stellt, der zu Gast in dieser „Kulturpalast“-Ausgabe ist.
    Mit seinem Stück „Die Vernichtung“ ist Mondtag zum Berliner Theatertreffen 2017 eingeladen und analysiert mit seiner Arbeit eindringlich die Lust am Totalitären. Während sein Regie-Kollege Kay Voges, Intendant am Schauspiel Dortmund und ebenfalls beim Berliner Theatertreffen vertreten, mit riesigen Spiegeln auf der Straße gegen Aufmärsche von rechts kämpft. Die Sendung wird moderiert von Schauspielerin Pegah Ferydoni, die nach drei Jahren Pause zum „Kulturpalast“ zurückkehrt, um ihre Kollegin Nina „Fiva“ Sonnenberg in ihrer Elternzeit zu vertreten. (Text: 3sat)
    Deutsche TV-PremiereSa 13.05.20173sat
  • Folge 140
    Wir begeben uns haarscharf an die Grenze der Peinlichkeit, um ein Gefühl auszuloten: die Scham. Woher kommt sie? Verändert sie sich über die Zeit? Welche Rolle spielt dabei die Kunst? Zu Gast bei Pegah Ferydoni auf dem Sofa: die auf den ersten Blick sehr schamlos wirkenden Hamburger Musikerinnen von „Schnipo Schranke“. Auch ihr neues Album lässt wieder kaum eine Körperflüssigkeit unthematisiert. Gibt es etwas, wofür sich die beiden schämen? Rot anlaufen angesichts der allgemeinen Schamlosigkeit würde vermutlich ein Besucher aus den 50er Jahren, wenn er sich in unsere heutige Zeit verirren würde: Anzügliche Liedtexte, Nackte überall auf Magazinen, Bühnen und Plakaten.
    Und im Netz: Youporn-Videos mit Celebrities, die sich seltsamerweise nicht schämen – sondern eher noch stolz sind. Hat uns die Welle der Liberalität, die in den 60ern über uns hereinbrach, schamlos gemacht? Die Ausstellung „Die innere Haut – Kunst und Scham“ im Marta Herford geht dieser Frage nach und beginnt ganz am Anfang: Bei „Adam und Eva“, kurz bevor Eva in den Apfel beißt – und das Drama seinen Lauf nimmt.
    Ab diesem Moment empfinden Adam und Eva ihre Blöße zum ersten Mal als peinlich. Und ab da werden sie zu selbstreflexiven, eigenständigen Menschen. Die Geburtsstunde der Scham fällt also zusammen mit der Geburtsstunde der Zivilisation. Die Ausstellung in Herford schlägt den Bogen von Albrecht Dürers Darstellung des Paradieses bis zu dem radikalen Konzeptkünstler Santiago Sierra. Er stellt Veteranen aus den Kriegen im Irak, in Afghanistan und in Nordirland wie Schuljungen in die Ecke und fragt: Sollten sich diese Helden vielleicht lieber schämen für das, was sie begangen haben? Und falls ja – warum tun das in der Regel nicht? Worüber schämt man sich heute noch? Das lotet das Performance-Kollektiv „She She Pop“ in seinem Stück „50 Shades of shame“ aus.
    Schnell wird klar: Gerade weil wir von so vielen nackten und vermeintlich schönen Körperbildern umgeben sind, wächst unsere Scham ins Unermessliche. Denn während man sich früher nur für seinen Körper schämte, wenn er nackt war, schämen sich die meisten heute ununterbrochen für den eigenen Körper – weil er eben nicht perfekt ist.
    Wir leben also in einer viel schamhafteren Gesellschaft als wir denken. Das zeigt auch der neue, von der Schauspielerin Nora Tschirner mitproduzierte Dokumentarfilm „Embrace“. Darin geht die australische Ex-Bodybuilderin Taryn Brumfitt in die Offensive und versucht zahlreiche Frauen zu überzeugen, zu ihrem nicht genormten Normalkörper zu stehen. Denn 91 Prozent aller Frauen, sagt der Film, schämen sich für ihren Körper. Da soll noch mal jemand behaupten, wir lebten in schamlosen Zeiten. (Text: 3sat)
    Deutsche TV-PremiereSa 20.05.20173sat
  • Folge 141
    Was treibt Künstler an? Und wie beantworten Kulturschaffende Lebensfragen, die uns alle umtreiben? Schauspielerin Pegah Ferydoni kehrt vertretungsweise für eine Staffel zurück zum „Kulturpalast“ und lädt sich prominente Gäste ein, um mit ihnen gemeinsam nach origineller Kunst und überraschenden Perspektiven zu suchen. (Text: 3sat)
    Deutsche TV-PremiereSa 27.05.20173sat
  • Folge 142
    Auch dein Leben, egal wie banal, ist Stoff für große Literatur! Das versprechen uns die Werke von Karl Ove Knausgard oder Ronja von Rönne. Aber wo fängt die Kunst an? Zu Gast ist die 25-jährige Ronja von Rönne, die sich in ihren Texten oft selbst mit ins Bild schiebt sei es auch nur bei der Beschreibung eines Ikea-Einkaufs. Mit selbstironischem Narzissmus trifft sie den Nerv der Selfie-Generation. Karl Ove Knausgard, der große norwegische Schriftsteller, der aussieht wie Aragorn aus „Herr der Ringe“, hat es sogar geschafft, sechs dicke Bände nur mit sich selbst zu füllen. Seinem mehr oder weniger banalen Alltag, seinen geheimen Gedanken, seinen Zweifeln und intimen Bekenntnissen.
    Mit dem sechsten Band „Kämpfen“, der gerade auf Deutsch erschien, begeistert er wieder Millionen von Lesern auf der ganzen Welt. Eine titanenhafte Nabelschau. Warum tut er das? Der Fotograf Jürgen Teller hat eine halbe Karriere lang andere Menschen fotografiert. Sein Markenzeichen: Schöne Hässlichkeit, scheinbare Authentizität, gekonnte Beiläufigkeit. Irgendwann waren ihm die Superstars, die Kurt Cobains, Vivienne Westwoods, Charlotte Ramplings und Kim Kardashians dieser Welt nicht mehr genug. Und er entdeckte: sich selbst. Vorzugsweise nackt steht nun er selbst im Mittelpunkt, mal mit Plauze und Nerz, mal mit Bierflasche am Grab seines Vaters.
    Im Berliner Martin-Gropius-Bau kann man derzeit Jürgen Tellers behaarten Nabel beschauen. Ich, ich, ich! Auch die Zeiten, in denen man Sehenswürdigkeiten oder Kunstwerke einfach nur betrachtete und danach vielleicht eine Postkarte davon kaufte, sind vorbei. Jetzt muss auf jedes Foto der Beweis: Ich war hier. Je schneller wir uns bewegen, desto konstanter wird unser Sujet: Das „Ich“ – mit wechselndem Hintergrund. Eine Form der Selbstvergewisserung. Und die betrifft nicht nur Otto-Normal-Bürger, sondern auch Künstler und ihre Kunst. (Text: 3sat)
    Deutsche TV-PremiereSa 03.06.20173sat
  • Folge 143
    „Trau keinem über 30!“ hieß es bei den 68ern. Jung sein meinte: Rebellisch, spontan und frei. Erwachsen dagegen: Traditionell und langweilig. Eine „Kulturpalast“-Ausgabe zum Thema Jugend. Die Unterschiede damals waren gewaltig – ob in Mode, Sex, Drogen oder Musik. Und heute? Der „Kulturpalast“ präsentiert Künstlerinnen und Künstlern, die sich entlang der kaum noch vorhandenen – Grenze von Jugend und Erwachsenenalter abarbeiten. „Heute muss man sich nicht mehr gegen die Erwachsenenwelt abgrenzen.
    Heute muss man sich schon als Kleinkind gegen Gleichaltrige abgrenzen, die politisch auf der anderen Seite stehen“, sagt Helene Hegemann, die mit ihrem Buch „Axolotl Roadkill“ bereits als 17-jährige zu einem Literaturstar avancierte. Verläuft die Grenze nicht mehr zwischen alt und jung, sondern zwischen uns und denen? Helene Hegemann, 25, hat jetzt ihre Coming-of-Age-Geschichte der Schulschwänzerin Mifti fürs Kino verfilmt. Mit Jasna Fritzi Bauer, 28, in der Hauptrolle, die scheinbar ein Abo auf kindliche Rollen hat.
    Als junge Erwachsene, steht sie in ihrer Arbeit vor der Aufgabe, immer wieder aufs Neue erwachsen werden zu müssen. Das Einzige, wofür die von ihr dargestellte Mifti Verantwortung zu übernehmen scheint, ist ihr Axolotl – ein Schwanzlurch, der nicht erwachsen wird. Hegemanns Buch wurde bei Erscheinen zunächst hymnisch gefeiert – als scheinbarer Einblick in die Gedankenwelt der Jugend. Kurz danach allerdings von den gleichen Rezensenten beleidigt niedergeschrieben, weil Teile des Romans geklaut und damit nicht „echt“ waren.
    Mal sehen, wie es jetzt dem Kinofilm ergeht. „Axolotl Overkill“ startet am 29. Juni in den deutschen Kinos. Gibt es also überhaupt noch einen Unterschied zwischen „Jugend“ und „Erwachsenenalter“? Ein Geheimnis der Jugend, das man als Erwachsener nur mittels „authentischer“ Stimmen aus der einer sonst fremden Generation versteht? Wo sind sie die Jugendkulturen, deren Codes für Außenstehende stets unverständlich waren und zu denen Erwachsene keinen Zutritt hatten? Eigentlich ist es eine feindliche Übernahme, wenn Lehrer mit Tunnel Piercings und „Ramones“-Tattoo herumlaufen, auf Kumpel machen und damit den Jugendlichen ihr konstituierendes Merkmal klauen: Die Abgrenzung von der Welt der Erwachsenen.
    Die Theaterregisseurin Susanne Kennedy, die „Virgin Suicides“ als quietschbunten Zombietrip inszeniert – jenes Buch von Jeffrey Eugenides, in dem die Erwachsenenwelt fassungslos vor einer Selbstmordserie von Teenagern steht. Den Fotografen Hans Eijkelboom, der Kleidungscodes von Jugendlichen in unseren Innenstädten aufspürt und nun mit seinen Fotos auf der Documenta in Kassel vertreten ist.
    Und den Theater-Schamanen Lemi Ponifasio, der das Festival „Theater der Welt“ in Hamburg mit „Die Gabe der Kinder“ eröffnet. Darin lässt er symbolisch das Blut von Kindern, die Opfer von Krieg und Gewalt wurden, abwaschen. Eine naive Geste, die aber wenige Wochen nach dem Manchester-Attentat eine traurige Aktualität bekommt. Denn wenn es noch eine Besonderheit von Jugend gibt, dann ist es wohl das Versprechen auf Leben, das eigentlich noch vor einem liegt. (Text: 3sat)
    Deutsche TV-PremiereSa 10.06.20173sat
  • Folge 144
    Die wilden Jahre der Weimarer Republik, die Roaring Twenties, sind derzeit Thema von TV-Serien, Ausstellungen, Theaterstücken. Was fasziniert Künstler an dieser turbulenten Zeit des Umbruchs? „Die Parallelität zu heute hat uns erschreckt“ sagen die Regisseure Tom Tykwer, Achim von Borries und Henk Handoegten, zu Gast im Kulturpalast. Ihre 16-teilige Krimiserie „Babylon Berlin“ ist ein facettenreiches Sittengemälde der Zwanziger Jahre. „Babylon Berlin“ ist die bisher teuerste deutsche Fernsehserie, die je produziert wurde. Die Geschichten um Kommissar Gereon Rath zeigen das Berlin der 20er-Jahre als einen Schmelztiegel der Kulturen: voll von Dekadenz und Exzessen, aber auch geprägt von Extremismus, Verbrechen und Korruption.
    Noch ahnt niemand, auf welch historische Katastrophe das Land zusteuert. Ein Tanz auf dem Vulkan: Die Weimarer Republik als Hexenkessel. Auch die Berlinische Galerie taucht in diese Zeit ein: mit einer großen Ausstellung zu Jeanne Mammen. Die Malerin hat schicke Mode und frivoles Nachtleben gemalt, aber auch die krassen Klassenunterschiede der Weimarer Republik festgehalten. Lange vergessen ist Mammen mittlerweile in den Olymp der großen Künstler der 20er-Jahre aufgenommen. Werke von ihr werden auch in der der Ausstellung „Glanz und Elend“ in der Frankfurt Schirn gezeigt, neben Gemälden von George Grosz, Otto Dix, oder Max Beckmann.
    Den Glanz als auch das bittere Elend der Zwischenkriegsjahre zeigte auch Ingmar Bergmanns Film „Das Schlangenei“ aus dem Jahr 1977. Darin ließ er David Carradine als arbeitslosen Zirkusartisten durch das Berlin der Hyperinflation irren. Jetzt kommt „Das Schlangenei“ als Theaterstück auf die Bühne des Münchner Residenztheaters. In der Geschichte kommt auch ein Mörderarzt vor, der an Josef Mengele erinnert. Seine düstere Prophezeiung: „Jeder kann sehen, was die Zukunft bringt. Es ist wie ein Schlangenei. Durch die dünnen Häute kann man das fast völlig entwickelte Reptil deutlich erkennen“. (Text: 3sat)
    Deutsche TV-PremiereSa 14.10.20173sat
  • Folge 145
    Sonnenuntergang! Kerzenschein! Amore! Damit kann man alles verkaufen: von der Pauschalreise bis zur Tiefkühlpizza. Aber auch die historische Romantik vernebelt uns bis heute gehörig die Sinne. Die Folgen: Beziehungsunfähigkeit, Volkstümelei und Irrationalismus. Wer den IS verstehen will, muss nicht den Islam studieren, sondern die Deutsche Romantik lautet eine These des indischen Denkers Pankaj Mishra. Führt die romantische Sehnsucht in den Abgrund? In seinem Bestseller „Das Zeitalter des Zorns“ widmet sich Mishra unter anderem dem romantischen Nationalismus der Deutschen im 19. Jahrhundert.
    Herder und Fichte hätten einen „Heiligen Krieg“ gegen den aufgeklärten Westen in Gestalt Napoleons propagiert, sagt er, und gegen die Zumutungen der Moderne. Damit seien sie die ersten Dschihadisten der Weltgeschichte – und ganz nebenbei auch die Vordenker der antidemokratischen Retropisten unserer Zeit. Sind die schwärmerischen Romantiker, die verträumten Dichter und Denker, die „Wanderer über dem Nebelmeer“ doch nicht so harmlos, wie wir dachten? Zumindest haben sie uns eines gründlich versaut, sagt Alain de Botton: Unsere Beziehungen.
    Der Philosoph, Ratgebergott und Gründer der Londoner „School of Life“ zerpflückt das romantische Liebesideal, bis nichts mehr davon übrig ist: Die reine und wahre Liebe zu einer einzigen, perfekt passenden Person – erkennbar nur am „Bauchgefühl“ und am besten auf den „ersten Blick“- diese Liebe, die dann ein Leben lang anhält, keinerlei Worte bedarf und sexuelle Anziehung für immer garantiert … Logisch, dass unsere Beziehungen an diesem Anspruch zerbrechen müssen.
    So wie auch schon Madame Bovary und Anna Karenina unter die Räder gerieten. Auch das ist ein Merkmal romantischer Sehnsucht: Sie ist per Definition unerfüllbar. Und der perfekte romantische Held – ist ein toter Held. So wie in E.T.A Hoffmanns Erzählung „Der Sandmann“ von 1816. Da verfällt der Student Nathanael in Liebe zu einer mechanischen Gliederpuppe. Erst als der Puppe wie früher in den Sandmann-Geschichten seiner Mutter – die Augen ausgerissen werden, erkennt Nathanael, dass er einen Automaten liebt, wird wahnsinnig und stürzt in den Tod.
    Der Theatermagier Robert Wilson hat diesen Text der schwarzen Romantik in Düsseldorf bildgewaltig auf die Bühne gebracht. Tausende Augen starren dem Zuschauer und selbst der Vollmond ist bei Wilson ein Augapfel. Doch klar sehen kann Nathanael deswegen noch lange nicht. Er ist blind vor romantischer Liebe ein Produkt seiner eigenen Langeweile.
    „Es muss halt jeder einmal untergehen“ textet die Wiener Band „Wanda“, heute zu Gast auf dem „Kulturpalast“-Sofa. Sie verschwenden sich, rauchen, saufen, lieben, ohne ein anderes Programm als die Sehnsucht selbst. „Wir sind nicht die Typen, die gegen irgendwas rebellieren müssen“, sagt Marco Michael Wanda. „Wenn überhaupt, dann ist unser ganzes Tun ein Aufbegehren gegen die Langeweile.“ Wenn dem so ist, dann müsste es doch eigentlich längst an der Zeit sein, die Duft-Kerzen auszupusten und mal so richtig schön unromantisch zu werden. (Text: 3sat)
    Deutsche TV-PremiereSa 21.10.20173sat
  • Folge 146
    100 Jahre Oktoberrevolution, 150 Jahre „Das Kapital“ von Marx und Engels. Doch Feierstimmung will trotzdem nicht aufkommen. Gehört der Kommunismus auf den Müllhaufen der Geschichte? Wir brauchen dringend neue Utopien, sagt der niederländische Historiker Rutger Bregman, Autor des weltweiten Bestsellers „Utopien für Realisten“. Er sieht ein Problem: dass wir uns seit dem Fall der Mauer nicht mehr trauen, große Gesellschaftsentwürfe zu denken. „Mit Lenin zu denken, heißt, den Zuständen – wenn sie unhaltbar sind – eine Alternative entgegen zu stellen und „Nein“ zu sagen.
    Wir müssen komplett neu denken“, sagt auch der vielfach preisgekrönte Theaterregisseur Milo Rau. An der Berliner Schaubühne hat er gerade „Lenin“ inszeniert und lässt den russischen Revolutionsführer von Ursina Lardi spielen – erst als wütende und dann als altersschwache, zerbrechliche Frau. Eine Allegorie auf die Revolution an sich, die immer mehr mumifiziert wurde. Wie der Kommunismus nach dem Tod Lenins eigentlich nur noch damit beschäftigt war, sich selbst zu glorifizieren, um nicht gestürzt zu werden, lässt sich auch gut bei der großen Retrospektive auf dem DOK-Festival in Leipzig studieren.
    Unter dem Motto „Kommunistische Herrschaft im Film“ werden dort derzeit historische Jubel- und Propagandafilme gezeigt, ebenso wie die Gräueltaten im Namen des Kommunismus sowie kritische Analysen. Zu Gast bei Nina auf dem Kulturpalast-Sofa ist diesmal Jürgen Kuttner, Theatermacher, Entertainer und Kultmoderator der 90er aus Ost-Berlin.
    Spätestens seit der Finanzkrise 2008 sagt er, müsse jedem denkenden Menschen klar sein, dass auch das kapitalistische System nicht zwingend für die Ewigkeit gemacht sei: „Das ist auch so ein Punkt der DDR-Erfahrung. Man lebte da und wusste ja, da stimmt nichts. Aber man konnte sich nicht vorstellen, dass das zusammenbricht. Und die Erfahrung habe ich gemacht. Das ist zusammengebrochen. Und seit dem schaue ich auch ein bisschen misstrauischer auf die heile Welt, in der wir gerade zu leben glauben.“ (Text: 3sat)
    Deutsche TV-PremiereSa 04.11.20173sat
  • Folge 147
    Was ist die Natur? Sehnsuchtsort? Idyll? Brachialgewalt oder verletzliches System? Und was ist der Mensch angesichts der Natur? Ein Teil von ihr oder ihr Bezwinger? Freund oder Feind? „Wir haben das Verständnis für die Natur verloren.“, sagt der Schweizer Künstler Julian Charrière. Er will uns wachrütteln, indem er Eisberge mit dem Bunsenbrenner wegdampft. Oder eine Kokosnuss-Kanone baut, die die Erdachse in die Antarktis verschieben soll. Für das Gespräch mit ihm ist Nina samt „Kulturpalast“-Sofa eigens in sein Berliner Atelier umgezogen. Hinter den wilden Aktionen des Olafur Eliasson-Schülers steckt Methode.
    Der Mensch habe sich seit der Romantik aus der Natur heraus gephotoshoppt. Er betrachte sie nur noch, statt Teil von ihr zu sein. Diesem kulturellen Bruch geht Charrière nach: „Ich betreibe eine Art Archäologie der Gegenwart.“ Steigende Meeresspiegel, Erderwärmung, Klimawandel – der Mensch hinterlässt viele Spuren auf und in der Erde. So viele, dass Wissenschaftler vom Erdzeitalter des Anthropozän sprechen: Der Mensch als das Ereignis, das die Erde in den letzten Jahrhunderten so sehr verändert hat wie kein anderes.
    In der Ausstellung „Visions of Nature“ im Kunsthaus Wien loten 25 internationale Foto- und Videokünstler aus: Wie konstruiert sich der Mensch die Natur? Wie macht er sie sich zu eigen? Einer von ihnen ist Rodrigo Braga, der in seinen Videoinstallationen gerne gegen die Natur ankämpft oft vergeblich. Angebunden an eine Ziege, auf den Boden eindreschend oder schreiend und nackt mitten im Wald. Natur ein Thema, das auch Hollywood gerade sehr beschäftigt. Als wild, gefährlich, unkontrollierbar wird sie in den „Planet der Affen“-Remakes in Szene gesetzt.
    Auch der Fortpflanzungszyklus der Kaiserpinguine ist noch nicht auserzählt. Herzerweichend: „Die Reise der Pinguine 2“, das Sequel der erfolgreichsten Tier-Doku aller Zeiten, in der die Macher den Tieren sogar Stimmen gaben. Tier und wir? Der Tänzer Martin Nachbar sucht die Verbindung zur Natur, indem er Tiere tanzt. „Ein Faszinosum an Tieren ist, dass wir sie nie verstehen können“, sagt er. Das Duo Alex Bailey und Krööt Juurak geht einen Schritt weiter. Es tanzt in erster Linie für ein tierisches Publikum. Vielleicht ein Versuch, die Spezies Mensch mal nicht ganz so wichtig zu nehmen. (Text: 3sat)
    Deutsche TV-PremiereSa 11.11.20173sat
  • Folge 148
    Lügen heißen jetzt „Alternative Fakten“ und entlarvte Lügen sind „Fake News“. Wie umgehen mit diesem Überlaufen der Phantasie in das Reich der Wirklichkeit? Dazu befragt Nina im Kulturpalast verschiedene Künstler, denn die kennen sich schließlich aus mit der Welt des Nichtrealen. Es gehört quasi zu ihrer Berufsbeschreibung, der Realität etwas Anderes entgegenzustellen. Zu Gast auf dem „Kulturpalast“-Sofa: Doris Dörrie. Das Stück der Stunde hat mal wieder Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek geschrieben: „Am Königsweg“ ist inspiriert vom Lügen- und Alternativfaktenbold Donald Trump.
    Der lügt ja fünf mal am Tag wie ihm die Washington Post in akribischer Kleinarbeit nachgewiesen hat. Jelineks Stück wurde jetzt am Hamburger Schauspielhaus uraufgeführt und wird gefeiert als großartige Geisterbahnfahrt zwischen Scherz und Schmerz. Regisseur Falk Richter meint: „Postfaktisches Zeitalter bedeutet: Fakten führen nicht mehr dazu, dass Menschen ihre Meinung ändern“. Aber was kann man dagegen tun? „Fake News muss man nicht fürchten, die muss man widerlegen! Nach jeder Schaufel Mist schaufelt man ein Stück Mist weg,“ schlägt Alexander Kluge vor.
    Der 85-Jährige ist einer der großen deutschen Intellektuellen und ist auf der Schnittstelle von Dokumentarischem und Poetischen zu Hause. In der aktuellen Ausstellung „Pluriversum“ im Museum Folkwang in Essen kann man sich ein Bild von Kluges unermesslichem Kosmos machen und sich von ihm verzaubern lassen. Denn eines will er sich auch in diesen Zeiten nicht nehmen lassen: Dass es nicht nur Fakten, sondern auch das Gefühl braucht, um der „Wahrheit“ näher zu kommen. „Mit Logik allein können Sie überhaupt keine Vernunft entwickeln. Sie müssen im Herzen einen Grund haben, Wahrheit zu suchen, dann finden Sie sie!“ Zu Gast auf dem Kulturpalast-Sofa: Die Regisseurin Doris Dörrie.
    Sie kuratiert derzeit auf dem Literaturfest München das Programm „Alles echt, alles Fiktion“. Hauptgrund für unser postfaktisches Zeitalter sind für sie die Sozialen Medien. Hier haben wir gelernt, uns selber zu fiktionalisieren und dass ein gutes „Narrativ“ wichtiger ist als die Wahrheit. „Und diese irrsinnigen Fiktionalisierungen führen dazu“, sagt Dörrie, „dass wir uns gleichzeitig immer mehr nach dem Echten, Wahren, Authentischen sehnen“ was den Erfolg von so offensiv ehrlicher Ego-Literatur wie von Karl-Ove Knausgard erklären würde. (Text: 3sat)
    Deutsche TV-PremiereSa 18.11.20173sat

zurückweiter

Erinnerungs-Service per E-Mail

TV Wunschliste informiert dich kostenlos, wenn Kulturpalast online als Stream verfügbar ist oder im Fernsehen läuft.

Auch interessant…