2016/2017, Folge 203–215

  • Folge 203 (26 Min.)
    Simone de Beauvoir war eine der berühmtesten Frauenrechtlerinnen. Mit ihrem Lebensgefährtin Jean-Paul Sartre lebte sie in einer offenen Beziehung. Doch was weiß man noch von der Intellektuellen, die so eng mit ihrer Zeit, ihrem Engagement und dem Existenzialismus verbunden war? Darf man Beauvoir auch als eigenständige Philosophin betrachten? Für Geneviève Fraisse geht es bei dieser Fragestellung auch um eine bestimmte Auffassung von Gleichberechtigung: Was nützen Rechts-, Lohn- und Chancengleichheit, Empfängnisverhütung und körperliche Selbstbestimmung der Frau, wenn man immer noch annimmt, die Tätigkeit des weiblichen Gehirns sei umgekehrt proportional zur Tätigkeit der Gebärmutter? Die endgültige Emanzipation der Frau gehe über die Anerkennung ihres „Verstandes“, also ihrer Fähigkeit zu Reflexion, spekulativem Denken und Entscheidung.
    „Der weibliche Verstand ist das große Thema der Moderne. Daraus leiten sich alle Rechte ab: Staatsbürgerschaft, wirtschaftliche Unabhängigkeit, Empfängnisverhütung, das ‚Habeas Corpus‘ der Frauen“, erklärt Geneviève Fraisse.
    Daraus ergeben sich weitere Fragen: Wie kann eine Frau denken, ohne den Eindruck zu erwecken, sie sei dabei auf die Kategorien ihres eigenen Geschlechts beschränkt und somit zum Partikularismus verdammt? Und wie kann man sich von der Unterstellung lösen, „abstrakt“ denkende Frauen würden nur die vorherrschende, männliche Denkform fortsetzen? Kann man von Frauen sprechen und dabei das eigene Frausein außer Acht lassen? Ist Weiblichkeit eine Männeridee? Ist es frauenfeindlich, den Frauen Tugenden zuzuschreiben, über die die Männer nicht verfügen? (Text: arte)
    Deutsche TV-PremiereSo 04.09.2016arte
  • Folge 204 (26 Min.)
    Voltaire gehört zu den bekanntesten Vertretern der französischen Aufklärung. Seine Werke sind Pflichtlektüre am Gymnasium, seine Polemiken gelten bis heute als exemplarisch und seine „Abhandlung über die Toleranz“ fand nach den Terroranschlägen in Paris plötzlich wieder reißenden Absatz. Wer Voltaire las, setzte dem religiösen Fanatismus die Toleranz entgegen. Aber verdammte Voltaire in seinem Kampf gegen Aberglauben und Fanatismus nicht auch alles, was irgendwie die Vernunft verstieß? Der Aufklärer glaubte an Gott als „Baumeister aller Welten“ und ging von der Überlegung aus, dass die Natur zu perfekt sei, um zufällig entstanden sein zu können.
    Alles, was diesen rationalen Rahmen überstieg – Dogmen, Riten, Heiligkeit der Texte, Gotteslästerung – konnte seine Philosophie nicht dulden. Voltaires Texte regen zum Nachdenken an. Was ist Fortschritt? Welche Rolle spielen Philosophien in der Gesellschaft? Dürfen sie sich an eine politische Macht binden, oder sollten sie sich auf kritischer Distanz halten? Diese Fragen, mit denen sich schon Voltaire auseinandersetzte, sind wieder höchst aktuell. Der Aufklärer kann dabei helfen, sie noch genauer zu formulieren: Kann man gewalttätig und tolerant zugleich sein? Wie soll man die Realität wahrnehmen? Und glaubte Voltaire selbst an Gott? (Text: arte)
    Deutsche TV-PremiereSo 11.09.2016arte
  • Folge 205 (26 Min.)
    Durch Blasphemie wird paradoxerweise nicht in erster Linie Gott, sondern der Gläubige selbst beleidigt. Maßt sich jemand, der Menschen der Gotteslästerung bezichtigt, nicht an, den Willen Gottes praktisch erfunden zu haben und genau zu wissen, wann der Allmächtige beleidigt zu sein hat? Gäbe es folglich in laizistischen Staaten nicht ein „Recht auf Blasphemie“, das zu verteidigen wäre? Anastasia Colosimo hat hierzu einen interessanten Ansatz. Es geht ihr nicht darum, die Blasphemie moralisch und kategorisch zu verurteilen, sondern sie in ihrer Besonderheit zu verstehen.
    Was aber, wenn der Begriff der Blasphemie dazu da ist, um das politische Recht der religiösen Konfiguration anzupassen? Welchen Stellenwert hat bei diesem Verständnis der Blasphemie der Begriff der Meinungsfreiheit, der so oft vorgebracht wird? Hat die Blasphemie einen festen Platz in unseren liberalen Demokratien verdient? Was bleibt von Gott, wenn in seinem Namen gefoltert wird? Lässt sich Blasphemie in Szene setzen? Ist der Gotteslästerer ein Held? Oder lässt es sich mit der Ablehnung der Blasphemie leben? (Text: arte)
    Deutsche TV-PremiereSo 25.09.2016arte
  • Folge 206 (26 Min.)
    Soll man seiner Wut ungehemmt nachgeben oder sie lieber zurückhalten, um gesellschaftliche Konventionen nicht zu verletzen und seine Würde zu wahren? Wer Ersteres bevorzugt, sieht Wut oft als Katalysator, durch den man seine wahren Gedanken und Gefühle authentisch ausdrücken kann. Wer sich für Zweiteres entscheidet, sieht in Selbstbeherrschung und Höflichkeit die höchsten Güter des sozialen Zusammenlebens. Der antike Philosoph Seneca bezeichnete das In-Rage-geraten, Aus-der-Haut-fahren oder Laut-und-rot-werden als krankhaft, da der Mensch dabei seine Selbstachtung verliert und die Vernunft von der Emotion verdrängt wird. Heute wiederum wird die Emotionalität des Individuums als etwas sehr Wichtiges erachtet, das Zugang zu seinem wahren Wesen gewährt.
    Denn ist ein Wutausbruch nicht auch die innere Explosion, die endlich den Schutzwall der Heuchelei zum Einsturz bringt? Sagt man nicht gerade dann „seine Wahrheit“, wenn man seiner Wut nachgibt? Doch warum nimmt man Dinge, die man in Wut zu jemandem sagt, oft unter dem Vorwand zurück, dass man sie „nicht so gemeint“ hat? Will man so nicht eher den damit verursachten Schmerz ungeschehen machen? Wut ist auch eine politische Haltung: die der Unzufriedenen, der Benachteiligten, der Verlierer. „Wütende Studenten“, „wütende Rentner“, „Wutbürger“ – Soll man der Wut der Anderen nachgeben? Macht Wut stärker? Kann Wut einen Menschen völlig beherrschen? Was ist der Unterschied zwischen Wut und Ärger? Und was ist „Wutpolitik“? (Text: arte)
    Deutsche TV-PremiereSo 02.10.2016arte
  • Folge 207 (26 Min.)
    Das Konzept der Serendipität steht im Widerspruch zur biblischen Redewendung „Wer sucht, der findet“: Es bezeichnet eine neue, überraschende Entdeckung durch zufällige Beobachtung von etwas ursprünglich nicht Gesuchtem. Der Begriff „Serendipity“ wurde 1754 vom britischen Autor Horace Walpole geprägt, um zu beschreiben, wie das Zusammenspiel von Zufall und Weisheit unerwartete Entdeckungen ermöglicht. Denn jeder Zufallsfund setzt zunächst die Fähigkeit voraus, das Gesehene zu interpretieren, und es erfordert die gleichzeitige Bereitschaft, sich erstaunen und überraschen zu lassen – ansonsten verstreicht die Gelegenheit zur Entdeckung ungenutzt.
    Wenn Alexander Fleming, der Entdecker des Penicillins, die verschimmelte Bakterienkultur weggeworfen hätte, anstatt über ihr ungewöhnliches Aussehen zu staunen, wäre er nie in die Geschichte der Medizin eingegangen. Genau solch ein glücklicher Zufall war auch Christoph Kolumbus’ Entdeckung Amerikas, der mit dem eigentlichen Ziel, einen Seeweg nach Indien zu finden, in See gestochen war.
    Beruht also letztlich nicht jede neue Entdeckung auf dem Serendipitätsprinzip? Und müsste die Forschungspolitik dieser Tatsache nicht Rechnung tragen, indem sie durch Unterstützung von Entdeckergeist und persönlicher Freiheit Serendipitätseffekte fördert? Im Gegensatz dazu steht die konventionelle Wissenschaft, deren Regeln und Ziele stets im Vorhinein genau festgelegt werden. „Philosophie“ verbindet diese Gedanken auch mit aktuellen Fragestellungen: Wie gibt man dem Zufall eine Chance? Wie wichtig ist die Fähigkeit zu staunen? (Text: arte)
    Deutsche TV-PremiereSo 09.10.2016arte
  • Folge 208 (26 Min.)
    Die heutige Sendung dreht sich um die Frage: Ist der Populismus eine Fehlentwicklung der Demokratie, oder ihr inhärent? Wenn Demokratie eine Herrschaftsform ist, bei der das Volk selbst regiert und seine Interessen verteidigt, müsste ein Demokrat per se ein „Volksvertreter“ sein. Doch wie legitim ist es, das „Volk“ gegen die „Eliten“ auszuspielen? Wer verachtet die französische Unterschicht mehr als jemand, der sie dem „System“ gegenüberstellt und so nur auf sie herabsieht? Was unterscheidet den Populisten vom Demagogen? Zu Gast ist die Philosophin, Historikerin und Schriftstellerin Chantal Delsol. Sie beschäftigt sich vor allem mit der Geschichte politischer Ideen und wurde 2007 an die französische Akademie der Moralischen und Politischen Wissenschaften berufen. Außerdem in der Sendung: Hugo Hanry, Vertreter der französischen Linkspartei. (Text: arte)
    Deutsche TV-PremiereSo 05.02.2017arte
  • Folge 209 (26 Min.)
    Woher kommt Macht? Beruht sie immer auf einer Legitimation, wie etwa dem Gottesgnadentum bei absolutistischen Herrschern oder der Wahl durch das Volk in einer Demokratie? Oder entsteht Macht im Grunde erst durch Zeremonien, vergoldete Insignien, feierliche Formeln und Paraden? Dienen Amtsuniformen, Protokolle und Siegel letztlich nur dazu, eine notwendige Illusion aufrechtzuerhalten? Ist Macht nichts anderes als ein äußerst reales Produkt der menschlichen Einbildungskraft? Die Sendung befasst sich mit dem Machtbegriff des französischen Philosophen Blaise Pascal. Zu Gast ist Laurent Thirouin, Professor für französische Literatur an der Universität Lyon 2. Sein Fachgebiet sind Blaise Pascal und die französischen Moralisten des 17. Jahrhunderts. Außerdem in der Sendung: Jean-Louis Debré, ehemaliger französischer Innenminister und ehemaliger Präsident des französischen Verfassungsgerichts. (Text: arte)
    Deutsche TV-PremiereSo 12.02.2017arte
  • Folge 210 (26 Min.)
    Ist der Übergang von der „reparierenden“ Medizin zur Biotechnologie, die nach „Verbesserung“ des Menschen strebt, Fluch oder Segen? Warum soll sich die Menschheit in ihrem Kampf um Fortschritt und Wohlergehen an naturgegebene Grenzen gebunden fühlen? Welche Risiken birgt es, die Vorstellung von einer unveränderlichen menschlichen Natur aufzugeben? Zu Gast ist in dieser Folge ist der französischer Essayist Luc Ferry. Luc Ferry war Philosophieprofessor und von 2002 bis 2004 Bildungsminister Frankreichs. In seinen Arbeiten befasst er sich unter anderem mit Transhumanismus und Technomedizin. Außerdem in der Sendung: Aurélien Lemant, Schauspieler, Drehbuchautor und Spezialist für Comic-Pop-Philosophie. (Text: arte)
    Deutsche TV-PremiereSo 19.02.2017arte
  • Folge 211 (26 Min.)
    Die aktuelle Sendung dreht sich um ein Paradox. Menschen, die aus Respekt vor Tieren und aus Liebe zur Natur auf Fleisch verzichten, tun etwas, wozu Tiere nicht in der Lage sind: sich über Instinkt und natürliche Ernährungsweise hinwegsetzen. Dem moralischen Grundsatz folgend, anderen Lebewesen kein Leid zuzufügen, grenzt sich der Mensch also vom Rest des Tierreichs ab … Der 1961 geborene Philosoph und Verhaltensforscher Dominique Lestel ist Professor an der philosophischen Fakultät der Ecole normale supérieure und Mitglied der Forschungsgruppe „Öko-Anthropologie und Ethologie“ des staatlichen Naturkundemuseums Musée national d’histoire naturelle (MNHN) in Paris.
    Er ist Autor zahlreicher Werke, die sich mit dem Verhältnis zwischen Tier und Mensch auseinandersetzen. Darunter: „L’Animalité. Essai sur le statut de l’humain“ (Hatier, 1996); „Les Origines animales de la culture“ (Flammarion, 2001); „Les Animaux sont-ils intelligents?“ (Le Pommier, 2006); „Les Amis de mes amis“ (Seuil, 2007); „Apologie du carnivore“ (Fayard, 2011); „A quoi sert l’homme?“ (Fayard, 2015). (Text: arte)
    Deutsche TV-PremiereSo 26.02.2017arte
  • Folge 212 (26 Min.)
    Warum sind Selfies derart im Trend? Handelt es sich um eine bloße Modeerscheinung oder ist das Selfie vielmehr das gesellschaftliche Symptom einer tiefgreifenden Metamorphose des Ich? Sind wir alle zu selbstverliebten Narzissten mutiert, die meinen, sich in jeder Lebenslage ablichten zu müssen, anstatt ihre Umwelt zu betrachten? Paradoxerweise offenbart das Selfie Dinge über uns, die wir möglicherweise nicht preisgeben möchten. Zu Gast im Studio ist diesmal Elsa Godart, Jahrgang 1978. Sie hat in Philosophie und in Psychologie promoviert. Sie ist als niedergelassene Psychoanalytikerin tätig und arbeitet seit 2005 mit verschiedenen Printmagazinen zusammen, unter anderem mit „Psychologies Magazine“ und „Le Monde des Religions“. Ihre jüngsten Veröffentlichungen sind „Etre mieux avec soi-même“ (2012), „Le sentiment d’humanité“ (2014); „Je selfie donc je suis. Les métamorphoses du moi à l’ère du virtuel“ (2016). (Text: arte)
    Deutsche TV-PremiereSo 05.03.2017arte
  • Folge 213 (26 Min.)
    Wie überwindet man einen Misserfolg? Zunächst muss man sich wohl vom Konzept absoluter Kriterien für Erfolg und Misserfolg lösen. Wer versagt, ist noch lange kein Versager. Und vielleicht liegt im Nichterreichen einer Sache ja die Grundlage für einen späteren Erfolg. Ist jemand, der nie verloren hat, tatsächlich ein Gewinner? Ist der Stärkere nicht vielmehr der, der in der Niederlage das Positive sieht und daraus lernt? Zu Gast sind in dieser Sendung Charles Pépin, Autor eines im September 2016 in Frankreich zu diesem Thema erschienenen Buchs „Les vertus de l’échec“, und der Psychoanalytiker Laurent Dupont. (Text: arte)
    Deutsche TV-PremiereDi 14.03.2017arte
  • Folge 214 (26 Min.)
    In einer Zeit, da Schamhaftigkeit dem religiösen Bereich vorbehalten scheint, ist ein Loblied auf diese „Tugend“ geradezu paradox. Wird Schamhaftigkeit zur Norm, dann verliert sie ihre Bedeutung. Studiogast Eric Fiat erklärt, dass das Schamgefühl eine spontane Reaktion ist, bei welcher sozusagen der Geist vor dem Körper errötet. Doch was unterscheidet sie von der Beschämung, also der Verleugnung des eigenen Körpers und Wesens angesichts der Blicke Dritter? Warum ist es gut, sich nicht zu schämen, und schlecht, nicht schamhaft zu sein? Und wenn Schamhaftigkeit tatsächlich eine Tugend ist warum sollte man die Verhüllung des Körpers dann nicht konsequent vorschreiben? Zu Gast sind der Philosoph Eric Fiat und Yves Leclerc, stellvertretender Vorsitzender des Französischen Verbands für Freikörperkultur (Fédération française de naturisme).
    Eric Fiat ist Universitätsprofessor und Experte auf dem Gebiet der angewandten Ethik, vor allem in den Bereichen Medizin und Krankenpflege. Er leitet den Masterstudiengang Ethik an der Universität Paris-Est Marne-la-Vallée, ist Mitglied des Observatoire National de la Fin de Vie und der Ethikkommission der französischen Gesellschaft für Hämatologie. Kürzlich erschienen: mit Adèle Van Reeth, „La pudeur“ (Plon, 2016). (Text: arte)
    Deutsche TV-PremiereDi 21.03.2017arte
  • Folge 215 (26 Min.)
    Rassismus ist in heutigen Gesellschaften leider noch immer allgegenwärtig. Jenseits seiner sichtbaren Erscheinungsformen, wie Diskriminierung und Ausgrenzung, verbirgt er sich in alltäglichen Handlungen und hinter scheinbar hehren Werten. Doch über die Methoden zu seiner Bekämpfung ist man sich nicht einig. Ist positive Diskriminierung nicht auch Diskriminierung? Unterstützt man nicht eine „umgekehrte Apartheid“, wenn man den „Weißen“ den Zutritt zu einem „dekolonialen Sommerlager“ oder Männern die Teilnahme an einem Frauentreffen verbietet? Wie kann man dem Rassismus entgegentreten, ohne die gleichen Fehler zu begehen? Zu Gast sind Magali Bessone, Philosophin und Expertin zum Thema Rassismus, und Nacira Guénif-Souilamas, Soziologin, Anthropologin und Mitglied der Französischen Indigenen-Partei (Parti des Indigènes de la République). (Text: arte)
    Deutsche TV-PremiereDi 28.03.2017arte

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